Interview mit Katja Berg: „Wenn das Fundament bröckelt, bricht alles auseinander“
Evita, Milady de Winter oder Roxie Hart – in Katja Bergs Vita finden sich viele große Frauenrollen. Mittlerweile blickt die Musicaldarstellerin auf eine mehr als 20-jährige Bühnenkarriere zurück. Wie sie als arbeitende Mutter den stressigen Musicaljob und ihre Familie unter einen Hut bekommt, warum sie ein Jobangebot auch schon mal ablehnt und welche Rolle sie in der Uraufführung des Musicals „Lady Bess“ spielen wird, erzählt sie im Interview.
Es kommt einem so vor, als seien Sie einige Zeit von der Bildfläche verschwunden gewesen – und plötzlich sind Sie wieder da. Trotz Corona-Pandemie reihten sich zuletzt Engagements in „3 Musketiere“, „Chicago“ und „Die Schatzinsel“ aneinander, es folgt als nächstes eine neue Rolle in der Uraufführung von „Lady Bess“. Kommt einem das nur so vor oder waren Sie wirklich einige Zeit nicht mehr auf der Bühne zu sehen?
Eigentlich nicht. Unser kleiner Sohn ist jetzt sieben Jahre alt und nach seiner Geburt war ich lediglich anderthalb Jahre zu Hause, da ich ihn als Baby nicht mit zu Proben nehmen wollte. Ich bewundere das sehr bei Kolleginnen, die ihre Kinder mitnehmen. Aber mich persönlich würde es zu sehr ablenken, weil meine Gedanken mehr beim Kind als bei der Probe wären. Eine große Pause gab es allerdings nicht. Wenn das so rüberkommt, hängt das sicher damit zusammen, dass ich in den letzten Jahren viel in meiner Wahlheimat Österreich gemacht habe. Das waren zum Beispiel „Ragtime“, „Chess“ und „Kiss me, Kate“ in Graz oder die „Rocky Horror Show“ in Amstetten. Ich bin allerdings niemand, der zehn Premieren im Jahr macht. Wenn ich merke, dass ein Engagement nicht familienkompatibel ist, gehe ich erst gar nicht zum Vorsingen. Ich fokussiere mich eher auf drei bis vier Premieren im Jahr, wenn es sich planen lässt.
Wie familienkompatibel ist ein Musicaljob eigentlich?
Eigentlich gar nicht. Mein Mann hat auch zehn Jahre als Musicaldarsteller und für Film und Fernsehen gearbeitet. Als der Wunsch nach einer Familie immer größer wurde, hat er mit dem Job aufgehört und noch mal studiert. Er arbeitet jetzt in einem anderen Bereich. Aber für mich war immer klar, dass ich vom Musical nicht wegkann. Ich brauche die Bühne, drücke mich da aus und brauche das als Ventil – sonst bin ich privat unausstehlich. (lacht) Meine Energie und mein Temperament muss ich auf der Bühne rauslassen. Ich liebe meinen Beruf zu sehr, als dass ich mir hätte vorstellen können, jemals etwas anderes zu machen.
Und wie bekommen Sie Job und Familie unter einen Hut?
Die Herausforderung ist für mich, in den verschiedenen Lebensbereichen die richtige Balance zu finden und auch zu halten. Ein gesundes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Nähe und Distanz, zwischen Beruf und Familie, das geht nur mit guter Planung, vorausschauender Empathie der Bedürfnisse aller Beteiligten und dem Lernen aus Fehlern der Vergangenheit und diese nicht zu wiederholen. Eben eine gute Balance zu finden. Ich möchte glücklich in meinem Beruf sein, aber auch das Gefühl haben, bei meinen Kindern zu sein. Sie sollen später nicht sagen, dass ihre Mutter nie zu Hause und immer nur unterwegs war. Das ist mir sehr wichtig. Trotzdem bin ich eine arbeitende Mutter, die Geld verdient und ihren Job liebt. Dieser Umstand prägt sicher auch die Sichtweise meiner Kinder auf ihr späteres Frauenbild.
Sie spielen viel am Stadttheater. Das scheint also für Sie die familienkompatible Möglichkeit Ihres Jobs zu sein, oder?
Ja, das kann man so sagen. In der freien Wirtschaft ist es ja häufig so, dass Frauen in Vollzeit arbeiten, ein Kind bekommen und dann auf Teilzeit runtergehen. Statt 40 Stunden in der Woche, machen sie dann vielleicht 20 oder 25 Stunden. Für mich als Künstlerin ist das Stadttheater meine Teilzeit. So mache ich nicht acht Vorstellungen pro Woche, sondern, je nach Theater, drei bis sechs Vorstellungen im Monat. Mit An- und Abreisetagen komme ich dann im Durchschnitt auf etwa zehn Arbeitstage im Monat. Wenn man eine gute Abendgage bekommt, kann man davon gut leben.
Kommt Ihnen das Muttersein in Mutterrollen auf der Bühne eigentlich zugute? Spielen Sie also eine Rolle wie Fanny Osbourne in „Die Schatzinsel“ jetzt anders als Sie sie vor 15 Jahren gespielt hätten?
Auf jeden Fall! Gerade bei Fanny identifiziere ich mich sehr mit der Mutterrolle, da ich selbst zweifache Mama bin. Die Sorgen, Sehnsüchte und Träume eines Kindes sind für mich alle nachvollziehbar.
