„Starlight Express“ in Bochum (Foto: Detlef Overmann)
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Auf den Schienen des Erfolgs: „Starlight Express“ in Bochum rollt und rollt und rollt – seit 36 Jahren

Seit mehr als 36 Jahren begeistert das Musical „Starlight Express“ in Bochum Jung und Alt. Kinder, die früher mit ihren Eltern in die Show kamen, kommen heute mit ihren eigenen Kindern wieder – und bringen die Großeltern mit. Die außergewöhnliche Erfolgsgeschichte des Stücks auf Rollschuhen hat das Ruhrgebiet erobert und ist nicht nur deutschlandweit, sondern weltweit einmalig. Doch was macht dieses Phänomen so zeitlos und erfolgreich?

„1993 war ich gerade mal zweieinhalb Jahre alt, als meine Mama von einem Betriebsausflug zu ‚Starlight Express‘ zurückkehrte und ich wohl immer wieder sehr beharrlich darauf bestand, dass sie mir von den Lichtern und den Loks berichtete“, erinnert sich Nathalie Kroj, Autorin unserer Redaktion. „Das Programmheft und die CD kannte ich schon auswendig, bevor ich ‚Starlight Express‘ oder Titel wie ‚Pumping Iron‘ überhaupt richtig aussprechen konnte. Es hat mich nicht mehr losgelassen.“

„Starlight Express“ in Bochum (Foto: Dominik Lapp)
Schlussapplaus in Bochum.

Erste Begegnung und Faszination

Zehn Jahre lang träumte das Kind von schillernden bunten Zügen und Waggons und einer Halle mit faszinierender Technik. Dann folgte im Juli 2003 endlich der erste Besuch bei „Starlight Express“, organisiert von einem Musiklehrer. „Mit diesem Besuch hatte mich die Faszination dann endgültig fest gepackt. Noch heute, über 20 Jahre später, komme ich alle paar Jahre wieder.“

„Starlight Express“ fasziniert nicht nur durch die mitreißende Musik von Andrew Lloyd Webber, sondern vor allem durch seine einzigartige Inszenierung. Die Darstellerinnen und Darsteller bewegen sich auf Rollschuhen, was dem Musical eine dynamische und energiegeladene Atmosphäre verleiht. Die Bühne ist eine beeindruckende Rennbahn, auf der die Züge in atemberaubenden Geschwindigkeiten von bis zu 60 km/h gegeneinander antreten.

Probe für „Starlight Express“ im Studio Hamburg (Foto: GARP)
1988 wurde zunächst im Studio Hamburg geprobt, bevor es nach Bochum ging.

Anfänge und Herausforderungen

Dabei hatte das Musical in Bochum alles andere als einen guten Start. Weil das Theater am Stadionring in den Achtzigerjahren mit Baukosten von 24 Millionen Mark von der Stadt und dem Land Nordrhein-Westfalen finanziert wurde, brachte das Frank-Patrick Steckel, den damaligen Intendanten des Bochumer Schauspielhauses, auf die Palme. Er verkündete damals in der Presse: „Ich halte von solchen aufgeblasenen, kommerziellen Verblödungsmaschinen überhaupt nichts.“ Steckel bezeichnete es damals als grotesk, dass sich Politiker dazu hergaben, „einen solchen Schwachsinn, der mutmaßlich in einem Desaster enden wird, zu begünstigen.“ Steckel verstarb traurigerweise 81-jährig im Januar 2024, der von ihm einst als Schwachsinn bezeichnete „Starlight Express“ hat ihn jedoch überlebt und dreht weiterhin achtmal pro Woche seine Runden.

