Zweites Online-Symposium verdeutlicht: Theater sind sichere Orte
Zum zweiten Mal hat Stage Entertainment als eines der führenden Unternehmen der Live-Entertainment-Branche zu einem von Kulturjournalistin Julia Westlake moderierten, digitalen Symposium eingeladen. In Impulsvorträgen und einer anschließenden Diskussionsrunde kamen Vertreter aus Forschung, Medien, Tourismus und Kultur zu Wort, die sich für Öffnungsschritte in der Corona-Pandemie aussprachen.
„Die Zuversicht kann man mir auch nach 14 Monaten nicht nehmen“, sagt Uschi Neuss, Geschäftsführerin von Stage Entertainment. Mit dem zweiten Online-Symposium wolle sie in den Austausch kommen, um auf eine mögliche Lösung zuzusteuern. „Ich vertraue dabei auf die Meinungsvielfalt und auf wissenschaftliche sowie technische Lösungen, um Kultur ohne Mindestabstand wieder möglich zu machen“, so die Stage-Geschäftsführerin.
Bei den Diskussionen um Öffnungsschritte für die Kultur geht es nicht nur um die Theatergäste, sondern auch um die Beschäftigten. Rund 1.300 hat Stage Entertainment davon allein in Deutschland. „Wir wollen Perspektiven für unsere Beschäftigten finden“, sagt Kerstin Schnitzler, Produzentin bei Stage Entertainment und aktuell mit dem Aufbau der neuen Musicalproduktion „Wicked“ in Hamburg beschäftigt. „Wir haben sehr schnell das Gespräch mit den Behörden gesucht und mit der Berufsgenossenschaft und dem Amt für Arbeitsschutz ein Konzept erstellt, das uns in die Lage versetzt, wieder zu arbeiten.“
Hygienekonzept für Beschäftigte und Publikum
So gibt es im Theater Neue Flora in Hamburg aktuell tägliche Corona-Selbsttests und zusätzlich zweimal pro Woche PCR-Tests für alle, die nah miteinander arbeiten. Wer zur Probe kommt, muss am Bühneneingang über einen QR-Code einchecken – und es wird nachverfolgt, wer mit wem in welchem Raum des Theaters war. An den Türen gibt es Informationen dazu, wie viele Personen sich maximal gleichzeitig in einem Raum aufhalten dürfen, regelmäßig wird über eine Sprechanlage an das Lüften erinnert. Darüber hinaus wird notiert, wer welche Requisiten – die regelmäßig desinfiziert werden – in die Hand genommen hat.
„Jetzt fehlen uns noch die Gäste“, sagt Kerstin Schnitzler. „Für die haben wir ebenfalls ein sicheres Konzept, um sie ein- und auszulassen und wirtschaftlich spielen zu können.“ Man biete ein sicheres Haus für Gäste, die beim Besuch einen tagesaktuellen negativen Coronatest vorweisen müssen. Der Einlass erfolge dabei kontaktlos, große Foyers, Theatersäle mit einem Volumen von bis zu 32.000 Kubikmetern, eine leistungsstarke Lüftungsanlage, mehrere Ein- und Ausgänge sowie feste Sitzplätze und die Kontaktnachverfolgung sollen den Theaterbesuch sicher machen.
„Was wir im Backstagebereich bereits umgesetzt haben, schaffen wir auch für unsere Gäste“, so Schnitzler. „Dabei brauchen wir keinen, der uns zeigt, wie wir 1.000 bis 2.000 Menschen sicher ins Theater rein- und rausbringen. Was wir brauchen, sind Vertrauen und Mut.“ Dabei ginge es gar nicht darum, gleich morgen wieder zu öffnen, sondern darum, eine langfristige Perspektive zu schaffen, damit Menschen wieder gemeinsam Kultur erleben können. „Dafür arbeiten wir sehr hart, und ab Anfang Juni wären wir in der Lage, dem Publikum ‚Wicked‘ zu zeigen.“
Aerosolforscher macht deutlich: „Theater kann relativ gefahrlos stattfinden“
Zustimmung, die Theater wieder zu öffnen, gibt es vom Aerosolforscher Gerhard Scheuch. „Wir Aerosolforscher haben schon im letzten Jahr ein Positionspapier verfasst, dass wir mehr an die frische Luft müssen. Open Air statt Ausgangssperre. Denn die Ansteckung mit Corona ist zwar ein Innenraumproblem, aber man muss das auch in der Relation sehen, weil ein Theater kein Aufzug ist.“ Kleine enge Innenräume würden die Übertragungsproblematik darstellen, jedoch keine großen Theatersäle. „Je größer ein Raum, desto besser“, so Scheuch. „Denn in großen Räumen verteilen sich die Aerosole und ihre Konzentration wird so gering, als wäre man in einem Freilufttheater.“ Dies gelte besonders für solch große Theatersäle, wie Stage Entertainment sie betreibe.