Sie haben viele starke Frauenrollen gespielt. Woher nehmen Sie die Energie dafür?
Die Energie schöpfe ich aus mir selbst. Ich war als Kind schon immer sehr quirlig und temperamentvoll. Das ist bis heute so. Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen und mich auszudrücken. Und ich bin sehr dankbar, dass ich nicht in irgendeiner Typ-Schublade bin. Da waren bisher komödiantische oder sexy sowie leidenschaftliche und dramatisch-ernsthafte Rollen dabei. Ich bin auf der Bühne wie ein Fisch im Wasser. Ich brauche das einfach. Wenn ich dann noch Lieder singen darf, die mich herausfordern, packt mich der Ehrgeiz und ich möchte jeden Abend abliefern und es cool machen.
Viele der Frauen, die Sie bisher spielten, haben einen besonderen Hintergrund: Milady de Winter ist eine Verstoßene, Roxie Hart ist eine Mörderin, Fanny Osbourne ist eine alleinerziehende Mutter. Was macht den Reiz solcher Rollen aus und wie bereiten Sie sich darauf vor?
Es gibt einen Unterschied zwischen historischer und fiktiver Figur. Bei historischen Figuren, die wirklich existierten, recherchiere ich im Internet, lese Bücher oder ich frage – wenn es nicht gerade eine Uraufführung wie „Lady Bess“ ist – Kolleginnen, die die Rolle schon mal gespielt haben. Bei einer fiktiven Figur wie Milady de Winter mache ich mir Gedanken und frage mich: Warum wurde sie verstoßen? Wie muss ihr Verhältnis zum Vater gewesen sein? Daraus schlussfolgernd, erkläre ich mir ihr Verhältnis zu Männern. Was ich aber so schade finde bei Frauenrollen, ist, dass sie häufig in Schubladen passen und so glatt sind. Ich liebe es, wenn Frauenrollen geschrieben werden, die einen Hintergrund, Narben, eine Vergangenheit haben, die widersprüchlich sind und im Stück eine Entwicklung durchmachen. Ich finde, es gibt noch zu wenig solcher Frauenrollen, was aber langsam mehr wird.
Was ist es eigentlich für eine Rolle, die Sie in „Lady Bess“ spielen werden?
Ich spiele Anne Boleyn beziehungsweise Anne Boleyns Geist. Das war eine sehr zwielichtige Person, wenn man sich ihre Biografie durchliest. Sie war unfassbar zielstrebig und selbstbewusst für die Zeit, in der sie gelebt hat. Mit 35 Jahren wurde sie wegen Hochverrats angeklagt und enthauptet. Und sie war die Mutter der späteren englischen Königin Elisabeth I. Anne Boleyn hat Heinrich VIII. dazu gebracht, sich von Katharina von Aragon scheiden zu lassen. Sie hat ihm zu verstehen gegeben, dass sie ihn liebt und mit ihm zusammen sein will, aber nicht den Geschlechtsakt mit ihm vollziehen wird, solange sie nicht seine Frau und die Königin von England ist. Das Musical „Lady Bess“ handelt allerdings von ihrer Tochter. Am Anfang des Stücks wird die Enthauptung Anne Boleyns gezeigt und fortan taucht sie immer wieder als Geist auf. Ich habe zwei sehr schöne Nummern in dem Stück zu singen und freue mich sehr darauf.
Eine große und sicher auch sehr wichtige Rolle in Ihrer bisherigen Karriere war Sophie in der deutschsprachigen Erstaufführung von „Mamma Mia!“ in Hamburg. Welche Entwicklung haben Sie als Musicaldarstellerin von Sophie (2002) bis Anne Boleyns Geist (2022) durchgemacht?
Wow, was für eine tolle Frage. Als ich Sophie gespielt habe, bin ich sehr unbedarft an die Musicalbranche und die Do’s und Dont’s sowohl onstage als auch backstage herangegangen. Ich habe viel gelernt über die Jahre, bin ruhiger, empathischer und viel sensibler geworden. Da liegen 20 Jahre dazwischen. In der Zeit habe ich viel an Lebenserfahrung gewonnen. Damals kreiste die Welt nur um mich. Ich stellte mir Fragen: Wann ist die nächste Audition? Bekomme ich den Job? Wie sehe ich aus? Was ziehe ich an? Da war ich als Künstlerin sehr auf mich fixiert und mit dem eigenen Erfolg beschäftigt. Natürlich bin ich jetzt auch noch ehrgeizig und zielstrebig, aber in einer abgemilderten Form. Der Mittelpunkt meines Lebens bin nicht mehr ich, sondern ist jetzt meine Familie. Damit meine ich nicht nur meine Kinder, sondern auch meinen Mann. Denn die Pflege einer Beziehung ist wichtig. Das ist das Fundament. Wenn das Fundament bröckelt, bricht alles auseinander. Das hätte ich vor 20 Jahren noch gar nicht so empfunden. Früher war es immer ein Drama, ein mittelschweres Erdbeben, wenn ich einen Job nicht bekommen habe. Heute kann ich damit besser umgehen. Die Prioritäten und Werte haben sich verschoben. Mir sind jetzt andere Menschen wichtiger geworden. Trotzdem achte ich auch auf mich selbst. Und schon sind wir wieder beim Thema „Balance“.
Interview: Dominik Lapp