Interview mit Jonas Hein: „Ich möchte das Publikum voll mitnehmen“
Jonas Hein gilt längst nicht mehr als Geheimtipp unter deutschen Musicaldarstellern. Nachdem er einige Jahre festes Ensemblemitglied am Theater für Niedersachsen war, startete Hein anschließend als freier Künstler durch und übernahm Hauptrollen in Musicals wie Disneys „Der Glöckner von Notre Dame“, „Tanz der Vampire“, „Jacob und Wilhelm“ oder „Knockin‘ on Heaven‘s Door“. Bei den Bad Hersfelder Festspielen steht Jonas Hein aktuell als Wilhelm Jerusalem im Musical „Goethe!“ auf der Bühne. Im Interview spricht er über diese und frühere Rollen, das Arbeiten auf einer Freilichtbühne, Einspringer-Druck und eigene Musik.
Sie spielen dieses Jahr zum ersten Mal in Bad Hersfeld. Sind Sie in der Stadt gut angekommen?
Ja, ich bin sehr gut angekommen und etwas außerhalb in einer kleinen Dachgeschoss-Wohnung untergebracht.
Wie war die Probenzeit?
Ich hatte eine sehr schöne Probenzeit. Wir sind in diesem Jahr ein paar neue Leute bei „Goethe!“ und hatten deshalb eine Woche früher Proben, um uns einzugrooven. Die anderen, die schon im vergangenen Jahr dabei waren, sind später dazugekommen. Es war wahnsinnig viel Input in der ersten Woche, was mit dem Tempo von Gil Mehmerts Inszenierung zu tun hat.
Wo wird in Bad Hersfeld eigentlich geprobt, wenn noch nicht auf der Originalbühne in der Stiftsruine?
Wir haben in der Stadthalle geprobt, wo auch das Bühnenbild komplett aufgebaut war.
Im Musical „Goethe!“ spielen Sie Goethes Studienfreund Wilhelm Jerusalem. Was ist das für ein Typ?
Wilhelm ist ein Systemsprenger, wie Gil Mehmert sagen würde. Im Gegensatz zu Goethe möchte sich Wilhelm zwar anpassen, merkt aber schnell, dass ihm das nicht gelingt. In der Liebe geht es ihm nicht anders. Er verliebt sich in eine verheiratete Frau, was viele Schwierigkeiten mit sich bringt. Wilhelm Jerusalem ist sehnsuchtsgetrieben und ein unglaublich intelligenter Mann, der die Last der Welt auf seinen Schultern trägt und irgendwann merkt, dass er auf dieser Welt nicht glücklich sein kann.
Das Musical basiert auf dem gleichnamigen Film von Philipp Stölzl. Kannten Sie den Film oder haben ihn vielleicht sogar im Zuge der Rollenerarbeitung angesehen?
Ich habe ihn während der Probenzeit gesehen und wusste vorher gar nicht, dass das Musical auf diesem Film basiert. Das war interessant zu sehen, wie Dinge daraus für die Bühne adaptiert wurden. Natürlich sind Dramaturgie und Ablauf im Musical aber etwas anders.
„Goethe!“ zeichnet ein sehr schnelles Erzähltempo aus. Ist das ein Unterschied zu anderen Produktionen, in denen Sie bisher gespielt haben?
Das Besondere bei „Goethe!“ ist, dass alle Darstellerinnen und Darsteller – mit Ausnahme von Goethe und Lotte – in mehreren Rollen und Positionen agieren. Es ist eine Herausforderung, wenn man schon Passant und Student gespielt hat, bevor man seine eigentliche Rolle etablieren darf. Aber das macht natürlich den Reiz aus, weil alle an allem beteiligt sind. Das ist schon anders als bei anderen Musicals. Mephisto taucht zum Beispiel immer wieder auf – als Kutscher und Briefträger. Durch das hohe Erzähltempo wird das Publikum außerdem angetrieben, aktiv dabeizubleiben, um nichts zu verpassen. Das ist eine Qualität, die Gil Mehmert auszeichnet. Generell hat „Goethe!“ eine großartige Dynamik, wenn vorne noch eine Szene gespielt wird, während es dahinter schon in die nächste fließend übergeht.
