Interview mit Elisabeth Bengs: „Es wird einem nichts geschenkt“
Elisabeth Bengs ist frisch gebackene Musicaldarstellerin. Während ihrer dreijährigen Ausbildung an der Stage School spielte sie unter anderem bereits Elle Woods im Musical „Natürlich Blond“ am First Stage Theater Hamburg, wo sie jetzt als Val in „A Chorus Line“ auf der Bühne steht. Im Interview spricht die Newcomerin über ihren Weg, ihre Erlebnisse und ihre Ausbildung, erzählt von Herausforderungen und gewährt Einblicke in ihre noch sehr junge Karriere.
Du hast schon als Jugendliche Musical gespielt. Was genau hast du da gemacht?
Ja, das stimmt. Ich habe ein sehr künstlerisch-musisches Gymnasium in Bremen besucht, wo man die Möglichkeit hatte, sich alle zwei Jahre fürs Schulmusical zu bewerben. Während meiner Schulzeit habe ich in „Oliver!“, „Hello Dolly“ und „Titanic“ mitgespielt. Das war toll.
Wann entstand der Wunsch, das beruflich machen zu wollen?
Ich habe schon sehr früh Musicals besucht. Ich denke, ich muss drei oder vier Jahre alt gewesen sein, als ich „Prinzessin Lillifee“ in Bremen gesehen habe. Das fand ich damals schon richtig klasse und bin dann häufiger ins Theater gegangen, habe mich für Shows interessiert und war letztlich im August 2018 mit meiner Mutter in „Kinky Boots“. Das hat mich richtig gecatcht. Danach war ich so unfassbar glücklich, dass ich das auch machen und anderen Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern wollte. Zu dem Zeitpunkt bin ich gerade in die 11. Klasse gekommen und mir war klar, ich werde Musicaldarstellerin.
Und dann hast du die Aufnahmeprüfung gemacht?
Ja, das war eine schwierige Sache, weil ich 2020 Abi gemacht habe und Corona losging. Die Stage School kannte ich schon länger und wusste auch, dass dort Workshops angeboten werden und so ein Workshop auch die Aufnahmeprüfung ersetzen kann. Allerdings wusste ich auch, dass die Ausbildung sehr kostspielig ist und ich mir die gar nicht leisten kann. Aber ich bin dann einfach mal hingegangen und hatte das Glück, dass man mich zur Stipendiumsprüfung eingeladen hat. Anschließend bekam ich einen Anruf und man hat mir ein 50-Prozent-Stipendium angeboten, was für mich machbar war.
Hast du eine Disziplin innerhalb des Musicals, die dir besonders am Herzen liegt?
Ich mag alle drei Disziplinen. Aber ich bin an die Schule gekommen mit dem Wissen, dass ich viele Vorkenntnisse im Tanzen habe. Gesang habe ich immer mal so nebenbei gemacht, hatte aber nie Gesangsunterricht. Schauspiel habe ich auch gerne gemacht, aber auch nie Unterricht genommen. Mit dem Tanzen bin ich recht gut klargekommen, aber während des ersten Ausbildungsjahres habe ich mich gern dahinter versteckt, bis ich mir Mitte zweiten Jahres leider einen Bänderriss zugezogen habe und somit nicht mehr viel mit Tanzen war. Somit hatte ich viel mehr Zeit, mich auf Gesang und Schauspiel zu fokussieren und habe besonders im Gesang sehr viel geübt, geackert und es lieben gelernt. Jetzt mag ich Gesang sogar lieber als Tanzen!
Was ist dir aus der Ausbildung besonders im Gedächtnis geblieben?
