Christoph Drewitz (Foto: Dominik Lapp)
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Interview mit Christoph Drewitz: „Musical ist eine komplexe Kunstform“

Nach seinem Kulturmanagement-Studium kam Christoph Drewitz als Praktikant zur Musicalproduktionsfirma Stage Entertainment, wo er zunächst im Casting tätig war, später zwölf Jahre lang als Künstlerischer Leiter große Musicalproduktionen betreute. Mittlerweile arbeitet er als freier Regisseur, inszenierte unter anderem die Musicals „Fack ju Göhte“ und „Die fabelhafte Welt der Amélie“ in München. Mitten in der Corona-Krise schuf er außerdem das Festival „Rosengärtchen live“ in seiner Heimatstadt Wetzlar, womit wieder Live-Veranstaltungen unter Corona-Bedingungen möglich waren. Im Interview erzählt er, wie ihn die Krise getroffen hat, wie das Festival entstand und warum er für Musicals brennt.

Wie ist die Idee für das Festival „Rosengärtchen live“ entstanden?
Im Frühjahr hätte ich natürlich nicht gedacht, dass ich so was im Sommer durchziehen würde. Aber die Idee entstand durch diese Monate, in denen wir Künstler zu Hause saßen und nicht wussten, wie es weitergeht. Die ersten zwei Monate habe ich erst mal genutzt, um mich zu organisieren. Als Regisseur fängst du ja auch nicht an, mal eben ein Video für Youtube oder Instagram zu drehen. Was sollte ich schon streamen? Allerdings wollte ich mich nicht ergeben und von der Situation herunterziehen lassen. Dafür bin ich nicht der Typ. Also habe ich mich gefragt, wie ich dieser Situation entkommen kann, dabei aber mit meinem Beruf verbunden bleibe.

Und wie sahen dann die Planungen aus?
Ich habe mich mit Michel Honold zusammengesetzt und überlegt, was wir machen können. Zum damaligen Zeitpunkt waren Veranstaltungen mit 100 Besuchern erlaubt. Also dachten wir erst mal an zwei Konzerte. Wir wussten, dass die Freilichtbühne Rosengärtchen in Wetzlar geeignet ist. Also begannen wir damit, ein Hygienekonzept zu schreiben.

Haben Sie jemals zuvor so ein Hygienekonzept geschrieben?
Nein. Wir wussten gar nicht, wie man ein Hygienekonzept schreibt. Aber wir haben uns dann Ende Mai in dieses Thema reingefuchst. Damit sind wir zum Ordnungs- und Gesundheitsamt gegangen und haben es vorgestellt. Parallel hatte ich schon Kontakt mit dem Kultursommer Mittelhessen aufgenommen und diesen als möglichen Mitveranstalter gewinnen können. Ich wusste, die Leute würden im Sommer alle zu Hause hocken, und ich würde zu Hause hocken, weil ich nichts zu tun habe. Dass es am Ende so eine große Nummer werden würde, war anfangs gar nicht absehbar. Das hat sich entwickelt. Aber wir wussten, dass wir es hinkriegen, auch von der Manpower her. Wir durften dann auf 250 Besucher hochgehen, und innerhalb von ein paar Tagen stand das Programm.

Wie schwer war es denn, die Künstler für das Festival zu gewinnen?
Das war gar nicht so schwer. Die Künstler lechzten geradezu danach, wieder auf der Bühne stehen zu dürfen. In einem normalen Jahr wäre das gar nicht möglich gewesen, so kurzfristig gute Leute zu bekommen, weil die alle schon woanders unter Vertrag sind. In dem Sinne war es ein Glücksfall. Und es tat allen unheimlich gut.

Im März kam der Corona-Shutdown, Theater mussten schließen, Veranstaltungen wurden abgesagt. Wie haben Sie diese Ausnahmesituation erlebt?
Zu dem Zeitpunkt bin ich gerade viel gereist, weil ich mir als Jurymitglied vom Deutschen Musical Theater Preis viele Stücke ansehen sollte. Das wollte ich alles im März und April machen, weil ich im Sommer inszeniert hätte. Und auf einmal war es so, als hätte man mich zu Hause eingesperrt und mir das Spielzeug weggenommen. Mitten in einer Schaffensphase. Ich habe viel Kultur konsumiert, aber auch wahnsinnig viel kreativ vorbereitet. Das war schon krass, aus diesem Prozess herausgerissen zu werden. Allerdings dachte ich erst noch, dass das alles schnell vorbeigeht. Das hat ja noch nie jemand erlebt, und es hat auch bei mir lange gebraucht, bis ich das alles realisiert hatte.

