Patrick Stanke (Foto: Dominik Lapp)
  by

Interview mit Patrick Stanke: „Ich habe mich meinem Schicksal nicht ergeben“

Patrick Stanke gehört zu den bekanntesten und beliebtesten Musicaldarstellern im deutschsprachigen Raum. Doch auch er wurde als Künstler von der Corona-Krise hart getroffen. Weil er sich seinem Schicksal jedoch nicht ergeben wollte, ist er kreativ geworden und hat angefangen, Konzerte kostenpflichtig im Internet zu streamen. Im Interview spricht er über diese Streaming-Konzerte, die Corona-Krise, die Weiterentwicklung als Künstler und den geilsten Job der Welt.

Die Corona-Krise hat Kulturschaffende hart erwischt, Engagements und somit auch Einnahmen sind weggebrochen. Allerdings sind Sie nicht untätig geblieben. Was haben Sie gemacht?
Ich habe mich meinem Schicksal nicht ergeben. Im Frühjahr wurde alles abgesagt. Da war mir schnell klar, wenn ich jetzt untätig bleibe, könnte das ziemlich nach hinten losgehen. Ich habe auch gefühlt einen Tag vor Corona ein Haus gekauft, hatte bis März kein Geld verdient – und dann kam Corona. Vorher hätte ich ja bei „Wallace“ in Duisburg dabei sein sollen, was abgesagt wurde. Und so war ich ab September 2019 ohne Geld. Das war schon heftig. Natürlich hatte ich zwischendurch auch ein paar Vorstellungen mit „3 Musketiere“ in Magdeburg und einige Konzerte, aber das war nicht die Welt. Schließlich habe ich auch entsprechende Ausgaben. Allerdings muss ich an dieser Stelle ganz besonders das Theater Magdeburg loben, da wir Künstler unsere Gage für die durch Corona abgesagten Vorstellungen der „3 Musketiere“ bekommen haben. Im Sommer hätte ich in Magdeburg den Maxim de Winter in „Rebecca“ gespielt, wofür noch nicht einmal die Proben begonnen hatten. Und trotzdem hat uns das Theater Magdeburg die volle Probenpauschale und für die abgesagten Vorstellungen die halbe Gage bezahlt. Das ist nicht selbstverständlich, dass sich ein Theater so für seine freien Künstler einsetzt. Das hat mich gerettet.

Und dann sind da ja noch Ihre Livestream-Konzerte.
Genau. Als klar war, dass Vorstellungen abgesagt werden und ich keine Konzerte geben kann, habe ich mir gedacht, dass ich die Konzerte einfach online durchführe. Zwei Tage nach diesem Gedanken sah ich, dass plötzlich ganz viele Menschen online Konzerte gaben – kostenlos! Da dachte ich natürlich, das geht jetzt voll in die Hose, wenn ich als einziger Künstler sage, dass meine Onlinekonzerte Geld kosten. Somit war das für mich abgetan. Ich konnte das doch nicht gegen Geld anbieten, wenn andere das kostenlos machen. Was sollten die Leute von mir denken? Also habe ich den Gedanken verworfen und mich der Plattform Patreon zugewandt. Dort poste ich verschiedenen Content, der hinter einer Paywall versteckt ist. Und man kann den Content nur sehen, wenn man monatlich dafür bezahlt. Da lade ich Videos hoch, man kann mit mir chatten, Fragen stellen und so weiter.

Die Streaming-Idee, die Sie zunächst verworfen hatten, hat Sie aber auch nicht mehr losgelassen.
Das stimmt. Wobei das mit verschiedenen Dingen zusammenhängt. Ich bekam eines Tages eine Anfrage von meinem Kollegen Florian Albers, der wollte, dass ich in seinem kostenlosen Livestream auftrete. Und ich habe gesagt, dass ich das nicht mache, weil ich meine Musik nicht verschenken kann. Allerdings hat er mich überzeugt, weil er sagte, dass die Zuschauer dort Geld spenden für den Livestream. Außerdem haben wir nach dem Livestream noch eine halbe Stunde aufgezeichnet, die exklusiv für meine Patreon-Fans war. So hatte ich auch für diese Plattform neuen Content.

Und dann hatten Sie Blut geleckt?
Dann hatte ich Blut geleckt. Ich habe zu Florian und seiner Partnerin Tamara Peters gesagt, dass wir das professionell aufziehen – mit Hosting und Paywall. Dahinter steckt richtig viel Arbeit. Man kauft also ein Streaming-Ticket über meinen Onlineshop, die Bestellung kommt bei mir rein, der Zahlungseingang wird überwacht und anschließend werden die Zugangsdaten für mein Streaming-Konzert verschickt.

„Die letzten fünf Jahre“ (Foto: Dominik Lapp)

Sie haben also sehr viel Arbeit in dieses Projekt gesteckt und fortan Streaming-Konzerte präsentiert?
Richtig. Ich gebe seitdem regelmäßig Konzerte, die live gestreamt werden. Anfangs war das komplett ohne Publikum vor Ort, also als reiner Stream. Mittlerweile ist Publikum vor Ort wieder zugelassen, und wer nicht zum Konzert kommen kann oder will, hat eben die Möglichkeit, zu Hause per Livestream dabei zu sein.

