Interview mit Rudi Reschke: „Wir geben Sherlock Holmes Tiefenschärfe“
Seit vielen Jahren steht Rudi Reschke auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Er ist Schauspieler, Sänger, Regisseur, Choreograf und Bühnenautor. Nachdem er zuletzt unter anderem als Clayton im Disney-Musical „Tarzan“ auf der Bühne stand, führt er nun bei dem Musical „Sherlock Holmes – Next Generation“ Regie, das auf einer Idee von ihm und seinem Konzept basiert. Im Interview spricht Rudi Reschke über seine Regietätigkeit sowie die Entwicklung des neuen Musicals und erzählt, warum die Welt noch ein Sherlock-Holmes-Musical braucht.
Sie führen Regie beim Musical „Sherlock Holmes – Next Generation.“ Was macht einen Regisseur aus?
Ein Regisseur ist gewissermaßen ein Assistent für den Schauspieler. Es geht darum, das Konträrste aus einem Schauspieler herauszuholen, was hinterher die Dramaturgie auf der Bühne spannend macht. Ich bin niemand, der einem Schauspieler etwas vorspielt. Ich suche immer den Dialog und versuche, zu klären: Wie wäre es, wenn er so sprechen würde? Wie wäre es, wenn seine vorherige Einstellung einen Einfluss auf die jetzige hätte? Das ist für mich ein ganz spannender Prozess. Ich stehe ja auch selber als Schauspieler auf der Bühne. Und wenn ich einen Regisseur habe, der mit mir nicht in den Dialog tritt, wird das für mich als Schauspieler ein sehr einsamer Job. Deshalb ist es mir als Regisseur sehr wichtig, den Dialog zu meinen Schauspielern zu suchen.
Wer ist Sherlock Holmes und wie wollen Sie ihn zeigen?
Er wirkt auf den ersten Blick wie eine Art Übermensch. Er ist der Vater aller Detektive. Aber wir wollen in unserem Stück persönlicher mit ihm werden und ein bisschen sein Dilemma beleuchten. Er ist eine zerrissene Seele mit einem unruhigen Geist, weil er immer auf der Suche nach Gerechtigkeit und Wahrheit ist. Aber was ist denn mit seiner Privatsphäre? Was hat ihn denn beeinflusst, dass er so wurde, wie er ist? Was macht das mit ihm als Menschen, der den besonderen Intellekt hat, etwas zu erforschen und herauszufinden? Diese Fragen wollen wir klären und der Figur Sherlock Holmes eine entsprechende Tiefenschärfe geben.
Von Ihnen stammen Idee und Konzept für „Sherlock Holmes – Next Generation“. Wie kam es dazu, ein Musical über den wohl bekanntesten Detektiv der Welt zu schreiben?
Ich habe immer schon Stoffe für die Bühne entwickelt oder in einem Team mitentwickelt. Wenn man viel en-suite spielt, muss man sich ja geistig betätigen, um nicht in die Routine zu verfallen. Die Inspiration zu einem Sherlock-Holmes-Musical kam mir, weil Johannes Mock-O’Hara, der damalige Geschäftsführer von Stage Entertainment, sagte, dass man ihm neue Stoffe vorstellen solle, weil die Stage daran interessiert sei, eigene Stoffe neu zu entwickeln. Das habe ich mir nicht zweimal sagen lassen. Meine Idee zu „Sherlock Holmes – Next Generation“ hatte ich nach dem Kinofilm von Guy Ritchie mit Robert Downey jr. und Jude Law. Der Film hat mir gefallen, weil es zwar historisch blieb, aber modern gespielt wurde.
Allerdings wollte ich nichts nachmachen. Ich wollte etwas Eigenes erstellen und habe mir darüber Gedanken gemacht, was es schon alles gibt. Man hat Sherlock schon als Junior und als alten Mann gesehen. Ich fand die Herausforderung ganz spannend, dass ein junger Mann in Sherlocks Fußstapfen die Reibung erzeugt, dass es fast zu einem Wettbewerb kommt. Was macht das mit dem etablierten Detektiv und was macht es mit dem Jungen, der auch will? Heutzutage gibt es ja immer wieder Auseinandersetzungen mit den Eltern oder auch in Arbeitsstrukturen, wo man Vorgesetzte hat, die jünger sind als man selbst. So begibt man sich immer wieder in einen Wettbewerb. Und das hat mich getriggert.
Springt man mit so einem Musical auch ein bisschen auf einen medialen Hype auf, der durch die letzten „Sherlock Holmes“-Kinofilme und die „Sherlock“-Fernsehserie ausgelöst wurde?
Nicht wirklich. Der erste Kinofilm kam 2009 raus, die Idee zum Musical hatte ich Anfang 2011. Aber die BBC-Serie wurde in Deutschland erstmals im Juli 2011 ausgestrahlt und der zweite Kinofilm kam im Dezember 2011 in die deutschen Kinos. Ich würde also eher sagen, mein Gefühl, dass es eine Sherlock-Welle geben würde, war einfach richtig. Vielleicht war ich dadurch ein Vorreiter eines Impulses, vor allem aber der Vorreiter für das Thema „Next Generation“ mit einem Junior an der Seite eines Seniors.
