Interview mit Radulf Beuleke: „Ich denke ans Aufhören“
Radulf Beuleke gilt als ein Urgestein der deutschen Musicalszene. Seit 30 Jahren lenkt er als Intendant sehr erfolgreich die Geschicke der Freilichtspiele Tecklenburg. Im Interview spricht er jetzt über Meilensteine, Rückschläge, Corona und das Aufhören.
Sie sind seit 30 Jahren Intendant der Freilichtspiele Tecklenburg. Gab es in dieser Zeit einen besonderen Meilenstein?
Ein großer Meilenstein war natürlich, dass ich nach den Anfangsjahren plötzlich freie Hand hatte und mit dem Vorstand zusammen Entscheidungen treffen konnte. Nachdem wir früher Schauspiel, Oper und Operette spielten, habe ich das Musical ganz deutlich in den Vordergrund geschoben – erst mit Widerständen und dann mit immer mehr Bestätigung.
Gab es auch Dinge, die nicht so gut liefen?
Auf dem Pfad zum Erfolg gibt es natürlich auch Probleme. Es ist nicht immer so einfach, diesen Weg glatt zu zeichnen. Denn er war alles andere als das, eher holprig. Heute sieht es so aus, als wäre immer alles super gewesen.
Was war denn zum Beispiel nicht so super?
Es gab Jahre, in denen wir nach der Saison deutliche Defizite hatten, die irgendwie ausgeglichen werden mussten. Also habe ich mir Gedanken gemacht und einen Vorverkauf eingeführt, den es früher noch gar nicht gab. Damals haben wir nur von den Abendkassen-Einnahmen gelebt. Der Vorverkauf hat uns eine gewisse Absicherung ermöglicht. Ein weiterer Schlag ins Kontor war Corona. Das hat uns hart getroffen, aber wir haben beständig weitergearbeitet und nicht aufgegeben. Wir haben Tickets getauscht, Geld ausgezahlt, Wünsche erfüllt – also alles andere als in Melancholie zu verfallen.
In den letzten beiden Jahren blieb es coronabedingt ruhig auf der Freilichtbühne. Wie sehr freut es Sie, dass dieses Jahr wieder eine normale Saison möglich war?
Wir haben gemerkt, sowohl auf der Seite des Publikums als auch auf unserer, dass wir alle hungrig waren. Das Publikum lechzte nach Kultur und wir wollten nach der langen Zeit endlich mit unseren Musicals rauskommen. Wir haben gemerkt, dass uns das Publikum trägt und den Weg mit uns gehen möchte. Das ist nicht nur bei „Sister Act“ spürbar, sondern auch bei unserem dramatischen Musical „Der Besuch der alten Dame“. Der kolossal tolle Sommer dieses Jahr hat uns dabei zusätzlich unterstützt. Wir waren also gut zufrieden und haben uns nach der langen Pause wieder an das Arbeitstempo gewöhnt.
Während der Saison sind Sie jeden Abend an der Bühne anzutreffen. Wie war das in den vergangenen zwei Jahren, plötzlich nichts zu tun zu haben?
Ich habe in der Zeit meinen Garten und das Leben darin sehr geliebt. Auch konnte ich Zeit mit meiner Enkelin verbringen und bin abends oft rausgegangen, was sonst im Sommer gar nicht möglich ist. Wir sind also mal Essen gegangen, haben Aperol Spritz getrunken oder sind für drei Tage an die Nordsee gefahren.
Warum denken Sie selbst nach 30 Jahren nicht ans Aufhören?
Ich denke ans Aufhören. Der Gedanke kommt mir jeden Tag. Aber ich frage mich dann: Warum jetzt? Wenn ich vom Kopf und Körper her fit bin, warum sollte ich dann ausgerechnet jetzt aufhören? Außerdem steht 2024 noch ein Jubiläum vor der Tür, da werden die Freilichtspiele Tecklenburg 100 Jahre alt. Das möchte ich noch bewusst erleben und mitgestalten.
Wie erfindet man die Bühne eigentlich immer wieder neu?
Man erfindet sich neu, indem man Abläufe ständig hinterfragt, sich erinnert, wie diese früher aussahen und prüft, ob sie heute noch zeitgemäß sind. Ein ganz wichtiger Punkt ist zudem, dass es hier harmonisch abläuft. Wir haben keinen Platz für Diven, sondern engagieren Künstler wie beispielsweise Thomas Borchert, der enorm erfolgreich ist, das aber nicht raushängen lässt.
Trotz Corona haben andere Freilichtbühnen 2020 und 2021 ein verschlanktes Programm realisiert. War man in Tecklenburg im Nachhinein zu übervorsichtig oder war es die richtige Entscheidung, abzuwarten?
Für uns war es richtig. Mit den behördlichen Anforderungen wie einem Sitzplan nach Schachbrettprinzip wären wir hier nicht zurechtgekommen. Wenn ich nur 735 statt mehr als 2.000 Tickets verkaufen kann, rechnet sich das nicht. Mir ist natürlich nicht entgangen, dass Freilichtbühnen wie Bad Hersfeld oder Wunsiedel gespielt haben, aber solche Bühnen werden viel stärker subventioniert als unsere. Darüber hinaus war es uns lieber, nicht irgendwelche Erwartungen zu wecken, die wir eine Woche vor der Premiere nicht hätten erfüllen können.
Das Musical „Sister Act“ sollte in Tecklenburg 2020 erstmals als Open-Air-Produktion gezeigt werden. Mittlerweile sind Ihnen andere Freilichtbühnen zuvorgekommen. Ärgern Sie sich darüber, dass man sich das nicht mehr auf die Fahne schreiben kann?
Das ist mir egal. Wir sind glücklich, dass wir unsere Inszenierung endlich zeigen können. Außerdem spielen wir jeden Abend vor 2.000 Menschen. Was will ich denn mehr? Unsere Gäste reisen aus dem ganzen Bundesgebiet an, so dass uns andere „Sister Act“-Inszenierungen diese ja nicht wegnehmen. Die Menschen kommen zu uns, weil sie ein Stück bei uns in unserer Kulisse und mit unseren Darstellern sehen wollen.
Interview: Dominik Lapp
Ein ausführliches Interview mit Radulf Beuleke hatten wir bereits im Jahr 2012 anlässlich seiner 20-jährigen Intendanz veröffentlicht. Darin sprach er unter anderem über entscheidende Umbrüche, Eintrittspreise, Spielplangestaltung und verriet viele Hintergründe. Das aufschlussreiche Interview kann nach wie vor hier gelesen werden.