Interview mit Ulrich Wiggers: „Große Szenen und schöne Musik“
Die Freilichtspiele Tecklenburg zeigen in diesem Jahr neben „Sister Act“ auch das Musical „Der Besuch der alten Dame“. Für die Regie zeichnet Ulrich Wiggers verantwortlich, der dort bereits mehrfach inszeniert hat und die Bühne gut kennt. Im Interview spricht er über das Regiekonzept, Inspiration und seinen Blick auf die Vorlage von Friedrich Dürrenmatt.
Mit zweijähriger Corona-Verspätung kommt „Der Besuch der alten Dame“ jetzt endlich in Tecklenburg auf die Bühne. Wie groß ist die Freude?
Sehr groß! Es ist wirklich ein tolles Musical – und ich freue mich, endlich wieder in Tecklenburg arbeiten zu können. Das habe ich sehr vermisst.
Lag Ihr Regiekonzept jetzt zwei Jahre in der Schublade oder haben Sie es noch mal überarbeitet?
Ich habe es noch mal überarbeitet. In zwei Jahren passiert und verändert sich natürlich noch etwas. Dennoch waren wir 2020 ja schon kurz vor Probenbeginn, als wir coronabedingt absagen mussten. Das Konzept war also fertig, ist im Grunde auch noch wie damals, aber kleinere Überarbeitungen habe ich vorgenommen.
Haben Sie sich dabei Inspiration vom Theaterstück oder den verschiedenen Verfilmungen geholt?
Ich habe mal wieder das Theaterstück von Friedrich Dürrenmatt gelesen, um reinzukommen. Es ist wirklich gut geschrieben, weshalb ich mir da einige Ideen rausholen konnte. Außerdem habe ich mir die Verfilmung mit Christiane Hörbiger angesehen. Es ist immer gut, sich mit viel Sekundärmaterial zu beschäftigen. Wenn es etwas dergleichen gibt, soll man es nutzen. Schwierig finde ich dagegen, mir andere Aufführungen anzusehen, weil einen das dann doch beeinflussen kann.
Das Stück war bereits in Wien und Thun zu sehen. Was wird in Tecklenburg anders sein?
Ich habe das Musical weder in Thun noch in Wien gesehen und muss grundsätzlich erst mal sagen, dass ich nicht verstehe, warum dieses fantastische Musical nach diesen beiden Spielorten nie wieder aufgeführt wurde. Die Musik ist toll, die Geschichte ist nicht einfach, aber großartig. Es wird ein großer Spaß, das in Tecklenburg mit einem fantastischen Ensemble auf die Bühne zu bringen und meine eigene Version dieser Geschichte entstehen zu lassen.
Sie haben zuletzt bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg inszeniert, vor der Pandemie war Ihre gefeierte Inszenierung des Musicals „Chicago“ auf dem Domplatz in Magdeburg zu sehen, in Tecklenburg haben Sie schon oft gearbeitet. Sehen Sie sich selbst mittlerweile als Fachmann für Open-Air-Inszenierungen?
Nein, wirklich nicht. Aber es ist wunderbar, draußen zu arbeiten. Der Nachteil daran ist, dass ich nicht so viel mit Licht arbeiten kann, was ich sehr gern mache. Doch Freilichtinszenierungen bieten natürlich tolle Möglichkeiten. In Bad Segeberg haben wir beispielsweise Pferde, Esel, Ziegen und Gänse auf der Bühne, dazu Stunts und Pyroeffekte. Das wäre in einem Theater gar nicht möglich.
Inwiefern unterscheidet sich Ihre Arbeit, wenn Sie in einem Theater oder auf einer Freilichtbühne inszenieren?
Man muss draußen viel größer denken. Das mache ich auch meinen Darstellern immer wieder klar, dass wir nicht in einem Theater sind, sondern unter freiem Himmel. Das bringt andere Herausforderungen mit sich. Es muss nicht nur größer gedacht und inszeniert werden, die Darsteller müssen auch lauter sprechen, als müssten sie ohne Mikro bis in die letzte Reihe zu verstehen sein. Außerdem habe ich viel mehr Platz, um die Beziehungen der Figuren darzustellen.
Ihre Inszenierungen zeichnen sich durch eine filmische Erzählweise mit fließenden Szenenübergängen aus. Ist das Ihre Handschrift?
Ja, das ist essenziell. Das ist mir nicht nur in Tecklenburg, sondern auch in Bad Segeberg wichtig, fließende Übergänge zu schaffen. Es ist mir ein großes Bedürfnis, das Publikum durch diese filmische Erzählweise in die Geschichte reinzuziehen. Die Leute sollen gar nicht die einzelnen Szenen wahrnehmen, sondern immer etwas zu sehen haben.
„Der Besuch der alten Dame“ ist ein sehr bekannter und älterer Stoff. Erfindet man als Regisseur so eine Story eigentlich noch mal neu oder ordnet man sich demütig der Vorlage unter?
Diesen Stoff kann man auf jeden Fall neu erfinden. Er wird bei uns im Heute spielen. Das Buch von Dürrenmatt ist 1956 erschienen – und darin steht, dass es in der Gegenwart spielt. Also spielen wir es im Jahr 2022. Es ist eine zeitlose Parabel auf kollektiven Verführungswahn, moralisches Versagen und den Ausverkauf idealer Werte. Das sind alles brandaktuelle Themen, die sich anbieten, sie in unserer Zeit spielen zu lassen.
Was darf das Publikum in Tecklenburg erwarten?
Das Publikum darf sich auf eine dramatische Geschichte voller Rache und Korruption, große Szenen und unglaublich schöne Musik freuen. Außerdem ist es für mich die erste Zusammenarbeit mit Bart De Clercq, der große choreografische Szenen entwickelt. Gemeinsam mit ihm will ich einen besonderen und modernen Stil in das Stück bringen.
Interview: Dominik Lapp