Außerdem hält Gerhard Scheuch fest, dass 75 Prozent aller Infizierten nicht infektiös sind und somit niemanden anstecken können. „Nur 8 Prozent aller Infizierten gehören zur Gruppe der so genannten Superspreader, also zu den Infizierten, die viele Leute anstecken. Das ist gesichert, das wissen wir mittlerweile.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass man bei einer 7-Tage-Inzidenz von 100 auf einen solchen Superspreader treffe, liege allerdings nur bei 0,1 Prozent. Und selbst dann, so sagt der Wissenschaftler, bestehe kein besonders hohes Infektionsrisiko. Denn sogar in einem kleinen Theater mit 7.000 Kubikmetern könnte man sich bis zu 100 Minuten mit zwei Superspreadern aufhalten, bis die Aerosole eine kritische Grenzdosis erreichten. Durch Masken und Ventilation würde man das Risiko noch einmal enorm mindern, denn in modernen Theatern wird im Saal dauerhaft die verbrauchte Luft abgesaugt und Frischluft zugeführt. „Theater kann relativ gefahrlos stattfinden“, sagt Gerhard Scheuch.
Hygienekonzepte auch auf Kreuzfahrtschiffen und in Hotels
Ein funktionierendes Hygienekonzept, niedergeschrieben auf 90 Seiten, hat man auch beim Kreuzfahrtriesen TUI Cruises. „Seit Juli 2020 haben wir mittlerweile wieder 123 Kreuzfahrten auf 20 Routen mit insgesamt mehr als 86.000 Passagieren durchgeführt“, erzählt der nautische Flottendirektor Dennis Tetzlaff. So habe man sich sogar in der Gästezufriedenheit im Vergleich zu der Zeit vor der Corona-Pandemie enorm verbessert. „Ein gutes Zeichen, dass die Gäste dankbar sind, wenn wir ihnen auf dem Wasser zurzeit etwas bieten können, was in Deutschland noch immer nicht möglich ist.“
Große kulturelle Events stehen immer auch in Verbindung mit Hotelübernachtungen. „In einer Stadt ohne Kultur und Restaurants bleiben die Hotels leer“, konstatiert Daniel Müller von der Hotelkette Motel One. Er wolle die deutsche Politik nicht kritisieren, müsse mit Blick ins Ausland jedoch feststellen, dass in den Nachbarländern die Inzidenzwerte trotz Öffnungen nicht gestiegen seien. „Die Corona-Krise wird uns auch die nächsten Jahre begleiten, weil wir die schließungsbedingten Verluste, die sich massiv auf unser Ergebnis auswirken, erst Ende 2023 oder Anfang 2024 werden ausgleichen können“, so Müller.
„Für unsere Mitarbeitenden, die sich seit einem Jahr im Lockdown befinden, finde ich es traurig und bitter, weil dabei auch die psychische Komponente eine Rolle spielt.“ Die weitere Schließung von Hotels könne er nicht nachvollziehen, zumal ein bewährtes Hygienekonzept bestehe und es keinerlei Infektionen in einem Motel One gegeben habe.
Nachbarländer lockern, Deutschland verharrt im Lockdown
Dass aktuell jedoch keine Öffnungsschritte im Bereich von Kultur und Tourismus gewagt werden, erklärt Matthias Iken, stellvertretender Chefredakteur der Hamburger Abendblatts, mit der „German Angst“. „Natürlich ist Covid-19 keine Grippe, sondern eine ernstzunehmende Krankheit“, sagt Iken. „Trotz allem sollten wir schauen, ob wir nicht in einer Angst gefangen sind. Wir unterhalten uns zu wenig über die Kollateralschäden.“ Während die Nachbarländer lockern, verharre Deutschland im Lockdown. „Dabei hat die Schweiz bei fast identischen Inzidenzzahlen Lockerungen gewagt“.
Matthias Iken glaubt, dass die Deutschen, ausgehend von der „German Angst“, in der Pandemie einen Tunnelblick entwickelt haben. „Zu viel Angst ist ein Problem“, so Iken. „In der Angst-Debatte haben wir uns auf dramatische Szenarien konzentriert. Dabei ist zu kurz gekommen, etwas wie in Tübingen oder Rostock zu wagen.“ Nur weil sich jemand herauswage, sei das noch lange keine Öffnungsorgie. „Ich hätte mir begleitete Öffnungsschritte gewünscht.“
Text: Dominik Lapp