Persönliches vom Chefredakteur: Meine Bühnenhöhepunkte 2019
Ob wohl ein Höhepunkt dabei war? Wieder ist ein Jahr vorüber. Und schon wieder hat das mit der Reduzierung meiner Theater- und Konzertbesuche irgendwie nicht geklappt. Dieses Mal komme ich auf 88 Vorstellungen, die ich besucht habe. Natürlich war ich wieder viel für kulturfeder.de unterwegs, aber auch für die Zeitung. Im Durchschnitt habe ich also an jedem vierten Abend irgendwo in einem Theater oder einer Konzerthalle gesessen.
Das ist natürlich purer Luxus und keine Selbstverständlichkeit. Darüber bin ich mir im Klaren. Trotzdem darf man dabei nicht vergessen, dass das auch Arbeit ist. Oftmals verbinde ich Theaterbesuche mit Interviews, Fototerminen, recherchiere für Hintergrundberichte und so weiter. Auch im Theater bin ich keiner von den Besuchern, die vorher noch gemütlich einen Sekt trinken, sich in der Pause austauschen und lange auf der Premierenfeier bleiben.
Während ich ein Stück oder ein Konzert sehe, mache ich mir Notizen, entwickle im Kopf schon ein grobes Gerüst für das, was ich hinterher schreiben werde. Und nach einer Vorstellung geht es meistens nicht gemütlich ins Hotel oder nach Hause, sondern entweder noch auf die Autobahn oder direkt an den Schreibtisch. Wenn ich eine Premiere gesehen habe, ist meine Rezension dazu oft schon am nächsten Morgen fertig. Manchmal schreibe ich nachts noch drei Stunden. Von daher sind 88 kulturelle Besuche einerseits großartig, andererseits aber auch mit viel Arbeit verbunden.
Was man dabei nicht vergessen darf: Ich sehe mir nicht nur die Produktionen an, die mich privat interessieren, sondern von denen ich denke, dass sie die Leserinnen und Leser interessieren. Wenn bei mir also die Einladungen zu Premieren eintreffen oder ich mir fürs Jahr schon einen groben Plan mache, welche Stücke und Konzerte ich besuche, dann berücksichtige ich dabei nicht nur meinen eigenen Geschmack, sondern versuche alle wichtigen Produktionen abzudecken, von denen ich meine, dass das Leserinteresse daran besonders groß ist. Dann schaue ich, was ich selbst übernehmen und welche Produktionen ich an meine Teammitglieder abgeben kann.
So bin ich 2019 also auf 88 Vorstellungen gekommen, die ich gesehen habe. Rechne ich die letzten 22 Jahre zusammen, komme ich mittlerweile auf mehr als 800 besuchte Vorstellungen. Und ich muss sagen: Es wird immer schwieriger, echte Höhepunkte auszumachen, weil ich schon so viel gesehen habe – viele Stücke auch in mehreren Inszenierungen. Im vergangenen Jahr war es im Musicalbereich zum Beispiel so, dass ich die beiden Produktionen, die mich am brennendsten interessiert haben, gar nicht sehen konnte, weil Termine und Entfernung sich nicht miteinander vereinbaren ließen. Die Rede ist von „Der Mann mit dem Lachen“ in Dresden und „Marguerite“ in Saarbrücken. Bei beiden Shows hoffe ich jedoch, dass ich einen Besuch in diesem Jahr nachholen kann. Nun möchte ich allerdings zunächst einmal auf meine persönlichen Bühnenhöhepunkte des Jahres 2019 eingehen.
Für mich nicht nur der Höhepunkt im Januar, sondern definitiv auch ein Höhepunkt des Jahres, war die englischsprachige Tourproduktion von „Miss Saigon“. Vor dem Hintergrund, dass viele Musicals seit zehn und mehr Jahren durch Deutschland rotieren, erscheint es geradezu unglaublich, dass „Miss Saigon“ fast 20 Jahre nicht mehr hierzulande zu sehen war. Mag das Stück bei den Charakteren und der Optik auch sehr von Klischees leben, so ist es dennoch ein sehr gutes Werk, das viele Gänsehautmomente verspricht. Denn in „Miss Saigon“ vereinigt sich alles, was ein gutes Musical ausmachen kann: Es bietet eine sehr emotionale Liebesgeschichte vor dem Hintergrund eines historischen Ereignisses, verbunden mit fantastischer Musik.
