Mit moderner Musik: Wie in Osnabrück ein Musical über den Westfälischen Frieden entsteht
Wann begann noch mal der 30-jährige Krieg? Im Jahr 1618. Und wann endete er? Im Jahr 1648 mit dem Westfälischen Frieden. Was nach einer unglaublich trockenen Geschichtsstunde klingt, soll in Osnabrück jetzt mit moderner Musik als Stoff für ein neues Musical dienen. Denn dort und parallel im 60 Kilometer entfernten Münster fanden einst die Friedensverhandlungen statt. Das ist mittlerweile 375 Jahre her und wird 2023 groß gefeiert.
Im Rahmen des Jubiläumsprogramms kommt vom 14. bis 16. September 2023 die Musical-Uraufführung „1648 – Macht. Liebe. Intrige.“ auf die Bühne. In dem Stück verbinden sich die historischen Ereignisse der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden mit einer neuzeitlichen Komposition. Dafür zuständig ist Florian Albers, der die Musik zu dem von Michael Przewodnik erdachten Libretto komponiert hat.
Idee reifte seit 2018
„Die Idee hatte ich bereits 2018“, erzählt Michael Przewodnik. Er ist ausgebildeter Musicaldarsteller und Gesangspädagoge, sehr geschichtsinteressiert und mit eigenem Kabarett-Duo unterwegs. Initialzündung für sein Musiktheaterstück war das Buch „Osnabrück und der Westfälische Frieden“ von Gerd Steinwascher. Das habe Przewodnik damals gelesen und sei fasziniert gewesen. „Es ist für ein Sachbuch wirklich interessant geschrieben“, sagt der kreative Kopf.
Allerdings blieb es zunächst bei der Idee, die Friedensverhandlungen musikalisch zu verarbeiten – bis die Stadt Osnabrück für ihr Jubiläumsjahr einen Sonderetat zur Gestaltung des Programms zur Verfügung stellte. Die Bürgerinnen und Bürger hatten dadurch die Möglichkeit, sich mit eigenen Projekten rund um den Westfälischen Frieden für eine Förderung zu bewerben. Einer von ihnen war Michael Przewodnik, der davon erst wenige Tage vor Ende der Bewerbungsfrist erfahren hat. Schnell war sein Kollege Florian Albers als Komponist ins Boot geholt und ein Konzept geschrieben. „Nach anderthalb Tagen war es fertig“, lacht der Autor.
Historische Ereignisse aufgegriffen und wieder gestrichen
Schnell kam eine Finanzierungszusage für das Projekt, auch andere Förderer konnten für die Idee begeistert werden. Inzwischen laufen die Proben für die Uraufführung im Proberaumzentrum „Bühne11“ in der Osnabrücker Spichernstraße. Doch wie genau entstand das Musical „1648“ eigentlich? „Ich habe mir das Buch von Gerd Steinwascher wieder zur Hand genommen, weiter am Konzept geschrieben und mit Florian Albers einen roten Faden gesponnen“, erinnert sich Przewodnik. „Beim Schreiben habe ich viele historische Ereignisse aufgegriffen, die ich als spannend erachtete. Später sind einige wieder rausgeflogen, weil sie die Story nicht weitergebracht und unnötig in die Länge gezogen haben.“
Der Untertitel des Stücks lautet „Macht. Liebe. Intrige.“ und hat selbstverständlich eine Bedeutung. Dazu erklärt Florian Albers: „Liebesgeschichten sind oft ein wesentlicher Bestandteil von Musicals, also gibt es auch bei uns eine solche. In den Verhandlungen hingegen ging es nicht nur um das große Ganze, den Frieden, sondern auch um eigene Interessen der Verhandlungsführer, was letzten Endes zu Intrigen und Machtkämpfen geführt hat.“ Die Story des Musicals behandele deshalb Lügen, Verrat, finstere Machenschaften sowie politische Spielchen und sei eine Mischung aus historisch belegbaren Fakten und Fiktion.