Haben Sie eine feste Vorgehensweise, wie Sie eine Rolle erarbeiten oder ist das abhängig von der Produktion oder der inszenierenden Person?
Ich persönlich versuche, mich von Filmen oder Büchern nicht beeinflussen zu lassen, sondern durch den Probenprozess und das Ertasten der Rolle innerhalb der Proben einen eigenen Eindruck zu bekommen. Wenn sich das gefestigt hat, greife ich zum Ursprungsmaterial wie zu einem Roman oder Film zurück. Eine feste Vorgehensweise zu haben, außer dass man sich vor Probenbeginn schon mit dem Text beschäftigt und in die Musik hineinhört, ist sowieso völlig irrelevant. Sobald man in die Probe kommt, vielleicht mit einer neuen Regisseurin oder einem neuen Regisseur arbeitet, werden die Karten neu gemischt. Es gibt Leute, die improvisieren wollen und uns frei arbeiten lassen, aber auch Leute, die superstreng sind und sehr stringent ihre Vorstellungen von einem Stück durchsetzen wollen. Man muss sich also immer anpassen.
Zu Beginn Ihrer Musicalkarriere waren Sie vier Jahre festes Ensemblemitglied am Theater für Niedersachsen (TfN) in Hildesheim. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?
Hildesheim war für mich nach dem Studium das Beste, was mir passieren konnte. Man kann sich im Studium auf alles vorbereiten, aber nicht auf den Beruf selbst. Das lernt man erst im Betrieb und im Spielen. Hildesheim ist sehr gut für junge Leute, die ambitioniert und willens sind, viele verschiedene Rollen zu spielen. Ich habe dort Charaktere gespielt, für die ich auf dem freien Markt nie in Frage gekommen wäre und für die ich mich wahrscheinlich nicht mal beworben hätte. Ich möchte behaupten, dass ich am TfN alles gelernt habe, was ich jetzt in Produktionen immer wieder nutzen kann. Trotzdem hat Hildesheim seine Grenzen, rein konzeptionell und das Budget betreffend. Die Rahmenbedingungen sind irgendwann ausgeschöpft und man merkt, egal wie interessant die Rollen noch werden könnten, dass man sich innerhalb dieses Rahmens nicht weiter ausbreiten kann. Ich hatte ursprünglich geplant, nach drei Jahren zu gehen, bin aber eine weitere Spielzeit geblieben, weil ich unbedingt noch Gabe in „Next to Normal“ spielen wollte.
Wie ging es danach weiter?
Danach habe ich mir erst mal einen Agenten gesucht, weil ich noch gar keine Berührungspunkte mit dem freien Markt hatte. Wo geht man hin? Wo bewirbt man sich? Wo gibt’s die Angebote? Das waren zentrale Fragen, die ich mir gestellt habe. Ich musste erst mal auf der Bildfläche erscheinen, nachdem ich vier Jahre fest an einem Theater engagiert war. Dafür hatte ich schon eine zweiseitige Vita vorzuweisen, auf der rund 20 Produktionen standen. Ich bin dankbar, dass ich dadurch für einige Theater interessant war, weil ich vielfältig besetzbar bin. Relativ schnell hat sich dann auch herauskristallisiert, dass ich für solistische Rollen verpflichtet werde.
Dann ging es richtig los für Sie: Hauptrollen im „Glöckner von Notre Dame“, bei „Tanz der Vampire“, in Uraufführungen wie „Jacob und Wilhelm“ oder „Knockin‘ on Heaven‘s Door“. Was war eine Rolle, die Sie besonders herausgefordert hat und warum?
