Hinter den Kulissen: So wird das Musical „Mozart!“ in München neu gedacht
Die Bayerische Theaterakademie August Everding verabschiedet ihre Musicalstudierenden im Prinzregententheater München mit einem epischen Werk, das bislang immer im Schatten von „Elisabeth“ stand – das Musical „Mozart!“ von Michael Kunze (Libretto) und Sylvester Levay (Musik). Die Inszenierung von Andreas Gergen möchte das Publikum nicht nur in das Leben und die Leidenschaft des Genies Wolfgang Amadeus Mozart entführen, sondern wird selbst zum Lehrstück über das Künstlersein. Die Studierenden haben keine bloßen Rollen gelernt, sondern gehen auf die Bühne, um Fragen zu stellen und Antworten zu finden.
Gergen ist jemand, der Mozart nicht nur schätzt, sondern diesen Künstler fast schon wie einen alten Freund kennt. Das Salzburger Wunderkind begleitet ihn bereits lange durch seine Regiekarriere, sei es in Opern wie „Die Zauberflöte“ oder Dramen wie „Amadeus“. Dem Regisseur ist es wichtig, dass das Musical für die Studierenden keine reine Biografie-Nacherzählung ist, sondern eine tiefgründige Reise, die sowohl den Menschen als auch den Künstler zeigt. „Mozart war wirklich authentisch und fand einen revolutionären Weg, in dem er sich nie verbog“, sagt der erfahrene Regisseur mit Blick auf die große Herausforderung, die er den Studierenden stellt: „Ich möchte, dass sie in jedem Moment, in dem sie auf der Bühne stehen, authentisch sind und kein falsches Gefühl zeigen.“
Bruch mit traditionellen Erzählformen
Andreas Gergens Inszenierung, so kündigt er es im Gespräch mit unserer Redaktion an, will bewusst mit traditionellen Erzählformen brechen. Sie zeigt Mozart in drei Lebensphasen – unbeschwerte Jugend, die Krise des Mittleren und die künstlerische Reife. Diese Phasen wurden gleich auf drei Darsteller aufgeteilt, die den jeweiligen Lebensabschnitt des Komponisten verkörpern. Ein entscheidendes Symbol in diesem Wechsel der Mozarts ist ein pinker Rock, den der junge Komponist von Maria Theresia erhält und der im Laufe des Stücks von Darsteller zu Darsteller wechselt. „Der Rock zeigt dem Publikum, wer gerade Mozart ist“, erklärt Gergen, der dieses offene Erzählkonzept gewählt hat, um den Darstellenden kreative Freiheit zu geben und sie zu ermutigen, „sich selbst in Mozarts Suche nach künstlerischer Freiheit zu entdecken.“
In der Hauptrolle ist unter anderem Raphael Binde zu sehen, der nicht nur von Kindheit an als Musiker Mozart nahestand, sondern nun auch persönlich mit dem Charakter des Komponisten ringt. „Ich habe schon als Kind Mozart auf Geige und Klavier gespielt“, erzählt er, „aber als junger Künstler heute erkenne ich die Parallelen zwischen Mozart und so vielen heutigen Künstlern, die auf Erfolg und Perfektion drängen und daran zerbrechen.“ Die Rolle des Musikgenies fordert Binde emotional stark, besonders im Übergang vom euphorischen Aufbruch zur schmerzhaften Selbsterkenntnis. „Das Drama liegt bei mir in jeder Szene“, gibt er zu.
Dramatisch, aber nicht überdramatisiert?
Bindes größte Herausforderung ist der Balanceakt zwischen intensiver Dramatik und feiner Zurückhaltung, insbesondere in Schlüsselmomenten wie dem Tod des Vaters oder Mozarts eigenem Ende. Diese Szenen sollen die Tragik des Lebens eines Getriebenen zeigen, der schließlich an seiner eigenen Kunst zerschellt – doch ohne die Grenze zur Übertreibung zu überschreiten. „Es ist dramatisch, aber es darf nie überdramatisiert wirken“, betont der junge Nachwuchsdarsteller.