Der Komponist betont außerdem, dass keine Kriegsschauplätze gezeigt werden. „Es geht vielmehr um schnelle Dialoge und Zwischenmenschliches“, so Albers. Dabei würden sich Sprechszenen und Songs abwechseln. Zwei große Friedensverhandlungen seien zudem komplett durchkomponiert und es gebe darin einen musikalischen Schlagabtausch, wie man es ähnlich aus den Rap-Battles im Musical „Hamilton“ kenne.
Digitale Zusammenarbeit zwischen Librettist und Komponist
Als Michael Przewodnik und Florian Albers „1648“ schrieben, geschah das in erster Linie digital: Przewodnik schrieb in Osnabrück an Buch und Texten, Albers komponierte in Haltern am See. Texte und Noten wurden hin- und hergeschickt. Zwischendurch trafen sich die beiden Kreativen zu gemeinsamen „Worksessions“. Ein festes Vorgehen, sagen beide, habe man nicht gehabt. So sei manchmal die Musik zu einem fertigen Text, andererseits aber auch mal der Text zu einer bestehenden Melodie entstanden.
Florian Albers gibt einen spannenden Einblick in seine Arbeitsweise als Komponist: „Nachdem die Geschichte grob stand, haben wir uns Gedanken gemacht, an welchen Stellen ein Song passen würde. Wenn ich komponiere, entwerfe ich meistens erst einen Text, um mir die Welt, in der das Lied spielt, zu bebildern.“ Dieser Text sei aber oft nur ein Platzhalter gewesen und später neu geschrieben worden. So habe man sich Lyrics und Musik wie Bälle zugeworfen, um neue Impulse zu bekommen.
Ein solcher Impuls war es auch, der dazu führte, die musikalische Gestaltung grundlegend zu ändern. „Anfangs wollten wir historische Instrumente und entsprechende Musik einbringen. Claudio Monteverdi war zu der damaligen Zeit sehr angesagter Komponist“, erzählt Albers. „Aber es wäre schade gewesen, damit die ganzen Erzählweisen, die moderne Musik bietet, auszuklammern – gerade, wenn man so einen historischen Stoff erzählt.“
Hip-Hop und Rap für breite Zielgruppe
Die Autoren entschieden sich also, kein zweites „Les Misérables“ zu schaffen, sondern einen historischen Kontext mit modernen Klängen zu erzählen – spätestens seit „Hamilton“ weiß man schließlich, dass das funktioniert. „Es gibt Gitarren, Synthie-Klänge, Hip-Hop und Rap sowie klassische Klavier-Balladen“, beschreibt der Komponist seine Partitur. Aber auch einen Kanon im Stil von Heinrich Schütz habe er geschrieben. „Es war letzten Endes eine bewusste Entscheidung von uns, den alten Stoff musikalisch ins Heute zu holen, um eine breite Zielgruppe anzusprechen“, ergänzt Michael Przewdonik.
Geradezu euphorisch ist der Librettist, wenn er über die Zusammenarbeit mit seinem Komponisten spricht. „Ich wusste, dass Florian komponiert und sehr gut ist – deshalb habe ich ihn gefragt.“ Dankbar sei Przewodnik auch dafür, dass Albers ihn immer wieder angetrieben habe. „Im kreativen Prozess stagniert man manchmal. Dann ist es gut, wenn man jemanden hat, der einen antreibt“, so der Autor. „Ein Vorteil ist außerdem, dass es nicht nur komponieren, sondern auch texten kann und die Lyrics so wirklich Hand in Hand entstanden sind. Mal habe ich an seinen Texten gefeilt und mal er an meinen.“
Musical am Originalschauplatz
Dass es vorerst nur drei Vorstellungen geben wird, ist dem Umstand geschuldet, dass nicht viele geeignete Aufführungsorte in Osnabrück existieren, die zudem alle schon ziemlich ausgebucht waren. Deshalb muss auch zwischen zwei Locations gewechselt werden. Die ersten zwei Vorstellungen finden in der Lagerhalle in der Osnabrücker Altstadt statt, also nur einen Steinwurf entfernt vom Rathaus, in dem einst die Friedensverhandlungen stattfanden. Für die dritte Vorstellung geht es an den Stadtrand ins Piesberger Gesellschaftshaus. Obwohl die gesamte Produktion also innerhalb eines halben Tages umziehen muss, soll nicht an Bühnenbild und Kostümen gespart werden.
