Interview mit Willemijn Verkaik: „Ich mache meinen Job, um Menschen Freude zu bereiten“
Willemijn Verkaik ist von internationalen Musicalbühnen nicht mehr wegzudenken. Einer breiten Masse bekannt als niederländische und deutsche Gesangssynchronstimme der Elsa im Disney-Animationsfilm „Die Eiskönigin“, ist nun der Coup gelungen, dass sie diese Rolle auch im gleichnamigen Musical in Hamburg spielt. Im Interview spricht die vielseitige Künstlerin über ihre tiefe Verbundenheit zum Theater und die emotionale Reise hinter den Kulissen, aber auch von ihren Erfahrungen, die sie am Broadway und bei der Oscar-Verleihung 2020 sammeln durfte.
Bei unserem letzten Gespräch im Jahr 2018 bei „Bat out of Hell“ in Oberhausen hast du erzählt, dass du Theater immer mit Gerüchen verbindest und es damals in Oberhausen noch genauso gerochen hat wie zu „Wicked“-Zeiten. Wie riecht es denn im Theater an der Elbe? Hat Arendelle einen anderen Geruch als Obsidian?
(lacht) Ja, das stimmt. Ich kann aber gar nicht so genau sagen, wie es im Theater an der Elbe riecht. Ich nehme das immer erst wahr, wenn ich nach einiger Zeit wieder in ein Theater zurückkehre. Dann denke ich, ja, das riecht noch so wie damals. Jetzt riecht es hier im Foyer natürlich nach frischen Brezeln, aber im Hinterhaus nicht.
Du sagtest einst, bei „Rebecca“ in Wien waren die Reaktionen so unglaublich, dass sie dich nach jeder Vorstellung wachsen ließen. Wie ergeht es dir bei der „Eiskönigin“, wenn Hunderte Kinder im Saal auf deinen Auftritt warten, weil du für sie „die“ Elsa bist?
Das ist etwas Besonderes. Ich weiß natürlich, dass ich viele Kinder und auch Erwachsene begleitet habe mit meiner Stimme. Es ist über zehn Jahre her, dass ich für den Film im Synchronstudio war. Wenn die Musik von „Lass jetzt los“ beginnt, bekomme ich die Reaktionen aus dem Saal mit. Die Menschen lieben den Song, aber für manche ist es zusätzlich besonders, dass es die Originalstimme aus dem Film ist, die sie hören. Ich liebe es, dass Kinder so unglaublich ehrlich und spontan reagieren. An manchen Stellen lachen sie laut oder rufen ganz laut Elsa. Das ist toll, ich bekomme nach dem Song so einen fantastischen Applaus und schaue in viele strahlende Gesichter.
Du kannst das Publikum bei dieser Nummer also erkennen?
Ja. Der Saal ist in der Szene sehr hell, so dass ich die Gesichter gut erkennen kann. Das ist ein ganz besonderes Gefühl. Ich mache meinen Job, um Menschen Freude zu bereiten.
Der Film „Die Eiskönigin“ kam vor etwas mehr als zehn in die Kinos. Der Hype ist nach wie vor ungebrochen groß. Noch immer laufen Kinder mit Elsa-Rucksäcken und Olaf-Pullovern herum. Wie erklärst du dir die anhaltende Begeisterung für den Stoff?
Was ich mich dabei auch frage: Wie kann es sein, dass kleine Kinder noch gar nicht richtig sprechen, aber die Songs alle mitsingen können? Was ist das? Magie? Es ist eine sehr schöne Geschichte mit viel Herz und Emotionen. Ich glaube, dass sich darin viele Menschen wiedererkennen – in den beiden Geschwistern und der Familienliebe. Sie fiebern mit Elsa mit, dass alles wieder gut wird, weil sie für etwas verstoßen und ausgegrenzt wurde, wofür sie gar nichts kann. Disney weiß einfach, was es tut. Das Bühnenbild ist fantastisch, die Songs sind unglaublich gut, die Orchestrierung, die Kostüme – das passt alles und formt ein großartiges Gesamtbild.
