Interview mit Hannah Miele: „Ich hatte Glück und einen Vertrauensvorschuss“
Einst sang sie im Kinderensemble der Freilichtspiele Tecklenburg. Später wechselte sie dort in den Chor, sprang nach einer Regiehospitanz kurzerhand im Ensemble bei „Spamalot“ ein und entschied sich, es richtig anzupacken und Musical zu studieren: Hannah Miele. Die sympathische Nachwuchsdarstellerin steht jetzt kurz vor ihrem Abschluss, hat zwischenzeitlich Rollen in „Jekyll & Hyde“ sowie „Jesus Christ Superstar“ übernommen und wird im Sommer in allen drei Musicalproduktionen in Tecklenburg auf der Bühne stehen. Über dieses Back-to-the-Roots spricht sie im Interview genauso wie über ihr Studium und darüber, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein.
Du schließt in Kürze dein Musicalstudium am Institut für Musik (IfM) in Osnabrück ab. Bist du schon im Stress?
Ziemlich im Stress! (lacht) Ich hatte das Glück, dass ich im ganzen letzten Studienjahr bereits arbeiten durfte. Das hat mich wahnsinnig vorangebracht. Anfang März ging das neue Semester los, da war es schon viel. Ich habe mich auf die Tanzprüfungen vorbereitet, meine Bachelorarbeit geschrieben, mich auf die Proben in Tecklenburg vorbereitet, wo ich im Sommer in allen drei Musicalproduktionen spielen werde. Jetzt laufen die Proben für „Madagascar“ und ich muss mir den Tag gut einteilen.
Was war deine Initialzündung für das Studium? Wie entstand das Interesse am Musical?
Mein Papa ist Ton- und Lichtingenieur und war im Sommer immer bei den Freilichtspielen Tecklenburg in der Technik tätig. Da habe ich ihn oft begleitet und dann im Alter von neun Jahren gesagt, dass ich jetzt auch auf die Bühne möchte. Also sang ich erst im Kinderensemble, bin dann da rausgewachsen und in den Chor gewechselt, wo ich bei „Shrek“ und „Saturday Night Fever“ dabei war. Als ich Abitur gemacht habe, war mir schon klar, dass das mein Beruf werden soll. Klar, ich habe auch überlegt, etwas anderes zu machen. Trotzdem wollte ich es mit dem Musical versuchen, weil ich mir gesagt habe, dass es besser ist, es auszuprobieren und zu scheitern, als es nicht zu wagen und nie zu wissen, wie weit ich gekommen wäre. Rückblickend war das die richtige Entscheidung. Es ist echt krass, was bis jetzt schon alles geklappt hat. Klein-Hannah wäre sicher sehr stolz.
Und wohin führte dich dein Weg nach dem Abi?
Ich habe meine Musicalausbildung an der Stage School in Hamburg begonnen, wo ich ein Jahr war. Anschließend bin ich zum Conservatory of Performing Arts nach Norderstedt gewechselt, das leider Insolvenz anmelden musste. Schlussendlich bin ich dann am Institut für Musik der Hochschule Osnabrück gelandet und mache hier jetzt meinen Abschluss.
Womit ist ein Tag im Musicalstudium ausgefüllt?
Es gibt die drei Hauptbereiche Tanz, Gesang und Schauspiel sowie verschiedene Unterkategorien. Tanz steht in der Regel jeden Tag auf dem Stundenplan. Dazu kommt Schauspiel, Gesang, Liedinterpretation und Korrepetition. Ganz grob kann man sagen, dass ein halber Tag immer Tanz ist, die andere Hälfte unterteilt sich dann in anderen Unterricht.
Tanz nimmt so einen großen Teil ein?
Ja, wir haben Ballett und Jazz dreimal pro Woche. Dazu kommen Steppen und Ensembletanz. Beim Tanz geht es sehr stark um Wiederholung und Aufbau. Die Muskeln und Bänder brauchen Wiederholung und Training, damit man sich steigern kann. Irgendwann bekommt man das Bein dann drei Zentimeter höher. Ich würde aber nicht sagen, dass der Schwerpunkt in Osnabrück auf Tanz liegt – das hält sich durchaus die Waage mit Gesang und Schauspiel. Beim Tanz ist nur eben wahnsinnig viel Training nötig.
In die Zeit deines Studiums fiel auch die Corona-Pandemie. Wie hat der Unterricht in dieser Zeit funktioniert?
Rückblickend muss ich sagen, dass uns die Hochschule und insbesondere unser Dekan Sascha Wienhausen sehr viel ermöglicht hat. Tanzunterricht lief zum Beispiel online mit einem Stuhl als Ballettstange, Jazz-Unterricht im WG-Zimmer, Gesang auch zu Hause. Aber mit Masken und Tests war relativ schnell wieder Unterricht im Institut für Musik möglich, wo der Tanzraum regelmäßig desinfiziert werden musste, man seine eigenen Handtücher mitbrachte und so weiter. Trotzdem hat man die zwei Lockdowns gemerkt – wobei ich froh bin, dass ich in der Zeit noch im Studium und noch nicht im Job war.
Verständlich, denn in der Corona-Zeit hat die Kulturbranche schließlich brachgelegen. Hat dich das nicht entmutigt oder sogar an deinem Traumberuf zweifeln lassen?
Zweifel gab es nicht, aber es war hart. Vor allem kam ich gerade von einer Schule, die Insolvenz angemeldet hatte. Ich wollte mich also aufs Studium an der neuen Hochschule konzentrieren – und dann folgte der erste Lockdown und es hieß erst mal, dass wir schließen. Da dachte ich echt, das kann nicht wahr sein, ich möchte doch einfach nur meinen Beruf erlernen und bekomme so viele Steine in den Weg gelegt. Allerdings wusste ich auch, dass das IfM eine staatliche Institution ist, die so eine Krise überstehen wird und es somit kein Aus für immer ist. Corona war allerdings auch eine Chance für die Theater, sich selbst, einzelne Sparten und das Musical zu überdenken. Das merkt man jetzt, denn es gibt teilweise neue Ideen und Strukturen.
