„Die Kinder der toten Stadt“ in Bad Driburg (Foto: Gymnasium St. Xaver)
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Erinnerung bewahren: Warum das Musical „Die Kinder der toten Stadt“ den Holocaust thematisiert

Es ist ein außergewöhnliches Projekt, das sich mit der Darstellung des Holocausts auf interessante Weise auseinandersetzt: das dramatische Musical „Die Kinder der toten Stadt“. Dr. Sarah Kass, die Initiatorin des Stücks und des dazugehörigen pädagogischen Programms, sowie die Autoren Thomas Auerswald (Buch und Liedtexte) und Lars Hesse (Musik), geben einen Einblick in die Entstehung und Hintergründe des Werks, das sich vor allem an Schulen wendet.

„Ich habe einige Jahre für eine Stiftung gearbeitet, die Gedenkstätten-Fahrten nach Auschwitz finanziert hat. Später und besonders ab 2015 wurden die Klassen immer heterogener, vielfältiger und bunter, so dass ich über eine Form der Vermittlung des Holocausts nachgedacht habe, die diesen Herausforderungen gewachsen ist. Für mich ist Musik eine Sprache, die solche Grenzen überwinden kann. Natürlich stieß die Idee, ein Musikdrama über den Holocaust zu produzieren, im Allgemeinen nicht nur auf Begeisterung. Ich war jedoch der Meinung, dass man bei einem so wichtigen Thema keinen Weg ausschließen soll, den man noch nicht versucht hat, zu beschreiten“, erzählt Dr. Sarah Kass.

Ghetto Theresienstadt als Handlungsort

Das Musikdrama „Die Kinder der toten Stadt“ erzählt allegorisch die Geschichte der gefangenen Kinder in Theresienstadt, ihres Lebens dort und ihrer Ermordung durch die Nationalsozialisten. Basierend auf wahren Ereignissen, zeigt das Stück die letzten Tage des Komponisten Hans Krása, der 1942 nach Theresienstadt gebracht wurde, um dort seine Kinderoper „Brundibár“ mit den gefangenen Kindern einzustudieren und aufzuführen. Die Nazis inszenierten kulturelle Ereignisse, um ausländischen Beobachtern eine falsche positive Darstellung des Lebens in Theresienstadt zu vermitteln. Dies diente auch der Erstellung eines Propagandafilms, der ein angenehmes Leben in der Stadt zeigte, einschließlich der Aufführung der Kinderoper. Nach den Aufnahmen wurden fast alle Beteiligten ermordet: die Kinder, der Komponist und der Spielleiter des Films.

Jugendliche sollen erreicht werden

Um junge Menschen für das Thema Holocaust zu sensibilisieren und ihnen eine aktive Teilnahme zu ermöglichen, richtet sich „Die Kinder der toten Stadt“ gezielt an Schulen. Dr. Sarah Kass erklärt: „Das Thema Holocaust ist im Lehrplan der Schulen in jedem Bundesland verankert, und wir wollten mit dem Theaterstück vor allem junge Menschen erreichen und ansprechen. Das Stück ist zudem stark partizipativ ausgerichtet, da es die jungen Leute selbst sind, die auf der Bühne in die Rollen des Musikdramas schlüpfen können.“

Durch die Einbindung von Schülerinnen und Schülern in die Aufführungen wird das Lernen zu einem aktiven Prozess. Kass betont, dass diese Herangehensweise den Jugendlichen eine tiefere emotionale Verbindung zu den historischen Ereignissen ermöglicht. Die aktive Teilnahme an der Aufführung soll ihnen helfen, das Thema auf einer persönlichen Ebene zu begreifen und nachhaltig zu verinnerlichen.

Unterstützung durch das Deutsche Institut für Erinnerungskultur

Das Deutsche Institut für Erinnerungskultur (DIFEK) bietet umfangreiche Unterstützung für Schulen an, die das Stück aufführen möchten. „Natürlich werden die Schulen auf Wunsch intensiv von uns begleitet und unterstützt. Das DIFEK bietet zum Beispiel Tagesworkshops oder Vorträge mit dem Autorenteam an“, so Kass.