Das ist also die Erklärung dafür, warum es noch ein Sherlock-Holmes-Musicals gibt? Denn es gibt ja schon einige Musicals und auch Sprechtheaterstücke über die Figur.
Ja, es gibt noch andere Bühnenwerke über Sherlock Holmes. Und es gibt verschiedene Erzählformen. Unsere Inspiration ist aber definitiv gewesen, dass wir den Generationenkonflikt in den Mittelpunkt stellen.
Wie kann man also das Konzept hinter „Next Generation“ kurz zusammenfassen?
Ein etablierter Darsteller spielt eine Figur in der Form, wie wir sie kennen, mögen oder auch merkwürdig finden. An seine Seite stellen wir ein jüngeres Pendant, einen jungen Mann, der auch den Drang verspürt, etwas zu erforschen und beeindruckt ist vom Senior. Bei uns in der Geschichte ist das Drama, dass Sherlock nicht weiß, dass er einen Sohn hat und dass es sein Sohn ist, der in seine Fußstapfen tritt. Und weil wir einen jüngeren Holmes haben, machen wir die Sherlock-Figur nahbarer.
Nicht nur Idee und Konzept zum Musical sind von Ihnen, Sie haben auch am Buch mitgeschrieben und führen Regie. Warum haben Sie sich noch weitere Autoren mit ins Boot geholt? Es heißt doch immer: Zu viele Köche verderben den Brei.
Ich wusste ziemlich schnell, dass ich das nicht alleine machen kann, wenn ich bei Produzenten in die Bewerbung trete. Außerdem stehe ich ja auch noch selber aktiv auf der Bühne. Das wäre also eine Menge Arbeit gewesen. Jo Quirin und ich kennen uns seit 30 Jahren, haben schon gemeinsam auf der Bühne gestanden, und ich wusste, dass er schon viel geschrieben hat.
Und wie war die Zusammenarbeit?
Mit Jo als Co-Autor war das eine wirklich spannende Sache mit vielen Reibungspunkten, weil wir nicht immer einer Meinung waren. Die Herausforderung war also, Probleme zu bewältigen. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung über die Entwicklung des Plots waren, ist das Resultat aus Streiten, Kämpfen und Lieben sehr facettenreich. Mit Theodor Reichardt hatten wir außerdem einen parteilosen und neutralen Kreativen an unserer Seite, der nicht als Autor auftritt, aber uns immer wieder Seelenfeuer gegeben hat, unser Gegenleser war und uns immer wieder gefragt hat: Habt ihr dies bedacht? Habt ihr das bedacht? Denn je länger man sich in einer Materie bewegt, desto betriebsblinder wird man irgendwann. Da ist es gut, wenn man von außen einen kleinen Anstoß bekommt, um etwas neu zu erdenken oder auch wegzuschmeißen.
Hat es deshalb so viele Jahre gedauert, bis das Stück fertig war?
Dass es seine Zeit gedauert hat, ist ganz normal. Wenn solche Stücke am Broadway oder im West End entwickelt werden, kann das sechs bis zehn Jahre dauern. Das wollte ich damals gar nicht glauben. Ich habe gedacht, dass ich unser Stück in zwei Jahren fertig habe. (lacht) Jetzt bringen wir unser Musical also auch erst nach etlichen Jahren zur Uraufführung. Es gab in dieser Zeit mehrere Buchfassungen, und diese Fassungen brauchten ihre Zeit. Wir waren ja auch alle berufstätig und hatten Verträge zu erfüllen, waren nicht alle in derselben Stadt. Also mussten wir über das Internet kommunizieren und haben es manchmal zeitlich gar nicht geschafft, an unserem Stück weiterzuarbeiten.
Gab es in dieser Zeit Schwierigkeiten oder Rückschläge?
Ja, die gab es. Ich muss leider sagen, dass wir mit vermeintlichen Partnern im Gespräch waren, die unsere Idee dankend angenommen haben und mit unserem Material von dannen zogen. Sehr ernüchternd betrachtet, war das Diebstahl. Das ist uns mehrfach passiert, und deshalb haben wir beschlossen, es allein ohne Produzenten durchzuführen. Wir haben also eine Firma gegründet und unser privates Geld reingesteckt. Mit Thomas Gehle von der Stage School Hamburg haben wir glücklicherweise einen Theaterbetreiber gefunden, der uns das First Stage Theater und einen Probenraum in der Stage School zur Verfügung gestellt hat, wofür wir sehr dankbar sind. Aber Produzenten sind wir selber. Wir arbeiten dabei selbstlos, ohne Blick auf Profit, weil wir erst mal mit dem Stück rauskommen wollen.
Interview: Dominik Lapp