Im Februar erlebte ich meine zwei stärksten Theatermomente in Bielefeld. Dort sah ich zum einen die Oper „Hänsel und Gretel“ und zum anderen das Musical „Daddy Langbein“. Vor allem „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck war für mich eine echte Überraschung. Denn Regisseur Jan Eßinger hat es tatsächlich geschafft, mit seiner Inszenierung zu überraschen und einen glänzenden Punktsieg zu landen. Selten hat man diese altbekannte Oper wohl so kreativ und frisch umgesetzt, musikalisch stark präsentiert und inszenatorisch so behutsam in die Gegenwart transferiert gesehen. Im Loft des Bielefelder Stadttheaters merkte ich bei „Daddy Langbein“ außerdem mal wieder, dass weniger oft so viel mehr ist. Thomas Winter hat mit seiner Inszenierung ein berührend-emotionales Kammerspiel geschaffen, worin Jeannine Michèle Wacker und Gero Wendorff eine authentische, berührende und emotionale Geschichte erzählten. Dieses Musical ist ein echter Geheimtipp!
Im März gab es für mich ein Wiedersehen mit Edward Bloom und „Big Fish“. Das Musical in der Inszenierung von Andreas Gergen hatte mir bereits 2017 in Heilbronn exzellent gefallen. Aber auch am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen wusste die Produktion mit dem erstklassigen Benjamin Oeser in der Hauptrolle zu überzeugen. Ein weiterer Höhepunkt war zudem „The Wiz“, das vom Jungen Musical Leverkusen zur Aufführung gebracht wurde. Es war für mich das erste Mal, dass ich eine Produktion dieser Laiengruppe besucht habe – und es hat sich gelohnt! Wirklich lohnenswert war außerdem ein Besuch der Tour von „Abbamania“. Dort habe ich eine zweieinhalbstündige Konzertshow erlebt und bin in die Jahre 1972 bis 1982 eingetaucht, um mich dem Glitzer, den Plateauschuhen und den zeitlosen Songs von Abba hinzugeben.
Zu Hause in Osnabrück durfte ich im April mit „The Producers“ nicht nur eine von mir ohnehin sehr geschätzte Musical-Comedy erleben, sondern auch eine richtig starke Inszenierung sehen. Die Musicalstudenten der Essener Folkwang Universität hingegen packten mich mit ihrer mitreißenden Interpretation von „Spring Awakening“ – ein weiterer Höhepunkt der Essener Musicalschmiede.
Im Mai ging es zu einem Weltstar, denn in Hamburg besuchte ich eines der wenigen Deutschlandkonzerte von Hugh Jackman. Am Ende des Konzerts sang Jackman den Song „From now on“, die große Schlusshymne aus dem Musicalfilm „The Greatest Showman“, womit ihm der perfekte Abschluss eines durchweg perfekten Konzerts gelang. Zweieinhalb Stunden lang hat Jackman bewiesen, dass er ein Entertainer von Weltformat ist, ein charismatisches Energiebündel mit einer unbändigen Liebe für das Musicalgenre. Das konnte im Mai freilich nur schwer getoppt werden, aber mein erster Besuch an der Freilichtbühne Coesfeld geriet dennoch zu einem weiteren Höhepunkt in dem Monat, weil ich dort eine absolut fantastische Produktion des Musicals „Natürlich Blond“ sah.
Meine Juni-Highlights waren die fantastische „Carrie“-Inszenierung im First Stage Theater in Hamburg sowie die unglaublich gelungene Neuinszenierung von „Evita“ im Capitol Mannheim. Zwei starke Musicalabende, die mir noch lange im Gedächtnis bleiben werden und auf die im Juli die Oper „Guercoeur“ in Osnabrück, das Musical „Funny Girl“ bei den Bad Hersfelder Festspielen, das Musical „Der Mann von La Mancha“ bei den Schlossfestspielen Ettlingen sowie das Schauspiel „Shakespeare in Love“ in Bad Hersfeld folgten. Alle vier Produktionen begeisterten mich auf ihre Art.