Als allgemeinen Satz würde ich dazu sagen: Es wird einem nichts geschenkt. Du musst dir alles selbst erarbeiten. Du bekommst Chancen, aber wenn du dich nicht dransetzt und nicht dafür arbeitest, werden die Chancen geringer. Diese Selbstdisziplin ist das, was man an der Stage School lernt. Ich kannte das zwar schon von früher, als ich Leistungssport gemacht habe. Aber in der Ausbildung war es noch mal ein komplett anderes Ding. Du gehst in die Schule, machst da deine Aufgaben, kommst nach Hause und wiederholst alles, weil es einfach in den Körper reinkommen muss. Sehr prägend waren für mich außerdem die Shows während der Ausbildung. Da habe ich gelernt, wie ich mit meiner Energie haushalten muss und dass ich mich abends zum Beispiel nicht mehr mit Freunden treffe, sondern nach Hause gehe, damit ich am nächsten Tag wieder für den Unterricht fit bin, weil das ja parallel lief: morgens Schule, abends Bühne. Zusammenfassend kann man sagen, ich habe gelernt, wie man am besten mit der eigenen Energie haushält, wann man sie rauspowert und wann man eher einen Schritt zurückgeht.
Das First Stage Theater, wo du jetzt Val in „A Chorus Line“ spielst, kennst du bereits durch Produktionen während der Ausbildung. Das Haus heißt ja deshalb First Stage, weil es für viele Schülerinnen und Schüler die erste professionelle Bühne ist, auf der sie stehen. Was bedeutet diese Bühne für dich?
Das Haus ist natürlich ein großer Luxus für die Schüler, weil sie die Möglichkeit haben, über eine Audition hier auf die Bühne zu kommen. Das Haus ist klein und überfordert einen auch nicht direkt so, als wenn man sofort auf eine große Bühne kommt, wo man vor 2.000 Menschen spielt. Es hat einfach eine sehr schöne Größe, man sieht von der Bühne tatsächlich bis in die letzte Reihe. Auch die Größe der Bühne ist super – nicht zu klein und nicht zu groß. Dazu kommt die familiäre Atmosphäre, die ich sehr schätze.
Zum Ende des zweiten Ausbildungsjahres hast du Elle Woods in „Natürlich Blond“ gespielt. Wie war das, so eine große Rolle in einer Profiproduktion zu spielen?
Zunächst mal war mir bewusst, dass alle „Natürlich Blond“ kennen – entweder den Film oder das Musical. Ich bin zur Elle-Audition gegangen und dachte mir innerlich: Okay, wenn du die Rolle jetzt wirklich bekommen solltest, musst du dich echt dransetzen, weil das so viel zu lernen ist. Ich habe nachts für den nächsten Probentag gelernt, was echt hart war. Aber die Freude, die ich an dem Stück und an der Rolle hatte, haben mir einen riesigen Ansporn gegeben. Ich bin froh, dass wir das in der kurzen Zeit alles durchgezogen haben. Es hat so viel Spaß gemacht, und Elle ist mir unglaublich ans Herz gewachsen.
Kanntest du den Film vorher?
Ja, den kannte ich. Den Film haben wir in der 9. Klasse in der letzten Stunde vor den Ferien mal mit unserem Chemielehrer gesehen. Da fand ich Elle schon so sympathisch.
Was war die größte Herausforderung an dieser Rolle?
Stimmlich hauszuhalten. Und ich war mir auch nicht sicher, ob ich nach meinem Bänderriss wieder fit genug sein würde, um „Natürlich Blond“ zu machen. Es hätte ja sein können, dass es immer noch wehtut und einfach nicht geht. Im Endeffekt hat es funktioniert, und ich konnte auch viel am Gesang arbeiten. Das Stück ist wirklich eine Hausnummer. Ich hatte backstage nur wenige Sekunden, um zwischen den Szenen einen Schluck zu trinken, während man von zwei Leuten umgezogen wurde. Aber es hat richtig Spaß gemacht.
Im Anschluss an deine Ausbildung hast du die Rolle der Val in „A Chorus Line“ bekommen. Was macht für dich den Reiz an diesem in Deutschland sehr selten gespielten Stück aus?