Und die Leute kaufen Tickets für die Streams, obwohl es immer noch Kollegen gibt, die kostenlos streamen?
Zum Glück ja. Jedes Konzert hat ein anderes Thema, andere Gäste, es gibt jedes Mal ein anderes Konzept. Besonders erfolgreich war unser Special zu „Tanz der Vampire“.

Und im Grunde genommen ist es doch auch ein wichtiges und richtiges Zeichen, nicht kostenlos zu streamen, sondern den Menschen klarzumachen, dass Musik, dass Kunst etwas wert ist, oder?
Absolut. Das kann man genau so sagen. In der Corona-Krise würde der Schönheitschirurg die Brüste ja auch nicht umsonst machen. Und der Bäcker verschenkt seine Brötchen auch nicht. Es ist mein Beruf, also möchte ich meine Arbeit nicht verschenken. Das Schlimme ist grundsätzlich, dass uns Künstlern der Beruf weggenommen wurde. Kollegen von mir arbeiten jetzt im Supermarkt oder als Paketfahrer. Das ist heftig. Ich habe da wirklich noch Glück gehabt. Und ich bin froh, dass ich viele verständnisvolle Fans habe, die das auch erkennen, dass ich von meinem Beruf leben muss.

In Wetzlar haben Sie gerade den Jamie im Musical „Die letzten fünf Jahre“ gespielt. Diese Rolle spielten Sie schon vor 15 Jahren bei der deutschsprachigen Erstaufführung in Wuppertal. Es ist dasselbe Stück, aber Sie haben sich weiterentwickelt. Sehen Sie das Stück und die Rolle jetzt durch eine andere Brille?
Klar. Wir hatten drei Tage Zeit, um das Stück in Wetzlar zu erarbeiten. Das ist eigentlich nicht machbar. Also habe ich eine Woche vorher angefangen, das Stück noch mal neu zu lernen. Ein paar Sachen von früher waren noch da, zwei Songs, die ich häufiger mal bei Konzerten singe. Den Rest musste ich mir neu erarbeiten, neu aufbauen. Damals war ich gerade 25 Jahre alt und dachte, mir gehört die Welt. Jetzt betrachte ich alles ein wenig kühler. Ich habe meinen Platz gefunden und bin unfassbar dankbar, dass ich das noch mal machen durfte. Ich bin ein erwachsenerer Mensch geworden, fühle mich aber gar nicht so alt wie ich bin. Das Leben verändert einen. Und gerade als Schauspieler nimmt man da noch mal andere Dinge mit, die man in eine Rolle einbringt. Also ich mache natürlich nicht grundlegend alles anders als damals, aber eine Weiterentwicklung gibt es definitiv.

Apropos Weiterentwicklung: Mittlerweile sind Sie ja nicht mehr der junge D’Artagnan in „3 Musketiere“, den sie einst bei der deutschsprachigen Erstaufführung in Berlin spielten. Jetzt spielen Sie Kardinal Richelieu, den Gegenspieler. Auch da haben Sie sich ja offensichtlich weiterentwickelt, vom Protagonisten zum Antagonisten sozusagen.
Das stimmt. Als mich der Regisseur Ulrich Wiggers anrief und mir erzählte, dass er „3 Musketiere“ in Magdeburg inszenieren würde, habe ich ihm gesagt, dass ich dafür zu alt bin. Schon klar, sagte er, aber es ging um eine andere Rolle. Vor ein paar Jahren hätte ich das mit meinem Ego gar nicht vereinbaren können. Aber jetzt fand ich das ganz interessant und habe mich gefragt, wie das auf mich wirkt, wenn ich nicht mehr der junge Held, sondern dessen Widersacher bin. Dann begannen die Proben, diese für mich neue Rolle kam auf mich zu und ich habe erkannt, was Richelieu für ein wahnsinnig spannender Charakter ist. Ich habe da Dinge verstanden, die ich vorher gar nicht richtig verstanden hatte, weil ich ihnen nicht folgen konnte oder nicht folgen wollte.

Zusammenfassend ist Ihr Job wahnsinnig spannend und abwechslungsreich, aber auch mit vielen Unsicherheiten verbunden. In der Corona-Krise bleiben Künstler weitestgehend auf der Strecke, aber auch ohne Corona gibt es immer mal wieder Durststrecken ohne Engagements oder mit Engagements, die dann platzen und nicht bezahlt werden, weil der Produzent insolvent ist, wie zuletzt bei „Wallace“. Verfluchen Sie Ihren Job manchmal?
Nein, ich verfluche meinen Job nicht. Ich liebe meinen Job. Ich finde, es ist der geilste Job der Welt. Was ich verfluche, ist die vermeintliche Sicherheit, die man hat, wenn man einen Vertrag unterschreibt. Man denkt dann, dass man für die nächsten Monate einen festen Job hat, ein festes Einkommen. Man sagt dafür andere Sachen ab – und dann hängt man plötzlich ohne Engagement und ohne Geld in der Luft. Aber den Job verfluche ich nicht.

Interview: Dominik Lapp

Avatar-Foto

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".