Musicalproduzent Friedrich Kurz versprach in den Achtzigern vollmundig: „Ich will in Bochum das beste Musical der Welt bieten.“ Doch schon einen Monat nach der Premiere, die wegen Problemen mit der Bühnenhydraulik verspätet erst am 12. Juni statt am 27. Mai 1988 über die Bühne ging, spielte die Show vor leeren Reihen – wohl auch wegen eines Fehltritts in der Kommunikation des Produzenten, der damals in einem Zeitungsinterview behauptete, „Starlight Express“ sei schon bis Januar 1989 ausverkauft. Mitnichten. So kam es, dass Tickets in der Tageszeitung zu stark reduzierten Preisen angeboten wurden: Reihe 1 im Parkett für 25 Mark, einen Platz auf der Seitentribüne gab es schon für 12,50 Mark. In der Bochumer Fußgängerzone wurden teilweise sogar Karten verschenkt, um die Leute ins Theater zu locken und die Mund-zu-Mund-Propaganda in Gang zu setzen.

Doch nach TV-Terminen, Auftritten auf Stadtfesten und weiterer Promotion lief der Kartenverkauf endlich an, immer mehr Menschen berichteten Freunden, Verwandten, Kollegen und Bekannten: „Das müsst ihr gesehen haben!“ Einer der Gründe für den bis heute anhaltenden Erfolg von „Starlight Express“ ist die Zeitlosigkeit seiner Themen. Die Geschichte von Liebe, Wettbewerb und Selbstfindung spricht ein breites Publikum an. Die emotionale Verbindung, die die Zuschauerinnen und Zuschauer zu den Charakteren und ihrer Reise aufbauen, bleibt auch nach 36 Jahren stark.

Eintrittskarte „Starlight Express“ von 1988 (Foto: Privat)
1988 gab es die erste Reihe zum Schnäppchenpreis.

Innovative Neuerungen halten die Show frisch

Um die Frische des Musicals zu bewahren, hat das Team hinter dem Musical im Laufe der Jahre innovative Neuerungen eingeführt. Die ursprüngliche Inszenierung wurde immer wieder überarbeitet und modernisiert, um den Ansprüchen des Publikums gerecht zu werden. Neue Songs, Choreografien und visuelle Effekte sorgen dafür, dass auch Besucherinnen und Besucher, die das Musical mehrmals gesehen haben, jedes Mal etwas Neues entdecken.

In der britischen Version gab es ursprünglich einen Schlafwagen namens Belle, der 1992 gestrichen wurde. In der deutschen Version wurde 2018 eine neue Figur, der Barwagen Belle, eingeführt. Die deutsche Fassung erfuhr mehrere Überarbeitungen: Im Jahr 2002 gab es einen neuen Megamix, das Lied „Crazy“ wurde eingefügt und das wunderbar kitschige Duett „Du allein“ durch „Allein im Licht der Sterne“ ersetzt. Bei weiteren Überarbeitungen sind die vier Rockys durch drei Hip Hopper ersetzt worden, außerdem wurde die Ouvertüre gekürzt. Statt „Liebesexpress“ erklang von 2008 bis 2018 „Dann pfeift er mir zu“, das mittlerweile zu „Pfeife für mich“ wurde. Das Duett „Allein im Licht der Sterne“ wurde durch „Nur mit ihm“ ersetzt und das Lied „Dein Freund“ gestrichen. 2013 folgte schließlich die Nummer „Für immer“ anstelle von „Nur mit ihm“ und aus „Ne Lok mit Locomotion“ ist „Nie genug“ geworden.

„Starlight Express“ in Bochum (Foto: Detlef Overmann)
Die Frauenrollen wurden im Rahmen einer Überarbeitung im Jahr 2018 gestärkt.

Stärkung der weiblichen Rollen

Weil „Starlight Express“ nach 30 Jahren nicht mehr zeitgemäß erschien, initiierte Komponist Andrew Lloyd Webber im Jahr 2018 anlässlich des Jubiläums in Bochum eine weitere Überarbeitung. Die weiblichen Rollen wurden gestärkt, wodurch die alte Dampflok Papa durch Mama und die französische Lok Bobo durch eine weibliche Version namens Coco ersetzt wurde. Zudem sind die Rollen des Büfettwagens Buffy und des Raucherwagens Ashley durch den Gepäckwagen Carrie und den Barwagen Belle ersetzt worden, die drei Hip Hopper wurden zu drei Rockys. Auch Lieder wurden erneut bearbeitet, gestrichen oder ersetzt, außerdem führte man einen Zug namens Brexit ein – als Anspielung auf den EU-Austritt Großbritanniens.