Was haben Sie in der Zeit gemacht, nachdem Sie Ihre neue Situation realisiert hatten?
Die kleine Auszeit habe ich zeitweise genossen. Ich wohne in Berlin, war aber viel in meiner Heimatstadt Wetzlar und viel in der Natur. Ich habe mich viel um mich gekümmert, was sonst oft zu kurz kommt. Ich habe auch immer versucht, alles so positiv wie möglich zu sehen und nicht nur die Nachrichten zu verfolgen.

Aber finanziell ist Ihnen doch sicherlich einiges weggebrochen, oder?
Ja, finanziell ist schon einiges weggebrochen. Ich hatte Glück, dass ich kurz zuvor noch einen Job hatte, so dass ich mir im ersten Moment erst mal keine Sorgen machen musste. Irgendwann habe ich dann natürlich schon gedacht, jetzt muss es mal weitergehen, jetzt brauche ich eine neue Perspektive, denn das finanzielle Polster ist endlich. Einen geplanten Umzug habe ich erst mal verschoben und meine Kosten reduziert, wo es ging. Denn wir wissen ja heute noch nicht, wohin der Weg geht – vor allem im Herbst, wenn Open-Airs nicht mehr möglich sind.

Die Frage ist ja auch, ob das Publikum dann wieder ins Theater kommt.
Das ist definitiv ein Lernprozess. Das, was wir mit „Rosengärtchen live“ gemacht haben, war ja nicht normal. Das war ein Schritt auf dem Weg zu etwas mehr Normalität. Ich selbst würde aktuell auch nicht gern mit 700 bis 800 Leuten ohne Abstand im Theater sitzen wollen. Aber wenn nur wenige Leute ins Theater dürfen, damit der Abstand eingehalten werden kann, ist das für staatliche Theater einfacher zu realisieren als für private und kleine Veranstalter. Ich hoffe wirklich, dass von unserer kulturellen Vielfalt viel erhalten bleibt. Denn diese Krise lässt unsere Branche auf jeden Fall schrumpfen. Was wir aber an Vielfalt verlieren werden, ist jetzt noch nicht abzusehen.

Bei „Rosengärtchen live“ hatten Sie einen sehr abwechslungsreichen Spielplan mit Schauspiel, Musical, Konzert und Lesung. Wie wurde dieses Programm zusammengestellt?
Ich bin da größtenteils meinem Instinkt gefolgt. Ich hätte ja auch einfach nur zwei meiner älteren Inszenierungen wieder zeigen können. Das wäre viel einfacher gewesen. Aber ich wollte von Anfang an einen vielfältigen Spielplan machen. Dabei war mir eine Mischung aus regionalen und überregionalen Künstlern wichtig. Also habe ich geschaut, dass es eine Verbindung zu mir oder zu Wetzlar gibt, dass ich die Genres vereinen kann und dass die Künstler auch im Rahmen des Kultursommers darstellbar sind. Und man musste natürlich auch schauen, dass es coronakonform umzusetzen ist. Ich habe versucht, einen Spielplan aufzustellen mit Produktionen, die mich selbst interessiert haben, für die ich mir selbst auch Karten gekauft hätte.

Und wie war letztendlich die Nachfrage?
Wir waren gut besucht, besser als erwartet. Ich bin vorsichtig rangegangen, nicht mit utopischen Zahlen, war mir aber auch immer bewusst, dass sich das Festival finanziell tragen muss. Es war schwer einzuschätzen, wie das Publikum reagieren würde. Es hätte sein können, dass man uns die Tickets aus der Hand reißt. Aber am Anfang war es eher vorsichtig, jedoch durchaus wohlwollend. Wir mussten das Festival ja auch erst mal bekannt machen. Denn keiner hat in der Zeitung auf die Veranstaltungsseite geschaut oder Plakate wahrgenommen, weil ja eigentlich alles abgesagt war. Also mussten wir den Leuten erst mal verdeutlichen, dass wir wieder Live-Veranstaltungen machen. Es war dann oft so, dass die Leute kurzfristig Karten gekauft haben.