Den Song „Lass jetzt los“ kennen ja alle aus dem Film. Für das Musical wurden aber noch zusätzliche Songs geschrieben, für Elsa beispielsweise „Monster“. Das sind zwei unglaublich anspruchsvolle und kraftvolle Lieder für eine Sängerin. Wie unterscheiden sich diese beiden Nummern emotional voneinander? Welche Gefühle hast du, wenn du sie singst?
Die Songs sind wirklich sehr unterschiedlich und machen viel mit mir. „Lass jetzt los“ ist das Finale des ersten Akts. Elsa hat ihre Emotionen nicht bezwingen können und alles in Eis verwandelt. Soll sie sich jetzt dauerhaft verkrampfen oder kann sie loslassen? Sie ist ganz allein in einer Welt aus Eis. Und ja, sie lässt los, sie tut niemandem weh. Es ist eine Befreiung, nun endlich ganz sie sein zu können. Auch ich kann beim Singen richtig loslassen und es genießen. Bei „Monster“ ist es ein ganz anderes Gefühl, macht aber auch viel mit mir. Elsa ist geflüchtet und fragt sich, ob sie ein Monster ist. Ist sie das wirklich? Soll sie ein Monster sein, um ihre Schwester zu retten? Sie erkennt, dass sie ist wie sie ist und mit ihren Kräften Gutes tun kann. Sie versucht, am Leben zu bleiben, zu verzeihen, die Kraft und den Mut aufzubringen, um zu erkennen: I’m a good Person. Das sind unglaubliche Gefühle, die zu diesen Songs gehören.
Du hast schon häufig erzählt, dass du über Umwege zum Musical gelangt bist. Wenn du jetzt überlegst, was macht für dich den Reiz von Musicals aus? Wie kam es, dass du in dieser Sparte dein Zuhause gefunden hast und geblieben bist?
Ja, es hat wirklich so angefangen: Hey, ich versuche mal was anderes – und dann? Ich habe zwei Auditions gemacht und bei der zweiten direkt den Job bekommen, wusste aber gar nicht, was mich erwartet. Schnell habe ich gemerkt, wie sehr ich es liebe. Ich liebe die Regelmäßigkeit, die so ein Theaterengagement mit sich bringt. Man kennt das Haus und die Leute, hat eine eigene Garderobe, wo die persönlichen Sachen sind. Ich genieße es, dass sich das Publikum in den Saal setzt, leise ist und zuhört, wenn ich eine Geschichte erzähle. Außerdem kann man sich in diesem Job unglaublich entwickeln. Ich habe im Ensemble angefangen, gefolgt von einer kleinen Rolle, dann Understudy. Und selbst jetzt, wo ich große Rollen spiele, kann ich mich immer noch umsehen nach Dingen, die ich in Zukunft machen kann. Man spielt ja auch jeden Abend mit anderen Leuten, bekommt dadurch natürlich eine andere Energie. So einen Job machen zu dürfen, ist ein Geschenk. Das heißt aber nicht, dass ich nie wieder in Bands spielen werde. Das liebe ich noch genauso. Aber es ist gut zu wissen, dass ich um 17.00 Uhr im Theater sein muss und um 23.00 Uhr nach Hause gehen kann. Ich glaube, dass ich damit gesund bleiben werde.
Woraus hast du in all deinen Bühnenjahren deine Inspiration geschöpft? Gab es eine Begegnung oder eine Zusammenarbeit im Laufe deiner erfolgreichen Karriere, die dich – vielleicht auch unbewusst – geprägt hat, wie keine andere?
Mein erster Job war bei „Elisabeth“ mit Pia Douwes. Und ich habe immer bewundert, wie sie ihren Job gemacht hat, mit welch einer Disziplin und Leidenschaft. Oft stand ich hinter den Kulissen, habe Pia beobachtet und mich gefragt, wie sie das heute Abend einfach wieder schafft. Sie ist definitiv ein Vorbild, wie sie diszipliniert und mit viel Freude ihrem Beruf nachgeht.