Schon während deiner Ausbildung hast du immer wieder in professionellen Musicalproduktionen wie „Spamalot“, „Jekyll & Hyde“ oder „Jesus Christ Superstar“ auf der Bühne gestanden. Wie hat sich das entwickelt, bereits als Studentin solche Jobs zu bekommen?
Ich denke, ich hatte Glück und einen Vertrauensvorschuss. Bei „Spamalot“ in Tecklenburg war es so, dass eine liebe Kollegin schwanger wurde und nicht mehr spielen durfte. Da war ich als Regiehospitantin, die schon ein Jahr Musicalausbildung an der Stage School hinter sich hatte, zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Weil die Produktion eine Woche vor der Premiere stand, durfte ich dort im Ensemble einspringen. Unsere Choreografin Kati Heidebrecht hat mich dabei sehr unterstützt. Bei „Jekyll & Hyde“ in Merzig war es mein Gesangslehrer Marc Seitz, der Musikalischer Leiter bei der Show war und mich mitgenommen hat. Das war eine riesige Ehre und für mich besonders toll, weil ich im Grunde mit meinem Lehrer, der mir immer wieder stimmliche Anweisungen geben konnte, beim ersten Job war. Daraus ist dann auch das Engagement bei „Jesus Christ Superstar“ in Wuppertal entstanden, weil sie durch „Jekyll & Hyde“ gesehen haben, dass ich kurzfristig einspringen und in 48 Stunden eine Show lernen kann.
Mit dem IfM-Neubau gab es eine schöne Veränderung für euch Studierende. Vorher wart ihr an verschiedenen Standorten im Osnabrücker Stadtgebiet verteilt, jetzt alle an einem Campus vereint. Das ist sicher ein enormer Gewinn, oder?
Absolut. Es war genau die richtige und eine schöne Veränderung. Man ist jetzt viel mehr in das IfM integriert. Vorher gab es so eine Art Agrenzung zwischen IfM und Musical. Jetzt lernen wir die anderen Bereiche und Studierenden besser kennen und können besonders die Pausen viel besser für uns nutzen, die man früher damit verbracht hat, durch die Stadt zu fahren. Auch die Räumlichkeiten sind toll – und ich durfte da wunderbare Projekte machen wie „Das Geheimnis des Edwin Drood“, „Soho Cinders“ und das Absolventenvorsingen.
Wie haben dich diese Engagements im Studium weitergebracht?
Das bringt unfassbar viel. Man sieht sich endlich mal auf der anderen Seite der Bubble. Bei „Jekyll & Hyde“ hatte ich tolle Kolleginnen und Kollegen, die mich großartig unterstützt haben. Die sind alle so gut in ihrem Job und wollten einfach ihre Erfahrungen mit mir teilen. Also alles andere als Ellbogen-Mentalität, die es in unserem Beruf ja auch durchaus gibt. Das hat mich motiviert und gleichzeitig geerdet.
Nach deinem Studium startest du jetzt direkt durch und wirst im Sommer 2023 in allen drei Musicals der Freilichtspiele Tecklenburg zu sehen sein. Es geht für dich also back to the Roots. Wie sehr freust du dich darüber?
Ich freue mich wahnsinnig! Das ist eine Ehre und auch wieder ein Vertrauensvorschuss. Natürlich habe ich in der Zwischenzeit andere Shows gemacht, aber dass man mir das Vertrauen entgegenbringt, im Sommer insgesamt 77 Vorstellungen zu spielen und drei Probenzeiten zu absolvieren, freut mich unglaublich.
Das ist sehr gut nachvollziehbar. Du bist schließlich als Chormädchen aus Tecklenburg weggegangen und kommst als ausgebildete Musicaldarstellerin wieder.
Ja, es ist wirklich so. Ich glaube, das hat es in Tecklenburg noch nicht gegeben, dass ein Teenager die Bühne verlässt, ein paar Jahre später als Profi zurückkommt und in allen drei Produktionen mitspielt. Ich hätte mich auch über jedes andere Engagement gefreut, aber dass es jetzt Tecklenburg wurde, ist ganz besonders. Ich erinnere mich noch gut, wie sehr mich als Kind die Darstellerinnen und Darsteller dort fasziniert haben. Jetzt bin ich selbst Darstellerin und darf diese Faszination an eine andere Kindergeneration weitergeben.
Parallel in drei Musicals zu spielen, dürfte stressig werden. Wie wirst du mit deinen Kräften haushalten?
Ich bin zum Glück körperlich sehr fit und habe schon zur Vorbereitung versucht, möglichst viel Sport zu machen. Außerdem habe ich mir gute Sportschuhe gekauft, um die Proben auf dem harten Asphalt zu überstehen und meine Füße und Knie so gut wie möglich zu schonen. Außerdem habe ich mir ein Apartment in Tecklenburg gesucht, damit ich nicht von meiner Wohnung in Osnabrück oder meinem Elternhaus in Ibbenbüren pendeln muss. Ich habe mich relativ schnell dafür entschieden, mir vor Ort etwas zu suchen, damit ich möglichst kurze Wege habe und nicht so viel Zeit im Auto oder auf der Vespa verbringe. Ich brauche einen Rückzugsort, wo ich mich ausruhen, schlafen, vorbereiten und vielleicht mal etwas Leckeres kochen kann.
Interview: Dominik Lapp