„Alice by Heart“ in Osnabrück (Foto: Dominik Lapp)
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Neues Musical der „Spring Awakening“-Schöpfer: In Osnabrück wird für „Alice by Heart“ geprobt

Das Institut für Musik (IfM) der Hochschule Osnabrück steht kurz vor der Premiere seines diesjährigen Abschlussprojekts der Musicalstudierenden: „Alice by Heart“. Es ist eine aufregende Inszenierung, die unter der Regie von Ansgar Weigner und der Produktionsleitung von IfM-Dekan Sascha Wienhausen auf die Bühne gebracht wird. Das Musical der „Spring Awakening“-Autoren Duncan Sheik (Musik) und Steven Sater (Buch und Songtexte), die Jessie Nelson für das Buch ins Team geholt haben, verspricht ein intensives, emotionales Erlebnis – das wird schon beim Besuch der Hauptprobe deutlich. Doch was macht diese Produktion, die in Osnabrück in der deutschen Übersetzung von Frederike Haas zu sehen sein wird, so besonders?

Im Gespräch mit Regisseur Ansgar Weigner, der am Theater Osnabrück zuletzt „Tootsie“ und „Titanic“ inszenierte, wird klar, dass das Stück nicht gerade einen leichten Zugang bietet. Weigner erzählt offen: „Ich habe das Stück gelesen und dachte nur: Was ist das?“ Und tatsächlich, auf den ersten Blick erscheint „Alice by Heart“ verwirrend und komplex. Es spielt im Jahr 1941 in einer Londoner U-Bahn-Station während des Zweiten Weltkriegs. Hier flüchtet die Protagonistin Alice Spencer in die Fantasiewelt von „Alice im Wunderland“, um dem schrecklichen Kriegsgeschehen zu entkommen. Dabei verarbeitet sie nicht nur die Realität, sondern auch den Verlust ihres Freundes Alfred, der im Wunderland als das weiße Kaninchen und der Märzhase erscheint und an Tuberkulose leidet.

Auseinandersetzung mit dem Tod als zentrales Thema

Das zentrale Thema des Stückes ist das Loslassen und die Auseinandersetzung mit dem Tod. „Es geht darum, zu lernen, wie man mit Verlust und Tod im eigenen Leben umgehen kann“, erklärt der Regisseur. „Jeder von uns muss sich irgendwann mit diesen Themen beschäftigen, sei es durch den Verlust von Familienangehörigen oder Freunden.“ Doch das Musical stellt sich dieser Tragik mit einem tiefen Glauben an die Kraft der Fantasie. „Es geht um die Kraft der Poesie“, betont Ansgar Weigner. „Was kann ein Buch wie ‚Alice im Wunderland‘ oder jede andere Geschichte in uns bewirken? Welche Kraft haben Worte und welche Macht hat die Fantasie?“ Der Konflikt zwischen Realität und Fantasie, zwischen Krieg und Wunderland, prägt das gesamte Stück.

Ansgar Weigner (Foto: Dominik Lapp)
Ansgar Weigner ist der Regisseur von „Alice by Heart“.

Obwohl Weigner das Musical zunächst als „kruden Quatsch“ empfand, hat ihn der intensive Probenprozess von der Tiefe des Stücks überzeugt. Besonders stolz ist er auf die Zusammenarbeit mit den Studierenden: „Ich vertraue den Darstellern vollkommen“, sagt er. „Sie haben viel kreativen Freiraum bekommen, um ihre eigenen Ideen einzubringen, und das haben sie fantastisch gemacht. Es ist ein sehr guter Jahrgang.“ Obwohl die Studierenden noch in der Ausbildung sind, sieht er in ihnen bereits Profis: „Ich gehe auf sie zu wie auf jede andere Kollegin oder jeden anderen Kollegen auch – mit Respekt vor dem Stück und mit der Erwartung, dass wir gemeinsam etwas kreieren.“

Gemeinsame Sprache gefunden

Die Zusammenarbeit mit dem Musikalischen Leiter Martin Wessels-Behrens und dem Choreografen Michael Schmieder war dabei ebenfalls entscheidend für die Entwicklung der Inszenierung. Die intensive Abstimmung zwischen Musik, Regie und Choreografie führte dazu, dass das Team schließlich eine gemeinsame Sprache fand. „Wir haben uns im Vorfeld die Referenzaufnahme der Londoner Produktion angeschaut, die extrem durchchoreografiert ist. Aber ich wollte, dass einige Nummern szenischer werden, damit die Botschaften klarer transportiert werden“, erklärt Ansgar Weigner, der sich als Regisseur nicht nur auf Musicals, sondern auch auf Opern fokussiert.

Außergewöhnliche Herausforderung für Studierende

Für die Studierenden ist „Alice by Heart“ eine außergewöhnliche Herausforderung. Das bestätigt auch Sascha Wienhausen, Dekan des IfM und Produktionsleiter der Inszenierung. Das Musical stand schon lange auf seiner Liste: „Ich hatte es seit Jahren im Auge, weil es einfach ein tolles Stück für junge Darsteller ist“, sagt er. Die Musik sei besonders reizvoll für die Studierenden, da sie eine Mischung aus Pop und Musical darstellt. „Das Stück bietet unseren Studierenden die Chance, sich mit einem zeitgemäßen, poppigen Stil auseinanderzusetzen, der in vielen modernen Musicals gefragt ist.“ Besonders hebt Wienhausen hervor, dass „Alice by Heart“ nicht nur eine zentrale Hauptfigur, sondern viele bedeutende Ensemblerollen bietet: „Alle Figuren haben eine Möglichkeit, sich zu präsentieren und ihre Talente zu zeigen. Das ist besonders wichtig für eine Abschlussproduktion.“

Sascha Wienhausen (Foto: Dominik Lapp)
Sascha Wienhausen ist der Dekan des IfM und Produktionsleiter von „Alice by Heart“.

Das Stück bietet den jungen Darstellerinnen und Darstellern zudem die Gelegenheit, sich in einer Vielzahl von Charakteren zu erproben, darunter auch Tiere und fantastische Wesen aus dem Wunderland. Diese Vielfalt fordert nicht nur schauspielerisches Können, sondern auch eine große Portion Fantasie und Wandlungsfähigkeit.

Brisantes und aktuelles Stück

Was das Thema des Stücks so brisant und aktuell macht, ist die Übertragung der Geschichte von „Alice im Wunderland“ in das kriegsgebeutelte London des Zweiten Weltkriegs. „Das Stück gewinnt in der heutigen Zeit eine unglaubliche Aktualität“, sagt Wienhausen und verweist auf aktuelle Bilder aus dem Ukraine-Krieg, wo Menschen in U-Bahn-Schächten Schutz suchen. „Die Idee, dass Fantasie und Musik eine Möglichkeit sein können, mit dem Schrecken der Realität umzugehen, ist heute genauso relevant wie damals.“

Es ist diese emotionale Tiefe, die sowohl Ansgar Weigner als auch Sascha Wienhausen besonders an dem Stück fasziniert. „Es geht nicht nur darum, dass wir uns in eine Fantasiewelt flüchten“, so Weigner, „sondern darum, wie uns diese Fantasie hilft, mit der Realität klarzukommen. Es ist eine Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen.“

Das Publikum darf sich also auf ein tiefgründiges und gleichzeitig fantasievolles Musicalerlebnis freuen. Doch der Regisseur stellt klar: „Ich möchte nicht, dass die Leute traurig aus dem Theater gehen. Es geht darum, den Schmerz in etwas Positives umzudeuten. Die Botschaft des Stücks ist unglaublich stark und berührend.“

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".