Wer sich in der Stadt auskennt, wird auf der Bühne Schauplätze wie den Friedenssaal, die Ameldungsche Apotheke oder die Marienkirche wiedererkennen. Eine Besonderheit ist außerdem, dass die vierköpfige Band (Piano, Gitarre, Bass, Drums) auf der Bühne platziert wird und Christian Tobias Müller als Musikalischer Leiter und Pianist selbst kleinere Rollen übernimmt. „Er wird zum Beispiel Kaiser Ferdinand III. spielen und als dieser am Klavier sitzen, weil der Kaiser gern komponiert hat“, verrät Florian Albers.
Aufführung im Osnabrücker Rathaus war nicht möglich
Eigentlich wollten die Autoren ihr Werk in einer einstündigen Fassung direkt am Originalschauplatz zeigen: im Friedenssaal des Osnabrücker Rathauses. „Das Publikum wäre Teil der Handlung geworden und hätte auf den Bänken Platz genommen, auf denen früher Rat und Verhandlungsführer saßen“, erzählt Albers. Aufgrund der geringen Platzkapazität wären mehrere Vorstellungen pro Tag denkbar gewesen. Dass es sich nicht realisieren ließ, liegt daran, dass der Friedenssaal jederzeit ohne Eintrittsgeld zu besichtigen sein muss und nicht für Aufführungen gesperrt werden darf.
So entstand das Musical als abendfüllendes Stück für eine klassische Theaterbühne, das laut der Autoren nicht nur in Osnabrück, sondern auch in jeder anderen Stadt aufgeführt werden kann. „Natürlich ist das Lokalkolorit schon besonders, da man die Originalschauplätze des Musicals in Osnabrück besuchen kann, aber die Story an sich eignet sich genauso für Aufführungen in anderen Orten“, sagt Michael Przewodnik, der die fünfjährigen Friedensverhandlungen (1643-1648) für sein Stück auf zwei Stunden komprimiert hat.
Ein klassisches Vorsingen zur Besetzung der Rollen gab es übrigens nicht. Denn bei der Entwicklung der Charaktere hatten die Autoren schon Kolleginnen und Kollegen vor Augen, die sie gezielt angefragt haben. Ab 14. September werden nun Myriam Akhoundov („Fack ju Göhte“) als Marie von Sternberg, Patrick Bertels („Soho Cinders“) als Johan Oxenstierna, Lukas Witzel („Fast normal“) als Rabanus Heistermann, Henriette Schreiner („Jack the Ripper“) als Anna Sture und Julian Schier („Madagascar“) als Johann Krane sowie Christian Tobias Müller als Gerhard Schepler, Heinrich Ameldung und Kaiser Ferdinand III. auf der Bühne stehen. Während Henriette Schreiner die Choreografie entwickelt, führt Autor Michael Przewodnik höchstselbst Regie – weil er einem anderen Regisseur sein Werk etwa nicht anvertrauen wollte? „So ist das nicht“, lacht Przewodnik. „Ich wollte es unbedingt selbst inszenieren, weil mich das Regiefach interessiert, nachdem ich bereits als Regieassistent von Andreas Gergen und Werner Bauer bei den Freilichtspielen Tecklenburg tätig war.“
Text: Dominik Lapp