Die Integration modernster Technologie spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle für den Erfolg des außergewöhnlichen Musicals. Durch die Nutzung von LED-Technik und spektakulären Licht- und Lasereffekten sowie 29 Drohnen wird die Rennbahn in eine futuristische Welt verwandelt. Dieser technische Einsatz hebt „Starlight Express“ von anderen Musicals ab und trägt zur Faszination bei.

Vom melodischen Duett zur Mitklatschnummer

Nicht alle Änderungen haben die Fans begrüßt. Einigen Songs, Kostümen oder Rollen weinen sie heute noch nach. „Insgesamt ist manches über die Jahre besser geworden, an den Ausbau der Anzahl weiblicher Rollen und den Wandel von Papa zu Mama konnte man sich mittlerweile gut gewöhnen, die Projektionen sind nicht zu kitschig und ergänzen das Bühnenbild sinnvoll“, findet Nathalie Kroj. Für den Song „Für immer“ kann sie sich allerdings nach wie vor nicht begeistern: „Der Wechsel von einem melodischen Duett zu einer Mitklatschnummer hat schon wehgetan.“ Und noch etwas kann sie nicht verschmerzen: „Was die Kostüme betrifft, sind Pearl und Electra zu farblosen Charakteren geworden. Der Mädchentraum der pinken Langhaarperücke und das futuristische rot-blaue E-Lok-Kostüm fehlen mir wirklich sehr.“

Backstage bei „Starlight Express“ in Bochum (Fotos: Nathalie Kroj)
Blick auf die Bühne und in die Maske.

Doch der anhaltende Erfolg gibt den Produzenten recht: Die Show ist noch immer gut besucht, es gibt zahlreiche Menschen, die das Stück immer und immer wieder besuchen. Einerseits Hardcore-Fans, die jede Woche kommen, andererseits Fans, die es sich zur Tradition gemacht haben, einmal im Jahr dem „Starlight Express“ einen Besuch abzustatten. Ein traditioneller Termin, der aus den NRW-Sommerferien nicht mehr wegzudenken ist, ist zudem der Tag der offenen Tür, der jedes Jahr komplett überlaufen ist mit seinen Technikshows, Gesangsauftritten, Kostümwettbewerb, Autogramm- und Fotostunde.

Mehr als 13.000 Vorstellungen in Bochum

Auch Kroj verbindet mit dem Stück viele schöne Highlights: die „One night only“-Aufführung in der englischsprachigen Originalversion, den „Boys & Girls Day“, bei dem sie bis zum Technikpult unter das Dach der Halle klettern und auf der Brücke zum Technik-Check die Electra-Fahrt machen durfte – und natürlich Komponist Andrew Lloyd Webber selbst bei seinem Besuch zum großen 30-jährigen Jubiläum zu sehen.

Inzwischen hat sich die „aufgeblasene, kommerzielle Verblödungsmaschine“ zum kulturellen Aushängeschild für Bochum entwickelt: 89 Prozent aller Deutschen kennen laut einer repräsentativen Marktforschungsstudie aus dem Jahr 2017 das Rollschuh-Musical und verbinden es untrennbar mit der Stadt. In mehr als 13.000 Vorstellungen lockte „Starlight Express“ knapp 19 Millionen Menschen in die Stadt und bringt Bochum einen Jahresumsatz von 60 Millionen Euro ein. Seit dem Start des Musicals vor 36 Jahren haben sich die Übernachtungszahlen in der Ruhrgebietsstadt versechsfacht. Und es ist das weltweit am längsten laufende Musical an einem Spielort. „Starlight Express“ rollt und rollt und rollt – und das nicht nur in Bochum, sondern seit zwei Monaten auch wieder in London, wo es in einer ganz neuen Version mit einem überarbeiteten Buch, neuen musikalischen Arrangements und neuer Ausstattung gezeigt wird.

Text: Dominik Lapp (unter Mitarbeit von Nathalie Kroj)

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".