Für Laura Oswald, die Mozarts Frau Constanze spielt, ist die Rolle mehr als nur eine historische Figur. Oswald, die seit Kindheit an Cello spielte, sagt, sie habe den Komponisten auf vielen Ebenen kennen gelernt, aber im Musical „Mozart!“ findet sie den tiefsten Zugang zur Geschichte dieses Paares. „Constanze wird oft nur als Anhängsel Mozarts gesehen“, sagt sie und stellt klar: „Aber im Musical zeigt sie eine ganz andere Seite. Sie ist burschikos, pragmatisch und vor allem unendlich fürsorglich.“ Auch die Parallelen zwischen ihr selbst und ihrer Rolle seien groß, betont Oswald: „Vielleicht sind wir beide ein bisschen vorlaut und flapsig. Doch genau das hilft mir, Constanzes Rolle authentisch und mit einem starken Eigenwillen zu spielen.“
Szenisch anspruchsvoll ist für Oswald die erste Begegnung zwischen Mozart und Constanze, die in einem atemlosen Duett auf der Bühne endet. „Da läuft man manchmal wirklich gegen die Luft an“, lacht sie, während sie beschreibt, wie sie und ihr Kollege sich erst über die Bühne jagen und schließlich singen.
Teamarbeit und kreative Offenheit
Andreas Gergen hebt die Bedeutung von Teamarbeit und kreativer Offenheit bei seiner Inszenierung hervor. „Es war mir wichtig, dass die Darstellerinnen und Darsteller sich wirklich frei entfalten und eigene Impulse setzen“, berichtet er. So gab er den Studierenden viel Raum für eigene Ideen und kreative Ansätze. „Ich bringe einen Plan mit, aber dann lasse ich sie frei kreieren“, erklärt Gergen. In seinen Augen ist diese Freiheit wesentlich, um die künstlerische Kraft des Moments zu nutzen. Er zitiert den legendären Regisseur Walter Felsenstein, der die Sängerinnen und Sänger als kreative Akteure sah und ihnen Spielraum gab, um jeden Abend eine authentische und minimal neue Aufführung zu gestalten.
Für Gergen selbst war die Arbeit mit den jungen Darstellenden eine erfrischende Erfahrung, die ihn, wie er sagt, an die gegenwärtigen Trends und Themen heranführt. „Die Studierenden haben mich inspiriert und gezeigt, was die heutige Generation bewegt“, gesteht der designierte Künstlerische Leiter der Bühnen Baden und gibt zu, dass die Zusammenarbeit ihn immer wieder neu inspiriert.
Ein Höhepunkt der Produktion ist das Münchner Rundfunkorchester, das mit insgesamt 40 Musikerinnen und Musikern eine orchestrale Wucht entfaltet, die dem Musical eine neue klangliche Ausdruckskraft verleiht. „In Wien spielten 28 Musiker, aber in München sind es 40. Es klingt barock und üppig, und die Klangfülle ist ein absoluter Hörgenuss“, schwärmt Andreas Gergen und erwähnt, dass auch Michael Römer, Musikalischer Supervisor der Vereinigten Bühnen Wien als Lizenzgeberin, von der Darbietung des Orchesters begeistert ist.
Ein bissel fürs Herz und ein bissel fürs Hirn
Die Arbeit an „Mozart!“ hat nicht nur den Bühnennachwuchs, sondern auch den Regisseur nachhaltig beeindruckt. „Ich hoffe, dass die Studierenden sich Mozarts Beispiel zu Herzen nehmen: sich treu zu bleiben und sich nicht von Meinungen anderer beirren zu lassen“, sagt er. Am Ende soll das Publikum nach Hause gehen mit einem Gefühl von „ein bissel fürs Herz und ein bissel fürs Hirn“, wie es im gleichnamigen Song im Stück heißt.
Den Stoff, der nicht nur das Leben Mozarts behandelt, möchte Andreas Gergen mit seiner Inszenierung bewusst in die Gegenwart holen und ihn so auch einer jüngeren Generation zugänglich machen. Das Stück spielt deshalb in einer Sporthalle, die Darstellerinnen und Darsteller tragen Sportbekleidung und spielen Mozarts Lebensgeschichte nach. Auch für die Rolle des Amadé als Alter Ego des Künstlers hat sich der Regisseur etwas Besonderes einfallen lassen: das so genannte Porzellankind ist eine weiß-glitzernde Puppe, die von drei Puppenspielern bedient wird. „Ich bin gespannt, wie meine neue Sichtweise beim Publikum und den Autoren ankommt“, sagt Gergen. „Die Proben waren sehr intensiv und emotional, da sind einige Tränen geflossen.“ Als Abschlussproduktion der Münchner Musicalstudierenden wird „Mozart!“ also nicht nur eine Verbeugung vor dem großen Komponisten, sondern auch ein Statement: über Authentizität, über das Künstlersein und über die Kraft, in den großen und kleinen Momenten des Lebens die eigene Melodie zu spielen.
Text: Dominik Lapp