Bei „Guercoeur“ war ich einfach dankbar, diese Opernrarität, die 88 Jahre nicht mehr aufgeführt wurde, erleben zu dürfen. Bei „Funny Girl“ überzeugte mich besonders die kreative Inszenierung von Stefan Huber. „Der Mann von La Mancha“ hingegen ist ein generell von mir geschätztes Musical, das mir in Ettlingen aufgrund der starken Ensembleleistung und der tollen Inszenierung von Felix Seiler sehr gefallen hat. Und „Shakespeare in Love“ bot nicht nur geniale Wortgefechte, sondern auch spannende Waffenkämpfe – ein Schauspiel, das es sofort in mein Herz schaffte und deshalb einen weiteren Höhepunkt im Jahr 2019 für mich darstellt.
Im August durfte ich im Rahmen des „Hütte rockt“-Festivals in Georgsmarienhütte bei Osnabrück zum ersten Mal die Symphonic-Metal-Band „Beyond the Black“ live erleben (im Oktober folgte ein weiterer Konzertbesuch) und Frontfrau Jennifer Haben interviewen, bevor sich die Besuche bei „Bonifatius“ in Fulda und „Die fabelhafte Welt der Amélie“ in München als weitere Höhepunkte erwiesen. Mit „Die fabelhafte Welt der Amélie“ durfte ich ein neues Musical sehen, dessen Filmvorlage mich vor einigen Jahren schon in ihren Bann gezogen hatte – und vor allem die herrliche Filmmusik von Yann Tiersen. Umso schöner war es, dass Zitate der Filmmusik auch im Musical verarbeitet wurden. „Bonifatius“ kannte ich dagegen bereits aus dem Jahr 2005, wo es noch ganz minimalistisch im Schlosstheater Fulda gezeigt wurde. Die Neuinszenierung von Stefan Huber (ja, noch einmal Huber!) vor dem Fuldaer Dom hingegen war ein völlig anderes Kaliber. Großes Orchester, ein stimmstarker Chor, die gewaltige Kulisse und exzellente Darsteller machten diesen Musicalbesuch im August 2019 zu einem weiteren Höhepunkt.
Im September zog das Theater Osnabrück mit seinen Produktionen endlich wieder raus in die Stadt, denn das „Spieltriebe“-Festival, das alle zwei Jahre veranstaltet wird, versprach wieder ein Theatererlebnis par excellence. Einen starken Opernmoment hatte ich danach mit „Madama Butterfly“ am Dortmunder Opernhaus. Und nachdem ich „Catch me if you can“ bereits in einer Inszenierung der Staatsoperette Dresden gesehen hatte, war ich sehr gespannt auf Gil Mehmerts Inszenierung in Darmstadt, die zu keiner Zeit langweilte.
Im letzten Quartal des vergangenen Jahren erwiesen sich im Oktober das Musical „Jekyll & Hyde“ in Dortmund, das Musical „The Book of Mormon“ in Amsterdam und die Schauspielkomödie „SMS für dich“ in Hannover als meine persönlichen Höhepunkte – im November gefolgt von der szenischen Lesung „Empfänger unbekannt“ aus Berlin, die in Essen zu Gast war. Positiv überrascht hat mich zudem die Operette „Märchen im Grand Hotel“ von Paul Abraham, was zum einen mal wieder der starken Regiearbeit von Stefan Huber (ja, schon wieder der Huber und schon wieder eine Höhepunkt!), zum anderen aber auch den Darstellern und Musikern zu verdanken war. Außerdem ging es für mich im November zum zweiten Mal zum Konzert „The World of Hans Zimmer“, was erneut ein gigantisches Erlebnis war. Im Dezember standen dann nicht mehr viele Theaterbesuche bei mir an, aber mit der modernen Interpretation von „Aschenputtel“ am Theater Osnabrück hatte ich zum Jahresende doch noch eine weitere Perle entdeckt.
Text: Dominik Lapp