Mit dem Musical „Die letzten fünf Jahre“, bei dem Sie Regie führten, haben Sie an zwei Abenden ein Stück gezeigt, das Sie bereits vor 15 Jahren inszenierten. Was hat sich in dieser Zeit verändert? Haben Sie mittlerweile einen anderen Blick auf oder einen anderen Zugang zu dem Stück?
Das ist eine gute Frage. Ich habe natürlich nicht bewusst gesagt, dass wir jetzt alles anders machen als vor 15 Jahren. Aber ich habe gemerkt, dass mein Blick auf die beiden Charaktere des Stücks etwas mehr geschärft ist. Damals in Wuppertal war das meine erste professionelle Inszenierung. Natürlich habe ich jetzt einen anderen Blick auf Cathy und Jamie. Beide haben zu ihrer Situation und der daraus resultierenden Trennung beigetragen. Und diese Reibungspunkte haben wir ein bisschen stärker herauszuarbeiten versucht. Auch Patrick Stanke und Charlotte Heinke, die ja nun in Wetzlar wie schon damals in Wuppertal die Rollen spielten, haben sich in den 15 Jahren weiterentwickelt und konnten eine ganz andere Erfahrung in die Rollengestaltung legen. So verrutscht der Schwerpunkt einer Szene oder eines Songs von ganz allein, ohne dass man krampfhaft etwas anders machen will.

Sie haben Kulturmanagement studiert und sind dann in der Musicalbranche gelandet. Wie kam es dazu?
Ich bin als Praktikant bei Stage Entertainment gelandet und hatte dort im Unternehmen später unterschiedliche Positionen, war zuletzt zwölf Jahre Künstlerischer Leiter. Jetzt bin ich freier Regisseur, weil ich mich weiterentwickeln wollte. Ich hatte dann in München die Gelegenheit, mit „Fack ju Göhte“ und „Die fabelhafte Welt der Amélie“ zwei wunderbare Stücke zu inszenieren. Das war nicht selbstverständlich, dass aus den eigenen Reihen der Stage die Regie besetzt wurde. Dafür bin ich sehr dankbar.

Warum brennen Sie für das Genre Musical so sehr?
Ich bin davon überzeugt, dass für junge Leute die Musik der Zugang zu Live-Theater ist. Mit einem modernen Schauspiel bekommt man junge Leute heutzutage nur schwer begeistert. Wenn du sie vollkommen abholen willst, brauchst du ein verbindendes Element wie Musik, die vielleicht eine Relevanz für sie hat. Musik kann uns den Nachwuchs bei der Stange halten und ins Theater bringen. Deswegen brenne ich fürs Musical. Mit modernem Musiktheater in jeglicher Ausprägung kann man die Leute emotional leichter abholen, obwohl es handwerklich gar nicht leicht ist, das zu erreichen. Schon in meinem Studium musste ich mich immer wieder verteidigen und den Leuten klarmachen, dass das Musical eine komplexe Kunstform ist. Es ist viel aufwändiger als andere Genres, aber das wird hierzulande oft nicht so gesehen und noch immer nur als leichte Unterhaltung abgetan. Im angloamerikanischen Raum hingegen hat das Musical einen höheren und selbstverständlicheren Stellenwert im Kulturbereich. Deswegen engagiere ich mich auch in der Deutschen Musical Akademie. Ich möchte, dass das Musical in Deutschland ernsthaft vorangetrieben wird. Auch wir als Macher müssen immer besser werden. Deswegen habe ich an mich hohe Erwartungen, aber auch an die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Man muss sehen, welche Einflüsse es gibt, wo sie herkommen und wie sich daraus das deutschsprachige Musical weiterentwickelt. Natürlich müssen Klassiker weiterhin gespielt werden, ich bin selbst ein großer Fan des Repertoires. Aber wir müssen hierzulande in der Theaterlandschaft auch mutig genug sein, neue Sachen zu entwickeln, quantitativ und qualitativ.

Interview: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".