Diese Unterstützung ist ein zentraler Aspekt des Projekts. Durch Workshops und Vorträge wird sichergestellt, dass die Schulen nicht nur die logistische, sondern auch die pädagogische Hilfe erhalten, die sie benötigen, um das Stück erfolgreich aufzuführen. Diese umfassende Begleitung zielt darauf ab, die Qualität der Aufführungen zu sichern und den Lehrkräften das notwendige Rüstzeug zu geben, um das Thema Holocaust sensibel und wirkungsvoll zu vermitteln.

Künstlerische Umsetzung als Herausforderung

Thomas Auerswald, Autor des Musicals, beschreibt die anfänglichen Bedenken und den kreativen Prozess: „Zunächst waren wir durchaus skeptisch, weil das Thema so hochsensibel für jede Form der künstlerischen Auseinandersetzung ist – und für das Genre Musiktheater erst recht. In unseren Vorbesprechungen rückten deshalb die Geschehnisse rund um die Aufführungen der Kinderoper ‘Brundibár‘ im Ghetto Theresienstadt schnell ins Zentrum der Idee. Von da an war das Projekt ein Musiktheaterstück über ein Musiktheaterstück, allerdings an einem grausamen Ort und in einer schrecklichen Zeit.“

Die Sensibilität des Themas machte die künstlerische Umsetzung zu einer großen Herausforderung. Die Autoren mussten einen Weg finden, das Grauen des Holocausts darzustellen, ohne die Würde der Opfer zu verletzen oder das Leid zu trivialisieren. Die Entscheidung, sich auf die Aufführungen der Kinderoper „Brundibár“ im Ghetto zu konzentrieren, bot eine narrative Struktur, die es ermöglichte, das Thema auf eine ergreifende und respektvolle Weise zu behandeln.

Musikalische Herangehensweise

„Mein Fokus lag darauf, die Dramaturgie der Geschichte musikalisch aufzugreifen, insbesondere in den Score-Musiken unter den Dialogen. Da unsere Zielgruppe hauptsächlich aus Schülern und Jugendlichen besteht, haben wir viele Songs als Pop- und Rocksongs angelegt. Diese Genres sind für junge Menschen zugänglicher und bieten gleichzeitig die Möglichkeit, starke emotionale und energetische Momente zu kreieren, die die Geschichte lebendig machen“, erklärt Komponist Lars Hesse die musikalische Umsetzung. So habe er mit seiner Musik die emotionale Tiefe und die dramatische Spannung der Geschichte vermitteln wollen.

Autor und Komponist haben intensive Recherchen betrieben und Zeitzeugenberichte genutzt, um eine authentische und bewegende Geschichte zu erzählen. „Die wichtigste Quelle waren die persönlichen Gespräche mit den Menschen, die das alles wirklich erlebt haben. Dazu kommen die wissenschaftliche Arbeit und die Quellenforschung von Sarah Kass“, erklärt Thomas Auerswald. So wollten die Kreativen sicherstellen, dass die dargestellten Ereignisse und Charaktere so nah wie möglich an der historischen Realität bleiben.

Suche nach dem geeigneten Genre

„Gerade weil das Thema so bedrückend, so ernst, so wichtig, so notwendig zu erzählen ist, sollte sich keine Kunstform dagegen verwehren dürfen – auch nicht das Musiktheater“, hebt Auerswald die Bedeutung des gewählten Genres für die Darstellung solch ernster Themen hervor. Die Wahl des Musiktheaters als Medium für die Erzählung der Holocaust-Geschichte ist also ganz bewusst getroffen worden.

Ein Musical bietet die Möglichkeit, komplexe Emotionen und dramatische Höhepunkte auf eine Weise darzustellen, die das Publikum tief berühren kann. Es verbindet Musik, Schauspiel und visuelle Elemente zu einem Gesamtkunstwerk, das die Zuschauerinnen und Zuschauer in eine intensive emotionale Erfahrung eintauchen lässt.

Die Herausforderung, ein so ernstes Thema im Rahmen eines Musikdramas zu behandeln, wurde als Chance gesehen, die Geschichte auf eine neue Weise zu erzählen und das Publikum genauso wie die mitspielenden Schülerinnen und Schüler zu erreichen, um einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur zu leisten.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".