Interview mit Lina Gerlitz: „Ich mache schon mein ganzes Leben lang Musik“
An der renommierten Folkwang Universität der Künste in Essen hat Lina Gerlitz ihr Musicalstudium absolviert und wirkte dort in der Rolle der Lotte am Tryout des Musicals „Goethe!“ mit. Weitere Engagements führten sie unter anderem zu „Titanic“, „Der kleine Horrorladen“, „Once“, die Uraufführung von „Scholl – Die Knospe der Weißen Rose“ und aktuell „Soho Cinderella*“. Im Interview spricht sie über einige ihrer Rollen, neue Normalität auf der Bühne und ein Stück, das ihr besonders viel bedeutet.
Dieses Jahr stehst du zum ersten Mal bei den Schlossfestspielen Ettlingen auf der Bühne. Wie gefällt es dir?
Mit gefällt es sehr gut – nicht nur das Schloss, auch Ettlingen an sich. Gerade wenn man irgendwo über einen längeren Zeitraum ist, macht es viel aus, dass man sich wohlfühlt. Darüber hinaus gibt es im Schloss so schöne Räume wie den roten, blauen oder roten Salon. Es ist zudem etwas Besonderes, ein Stück wie „Soho Cinderella*“ innerhalb solcher Schlossmauern spielen zu dürfen. Schön finde ich auch, dass die Leute im Ort sehr interessiert sind an allem, was wir machen. Es sind sieben verschiedene Stücke, die im Rahmen der Schlossfestspiele zu sehen sind, und die Leute bringen großes Interesse dafür mit.
Wird man als Mitwirkende in so einem kleineren Ort eigentlich auch mal erkannt und angesprochen?
Höchstens mal in Cafés, wo wir öfter hingehen. Da kennt man uns jetzt schon. Uns erkennt man natürlich auch während der Probenzeit sehr gut, weil wir immer große Rucksäcke dabeihaben. Die Leute fragen sich immer, was wir darin alles mitnehmen. Aber man braucht ja seine Trainingssachen, Verpflegung und so weiter.
In „Soho Cinderella*“ spielst du Marilyn Platt. Wer ist das?
Marilyn ist Anwältin und die Verlobte des kandidierenden Bürgermeisters. Er ist in unserer Geschichte gewissermaßen der Prinz und heißt deshalb James Prince. Marilyn ist für mich eine ganz spannende Rolle, denn sie hat ein bisschen was von einer guten Fee, ist aber auf die heutige Zeit übertragen eine ganz normale Person, in der sich auch das Publikum in vielen Momenten wiederfinden kann. Im Hintergrund zieht sie ein bisschen die Strippen, was ich sehr schön finde.
Aber im Grunde ist sie letztendlich eine betrogene Frau.
Genau, ja. Das ist für mich das Spannende und die Herausforderung gewesen, weil sie im Endeffekt ihre eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund stellt, um andere Menschen glücklich zu machen. Marilyn ebnet ihrem Verlobten den Weg, geht aber selbst nicht leer aus, sondern verfolgt auch ihren eigenen Pfad. Das finde ich sehr schön.
Das Stück behandelt eine LGBTQ-Thematik. Früher waren queere Rollen immer die Sidekicks, nun dürfen sie endlich die Hauptrollen sein. Damit ist das Stück sehr heutig, modern und aktuell. Wie wichtig findest du es, dass jetzt mehr solcher Stücke geschrieben und aufgeführt werden?
Ich finde das sehr wichtig. Es ist keine Besonderheit mehr, sondern vielmehr Normalität. Jetzt erzählt man vielleicht auch Stücke oder Geschichten, die man anders kennt, in einem neuen Zusammenhang. Bei uns ist es die klassische Cinderella-Geschichte, die aus einem anderen Blickwinkel beleuchtet wird. Auf diese Art zeigt man, dass das genauso normal ist wie eben auch die Story, die man sonst kennt.
Zuvor hast du an der Uraufführung des Musicals „Scholl“ mitgewirkt. Vom Kontrast her völlig anders. Liebst du diese Abwechslung?
Ja, total. Bei „Scholl“ habe ich eine junge quirlige Person gespielt – das war ein völlig anderer Mensch als jetzt bei „Soho Cinderella*“. Es macht mir Spaß, solche unterschiedlichen Charaktere zum Leben zu erwecken und einerseits eine quirlige Rolle zu spielen, aber andererseits eine ernstere, eher mütterliche. Das ist eine willkommene Abwechslung und sehr spannend.