Ich hatte das Stück mal gesehen, als ich noch kleiner war. Und es war nicht meins. Als ich es mir später noch mal angesehen habe, konnte ich gar nicht mehr nachvollziehen, warum ich es erst nicht so toll fand. Wahrscheinlich war ich einfach zu jung, weil es großartig gemacht ist, man von jedem Charakter etwas erfährt und man auch einen guten Blick hinter die Kulissen des Theaters bekommt. Wenn ich jetzt gerade mit der Ausbildung beginnen würde, fände ich das echt spannend, um zu gucken, wie das abläuft bei einer Audition. Der Reiz daran ist auch, dass das Stück nicht nur oberflächlich erzählt wird, sondern man auch unter den einzelnen Charakteren noch die kleinen Geschichten hat. Alle haben ihr Päckchen zu tragen.
In dem Stück geht es um eine Audition für eine Broadway-Produktion und die Erfahrungen, von denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Rahmen dieser Audition berichten. Nun kommst du gerade frisch aus der Ausbildung, hast noch nicht so viel Audition-Erfahrung. Kannst du dich in die Situation trotzdem gut einfühlen?
Soweit ich es beurteilen kann, ist es sehr authentisch. Man kann sich irgendwie mit jeder Person – ob männlich, weiblich oder divers – total identifizieren. Ob es Maggie ist, die das Tanzen nutzt, um mithilfe ihrer Fantasiewelt dem echten Leben zu fliehen. Oder Connie, die immer zu klein ist. Oder Sheila, die vielleicht bald zu alt sein könnte und sich fragt, was nach der Bühne kommt. Das Tolle an dem Stück ist, dass es echte Geschichten sind, die von den Charakteren erzählt werden. Obwohl ich noch nicht so viele Auditions gemacht habe, kann mich sehr gut in die einzelnen Rollen und Situationen hineinfühlen.
„A Chorus Line“ hat eine Spieldauer von mehr als zwei Stunden, gespielt wird aus lizenzrechtlichen Gründen ohne Pause. Das muss sehr anstrengend sein.
Das ist es auf jeden Fall. Vor allem die erste Hälfte, weil man sehr viel steht. In der zweiten Hälfte ist mehr Bewegung drin. Ich muss sagen, dass ich das Stehen wesentlich anstrengender finde als die Tanznummern. Vor allem, weil man immer auf derselben Position steht und nicht mal eben ein bisschen nach links oder rechts laufen kann.
Wie viel Elisabeth steckt in Val? Wie hast du die Rolle erarbeitet?
Natürlich gibt man in jede Rolle etwas von sich selbst rein. Man bekommt aber auch vom Regisseur gesagt, wie er es gerne hätte. Es ist also ein Zwischending. Bei mir war es so, dass ich bei „Natürlich Blond“ viel Elisabeth in Elle gesteckt habe und bei „A Chours Line“ viel Elle in Val. Ich finde beide Rollen recht ähnlich – sowohl charakterlich als auch von den Äußerlichkeiten.
Beide tragen gern Pink.
Ja. (lacht) Und es sind auch diese Fröhlichkeit und Unbeschwertheit, was beide haben.
In der Außenwerbung für „A Chorus Line“ wird auch ein Video von dir als goldglitzerndes Showgirl verwendet. Wie war das, als du dich das erste Mal auf der großen Videowand auf den Hamburger Straßen gesehen hast?
Ich konnte es nicht glauben, denn es war wirklich riesig. Und vor allem wusste ich gar nichts davon. Natürlich haben wir gedreht. Aber ich dachte, das ist für den Trailer. Dass sie allerdings mein Gesicht riesengroß auf Leuchttafeln packen, wusste ich nicht. Und es lief einfach gleichzeitig auf drei Tafeln auf St. Pauli. Ich konnte es nicht fassen und hatte damit einen kleinen Sabrina-Weckerlin-Moment, weil ja ganz Hamburg mit ihr als Elsa gepflastert war. Das war keine Selbstverständlichkeit für mich.
Das klingt nach einem Broadway-Moment.
Total! Und mir ist da noch mal bewusst geworden, wofür ich die letzten Jahre gearbeitet habe.
Interview: Dominik Lapp