Du gehörst zu den wenigen europäischen Darstellerinnen, die das große Glück hatten, in New York zu spielen. Man weiß, wer am Broadway auftritt, hat es offiziell geschafft. Was macht für dich persönlich den Glanz des Broadways aus? Blieben dir ein Moment oder eine Erfahrung von damals ganz besonders in Erinnerung?
Es ist sicher ein Traum von vielen Menschen, einmal am Broadway zu spielen, weil die Geschichte des Broadways so lang ist. Das Musical stammt von dort. Aber seit wann werden Musicals in Deutschland oder den Niederlanden gespielt? Vielleicht seit 50 Jahren. Am Broadway schon seit 100 Jahren. In der Zeit wurden dort so viele Stars hervorgebracht. Das ist einfach etwas Besonderes. Es gibt dort so viele talentierte Menschen, so viele Kreative, und es wir so viel Neues entwickelt. Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen ersten Auftritt als Elphaba in „Wicked“ am Broadway. Ich komme von hinten durch die Tür auf die Bühne gerannt und es brandete sofort Applaus auf. Aus Deutschland und den Niederlanden kannte ich das. Aber ich war überrascht, dass es auch am Broadway passierte. Die kannten mich doch gar nicht! Ich dachte nur: Okay, this is happening to me now on Broadway. Ich weiß es noch genau, was das für ein Gefühl war. Unglaublich. Ich habe es nicht geglaubt. Das werde ich nie vergessen.
Was bedeutete es für dich, sozusagen in Idina Menzels Fußstapfen zu treten: zuerst bei „Wicked“, später als Elsas Synchronstimme? Welche Erinnerungen hast du an euren gemeinsamen Auftritt bei der Oscar-Verleihung 2020 in Los Angeles?
Das war wirklich toll. Ich hatte „Wicked“ gemacht, dann kam der Film „Frozen“ raus, und viele meinten schon zu mir, dass ich sicher die niederländische Stimme singen werde. Ich dachte nur, okay, Disney hat mich aber noch nicht angerufen. Aber es wäre schon toll. Und dann habe ich es wirklich bekommen, das war eine große Ehre. Als ich bei den Oscars war, habe ich mich tierisch gefreut, Idina endlich mal kennen zu lernen, weil wir uns noch nie zuvor begegnet waren. Während den Proben hatten wir kurz Zeit, um Hallo zu sagen und uns vorzustellen. Sie hat so lieb reagiert und fand es sehr schön, dass wir das zusammen machen konnten.
Um bei der Oscar-Verleihung zu bleiben: Bei deinem Solokonzert im Sommer 2020 im Amsterdamer DeLaMar Theater hat dein Ehemann, Bart van Hoof, erzählt, dass er deinen Auftritt bei den Oscars verpasst hat, weil er vor dem Fernseher eingeschlafen ist. Hast du ihm das je verziehen?
Oh ja, das habe ich. Er hatte am gleichen Tag Premiere von „Tina“ in Utrecht. Das war ein besonderer Tag für ihn: sehr anstrengend, viel geprobt, und dann natürlich die Premierenvorstellung. Mein Auftritt war nachts, also habe ich schon vorher gesagt zu ihm gesagt: Schatz, wenn du es nicht schaffst, verstehe ich das, den Auftritt kann man ja auch später noch anschauen. Bei dem Konzert hat er das natürlich als Witz gebracht. Aber es war alles okay und wir sind noch immer verheiratet. (lacht)
Wenn wir uns an das Konzert in Amsterdam erinnern, ist noch sehr präsent, dass dein Mann Saxophon, Flöte, Glockenspiel und Cachon gespielt hat. Wie ist das bei euch zu Hause, wenn eine Sängerin mit einem Musiker aufeinandertrifft? Musiziert ihr mal gemeinsam oder genießt ihr lieber die Zeit ohne Musik?