Das war definitiv der Glöckner. Wenn ich vorher irgendeine Rolle anstrengend fand – der Glöckner hat alles getoppt. Das war eine richtig heiße Phase, nicht nur die Rolle selbst. Denn es war meine erste Long-Run-Produktion bei Stage Entertainment und ich musste erst mal lernen, mit meinen Kräften für acht Shows in der Woche zu haushalten. Ich habe das Stück in Berlin, München und Stuttgart gespielt und war innerhalb dieser knapp zwei Jahre auf sämtlichen Positionen, erst Swing, dann Cover, Alternate und Erstbesetzung. Der Glöckner ist eine Rolle, die wahnsinnig herausfordernd ist – sowohl physisch als auch aufgrund der hohen Emotionalität dieser Rolle. Quasimodo macht eine krasse Entwicklung durch vom kleinen naiven Wesen, das sich einfach nur nach draußen wünscht, um unter Menschen zu sein. Dann ist er das gepeinigte und ausgepeitschte Monster, das sich verliebt und später zum Mörder wird. Ein Ritterschlag war allerdings auch, dass ich mit Anfang 30 den Grafen von Krolock in „Tanz der Vampire“ spielen durfte.
Bei dem Konzertformat „This is the greatest Show“ waren Sie Walk-in-Cover für Jan Ammann und haben ihn mehrfach vertreten. Nicht wenige Menschen sollen vor allem wegen ihm ein Ticket für die Tour gekauft haben. Lastete auf Ihnen somit ein gewisser Druck, wenn man der Einspringer ist?
Selbstverständlich kann ich es nachvollziehen, wenn man sich wegen eines Künstlers, mit dem namentlich geworben wurde, ein Ticket gekauft hat und man dann enttäuscht ist, wenn ausgerechnet dieser nicht auftritt. Ich versuche dann, durch meine Leistung zu überzeugen und die anfängliche Enttäuschung in Vergessenheit geraten zu lassen. Mein Ansporn ist immer, das Publikum voll mitzunehmen. Es gibt auf unterschiedlichen Plattformen regelmäßig Diskussionen darüber, wer spielt. Das ist schade, weil das eigentliche Produkt dadurch immer etwas in Vergessenheit gerät. Die Leute konzentrieren sich nur noch darauf, welche Künstlerinnen und Künstler mitwirken. Es geht nicht mehr um die Show, egal ob Konzert oder Musical. Gerade in diesen schwierigen Zeiten, wo jederzeit jemand wegen Corona kurzfristig ausfallen kann, finde ich es großartig, dass Veranstalter wie Semmel Concerts und Sound of Music Concerts Positionen doppelt besetzt haben und dadurch den Showbetrieb sicherstellen können, statt abzusagen.
Sie haben dieses Jahr Ihre erste Single rausgebracht und gemeinsam mit Celena Pieper ein Konzert gegeben. Wollen Sie das weiter forcieren, also nicht nur Rollen zu spielen, sondern auch Konzerte zu geben und eigene Musik zu machen?
Ja, unfassbar gern. Ich habe es viel zu lange schleifen lassen. Ich bin als Musicaldarsteller immer an das gebunden, was mir das Buch oder der Regisseur vorgibt. Man ordnet sich also unter und erzählt die Geschichten von anderen. Ich habe mich mehr oder weniger immer danach gesehnt, eigene Sachen zu machen und eigene Geschichten zu erzählen. So entstand die sehr glückliche Konstellation mit Claudio Gottschalk-Schmitt, Jonathan Reitze und mir – mehr oder weniger aus Spaß. Wir haben dann den Song „Alles zieht vorbei“ gemacht und wollen daran anknüpfen. Und Celena Pieper ist meine Seelenverwandte, die ich durch „Tanz der Vampire“ kennen gelernt habe und mit der ich wahnsinnig gern mal eine CD aufnehmen würde. Der Konzertabend mit ihr in Hamburg war unglaublich und das Publikum war so dankbar, dass wir das wiederholen möchten.
Interview: Dominik Lapp