Spannend muss es auch sein, bei einer Uraufführung mit den Autoren des Stücks zusammenarbeiten zu können.
Absolut. Das war auch tatsächlich meine erste Uraufführung und ein ganz anderer Schaffensprozess. Sehr interessant ist dabei zu sehen, wie sich das Stück entwickelt, da man ja kein fertiges Produkt hat, das man probt, sondern etwas Neues, das mit jeder Probe wächst. Mit Titus Hoffmann und Thomas Borchert waren die Autoren immer vor Ort und ansprechbar.
Ein Stück, das du auch früh in der Entstehung begleiten konntest, war „Goethe!“. Da warst du beim Tryout in Essen als Lotte dabei, später in Bad Hersfeld als Swing. Was bedeutet dir dieses Musical?
Das war selbstverständlich ebenfalls etwas ganz Besonderes – das wird es auch immer bleiben. In diesen Prozess involviert gewesen zu sein und das Stück wachsen gesehen zu haben, ist mir in guter Erinnerung. Es gab viel Input von verschiedenen Leuten. Auch dass ich in Bad Hersfeld noch mal Teil davon sein durfte, bedeutet mir viel. Für mich war es außerdem die erste große Rolle, die ich in Essen im Wechsel mit Sabrina Weckerlin gespielt habe. Es war eine große Herausforderung, im Studium mit Sabrina und Philipp Büttner zusammenzuarbeiten.
Anfang dieses Jahres warst du mit dem Musical „Once“ auf Tour. Das war eine sehr besondere Inszenierung, weil die Darstellerinnen und Darsteller alle Instrumente selbst gespielt haben. War das für dich in dieser Art das erste Mal?
Ja, in dieser Kombination war es das erste Mal, dass ich auf der Bühne alles gleichzeitig gemacht habe. Damit ist für mich ein großer Traum in Erfüllung gegangen, denn ich mache schon mein ganzes Leben lang Musik und spiele Klavier. Die Besonderheit bei dem Stück war, dass ich als Darstellerin auch Musikerin war – das war einfach wahnsinnig reizvoll und magisch.
Szenische und musikalische Proben finden normalerweise getrennt voneinander statt. Wie ist das, wenn man Darstellerin und Musikerin in Personalunion ist?
Ich bin erst zur Wiederaufnahme dazugekommen, weshalb ich gar nicht in den kompletten Probenprozess involviert war. Das Stück lief in etwas anderer Besetzung zuvor fest an den Hamburger Kammerspielen und ist erst anschließend auf Tour gegangen. Damals hat Sybille Lambrich die Rolle gespielt und ich bin dann mit einer kurzen Probe sozusagen reingehüpft. Es war wie bei einer Band, die auf Tour geht, nur eben eine Mischung aus Singer/Songwriter-Konzert und klassischem Musical, das beides zusammengeflossen ist. Für mich war es herausragend, weil es so pur und intensiv war, eben alles gleichzeitig passierte. Gerade bei diesem Stück ist es ungeheuer wichtig, dass alle Mitwirkenden auf der Bühne durch die Instrumente auch immer noch ganz viele Emotionen transportieren, die diese Geschichte zusammenhalten.
Wie hast du den tschechischen Akzent deiner Rolle so gut hinbekommen?
Ich habe viel geübt und mir den Sound der Stimme angehört. Mir war es wichtig, mich mit der Sprache zu beschäftigen. Irgendwann habe ich gar nicht mehr gemerkt, dass ich mit Akzent spreche und musste mich eher konzentrieren, es nicht mehr zu tun.
Kanntest du den Film „Once“ vor deinem Engagement schon?
Ja, den kannte ich und fand ihn großartig. Als ich zur Audition gegangen bin, habe ich ihn mir aber nicht noch mal extra angesehen. Da habe ich mich eher mit der Musik beschäftigt. Gerade der Song „Falling slowly“, der weltbekannt ist und mit Preisen ausgezeichnet wurde, gehörte schon immer zu meiner Lieblingsplaylist. Ansonsten bin ich frisch ans Werk gegangen und habe mich ganz natürlich auf das Stück und die Geschichte eingelassen.
Interview: Dominik Lapp