Ich muss gestehen, dass ich zu Hause nicht so viel singe. Aber Bart macht den ganzen Tag Musik. Er spielt nicht nur die genannten Instrumente, sondern mittlerweile auch Akkordeon, Ukulele und Gitarre und hat einfach so viel Spaß daran, die Instrumente zu üben und Songs zu proben. Es gibt also immer Musik bei uns. Manchmal singe ich einfach mit, wenn ich einen Song kenne. Aber zusammen machen wir das eigentlich kaum, was eigentlich schade ist, weil ich das Konzert geliebt habe, auch zusammen mit dem Pianisten Mark Kuypers. Das war so intim und echt von uns.
Wie stehen denn die Chancen, dass du so ein Solokonzert im intimen Rahmen auch mal in Deutschland gibst?
Ich würde mich freuen, das noch öfter zu machen – auch in Deutschland. Das war mal der Plan. Allerdings habe ich noch andere Sachen zu tun. (lacht) Irgendwann werden wir das noch mal machen. Ich fand vor allem diese intime Atmosphäre großartig. Das würde ich gern wiederholen in einem kleinen Theater mit maximal 500 Plätzen. Ich mache ja sonst sehr große Sachen wie bald die Arenatour mit „Disney in Concert“ oder ein Konzert im Ziggo Dome in Amsterdam. Das genieße ich total. Diesen Kontrast liebe ich sehr.
Du hast etliche Hauptrollen im Musicalbereich gespielt, bist viel unterwegs und lebst oftmals übergangsweise im Ausland. Wie schaffst du es, dir selbst treu zu bleiben in diesem doch harten Business und dass dir dein Pensum nicht zu viel wird? Wie holst du dir, egal wo du gerade bist, ein Stück Niederlande und Heimat nach Hause?
Wenn ich in einer anderen Stadt wie jetzt in Hamburg bin, ist es ja für die Arbeit. Von zu Hause muss ich gar nicht viel mitbringen und habe eigentlich nur ein Foto von mir und Bart dabei. Ich bin für die Arbeit hier und habe Spaß dabei. Wenn ich dann nach Hause komme, genieße ich das sehr. Hamburg ist glücklicherweise nicht so weit, deshalb habe ich öfter die Chance, nach Hause zu fahren. Von Wien aus, wo ich in „Rebecca“ gespielt habe, war das durchaus schwieriger. Also für mich ist es wichtig, ab und zu mal zu Hause zu sein. Und wie schaffe ich es, mir selbst treu zu bleiben? Ich denke, ich bin ein sehr geerdeter Mensch und auch immer schon gewesen. Natürlich arbeite ich viel, aber eben auch mit Leidenschaft und Freude. Es bereitet mir einfach Freude, wenn ich im Saal die glücklichen Menschen sehe. Glücklicher kann man mich nicht machen. Es gibt zwar auch Tage, an denen ich müde bin oder meine Heimat vermisse. Doch dann denke ich, es gibt viel schlimmere Sachen auf der Welt. Also kann ich durchhalten und eine Balance finden zwischen Arbeit und meinem Privatleben.
Wenn du die Möglichkeit hättest, jetzt die 16-jährige Willemijn Verkaik zu treffen, was würdest du ihr erzählen und mit den auf den Weg geben?
Ich würde ihr sagen, dass ich sehr zufrieden bin, wie es gelaufen ist. Und ich würde ihr sagen, dass sie alles mehr genießen soll. Gerade am Anfang meiner Karriere war ich oft unsicher. Ich war nicht von Anfang an in einer Hauptrolle, sondern bin langsam gewachsen. Das war sehr gut. Ich hätte nicht einfach Elphaba spielen können, als ich noch nichts von dem Job wusste. Ich finde es gut, wie ich jeden Schritt gegangen bin und dabei immer mehr gelernt habe. Dadurch bin ich immer ein bisschen reicher geworden. Was ich meinem 16-jährigen Ich noch mit auf den Weg geben würde: Ein bisschen mehr lächeln.
Interview: Katharina Karsunke und Dominik Lapp