Kultur im Theater (Foto: Dominik Lapp)
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Der größte Störfaktor im Theater? Das Publikum!

Was wären Kulturschaffende ohne Publikum? Nichts! Ganz klar: Ohne Publikum braucht sich niemand auf die Bühne stellen. Ohne Publikum werden keine Einnahmen erzielt. Dann lohnt sich Kultur wirtschaftlich gar nicht. Deshalb ist das Publikum unverzichtbar. Aber gleichzeitig hat es sich mittlerweile zum größten Störfaktor entwickelt.

Was war das für eine Wohltat, als zu Corona-Zeiten – zumindest dann, wenn wir uns nicht gerade im Lockdown befanden und Theater unter Einschränkungen wieder öffnen durften – Theatersäle nur zu 25 Prozent ausgelastet werden durften! Manche Zuschauerinnen und Zuschauer fanden das befremdlich, meinten, mit 250 Menschen in einem 1.000 Personen fassenden Theatersaal würde keine Stimmung aufkommen. Für mich hingegen war es großartig. Denn ich habe nie ein angenehmeres und wertschätzenderes Publikum erlebt als in den Corona-Jahren. In dieser Zeit sind Menschen ins Theater gegangen, die das Dargebotene wirklich im Hier und Jetzt genießen wollten. Die Leute saßen mit viel Abstand zueinander, man hatte seine Ruhe und konnte sich vollkommen auf das Stück konzentrieren. Dass ein Theaterbetrieb mit einer Auslastung von 25 Prozent nicht rentabel ist, leuchtet ein. Aber für mich als Zuschauer hatte es nur Vorteile.

Publikum wird immer unverschämter, immer schlimmer

Mittlerweile sind die Theater wieder voll, und was ich leider feststellen muss: Das Publikum wird immer unverschämter, immer schlimmer. Erst kürzlich habe ich eine Vorstellung des Musicals „Titanic“ am Theater Osnabrück besucht, die ich in der Pause genervt und wütend verlassen habe. Wegen des Publikums! Glücklicherweise hat mich das Ticket der günstigsten Kategorie in der vorletzten Reihe des zweiten Rangs nur knapp 20 Euro gekostet. Aber ärgerlich war es dennoch. Weil ich das Ticket seit einem halben Jahr besaß. Normalerweise kaufe ich Theaterkarten eher spontan, selten so lange im Voraus. Bei „Titanic“ war es jedoch notwendig, weil die Vorstellungen immer ausverkauft waren. Doch der erste Akt dieses Stücks war eine einzige Qual. Nicht wegen der Leistungen auf der Bühne, sondern, richtig, wegen des Publikums!

Theater Osnabrück (Foto: Dominik Lapp)

Novum: Livestream auf TikTok

Es begann damit, dass eine Dame bei der Ouvertüre, während der eine Tauchfahrt zum Wrack der Titanic auf den Vorhang projiziert wird, ihr Smartphone auspackte und zu filmen begann. Minutenlang. Aber es kam noch dicker. Als dann schließlich Christian Alexander Müller in der Rolle des Schiffskonstrukteurs Thomas Andrews die Bühne betrat und sein Solo „Zu allen Zeiten“ sang, wechselte die Dame auf ihrem Smartphone zu TikTok und streamte den Song live auf der Social-Media-Plattform. Dass während einer Vorstellung illegal gefilmt und fotografiert wird, haben sicher alle schon erlebt, die regelmäßig ein Theater besuchen. Dass jetzt aber sogar live gestreamt wird, war für mich ein Novum und ließ mich irgendwo zwischen Fassungslosigkeit und Wut auf meinem Sitz zusammensacken.

Dummerweise fühlten sich dadurch noch mehr Menschen im zweiten Rang animiert, es ihr gleichzutun. Während des gesamten ersten Akts wurden immer wieder Smartphones gezückt, fotografiert und gefilmt. Und als wäre das nicht nervig genug, mussten die Fotos und Videos sogleich via WhatsApp an die persönlichen Kontakte versendet werden. Ganz ehrlich: Ich lese so oft, dass Kinder im Theater so nervig sein sollen. Mitnichten. Wenn ein Kind pausenlos quasselt, Fragen stellt oder etwas in den Saal ruft, dann nicht, weil es damit egoistisch anderen Menschen auf den Zeiger gehen will, sondern aus ehrlichem Interesse an dem Gesehenen. Erwachsene hingegen sollten es besser können, schaffen es jedoch nicht, anderthalb Stunden das verdammte Smartphone in der Tasche zu lassen und eine Theatervorstellung einfach zu genießen. Wer schaut sich die verwackelten und unscharfen Videos hinterher eigentlich noch an?

Schon bei der Ouvertüre gilt: Klappe halten!

Schaffen es die Menschen nicht, anderthalb Stunden stillzusitzen, sich nicht mit der nebensitzenden Person zu unterhalten und das Handy, die Smartwatch und sonstige elektronischen Geräte im Flugmodus zu lassen? Kann man den Daheimgebliebenen nicht nach der Vorstellung berichten, wie es war? Muss das jetzt schon während der Vorstellung sein? In einem komplett dunklen Theatersaal zieht ein hell erleuchtetes Display oder Gesicht nun mal Fokus und lenkt die umsitzenden Menschen ab.

Auch eine Unsitte: sich während der Ouvertüre zu unterhalten. Weil die Vorstellung angeblich noch nicht begonnen hat. Doch. Die Ouvertüre möchte ich in vollen Zügen genießen, mich mit der Musik auf die Vorstellung einstimmen, mich darauf voll und ganz einlassen. Dabei möchte ich mir nicht Gespräche darüber anhören müssen, dass Tante Trude letzte Woche ihren Dackel beerdigt hat. Das kann man sich doch im Café erzählen. Aber im Theater?!

Symbolbild Saal Theater Vorhang Curtain Stage

Einsicht? Fehlanzeige!

Zurück zur „Titanic“-Vorstellung: Im zweiten Rang wird die Luft irgendwann ziemlich warm und stickig. Das veranlasste eine Dame neben mir, ihre auf einem DIN-A4-Blatt ausgedruckte Eintrittskarte lautstark zu falten. Gefühlt nahm das Faltgeräusch kein Ende. Warum? Weil sie sich einen Fächer bastelte. Natürlich in einer ruhigen Dialogszene. Dann die vermeintliche Rettung: Eine Dame vom Einlasspersonal – nennt sich in Osnabrück Besucherservice – betrat den Saal und setzte sich hinter mich. Ich war erleichtert, sie würde sicherlich einschreiten. Aber nein, das tat sie nicht. Im Gegenteil. Sie sorgte dafür, dass meine Laune noch weiter sank. Weil sie ihr Funkgerät so laut eingestellt hatte, dass ich immer wieder Gesprächsfetzen daraus mitanhören musste. Endlich: Die Titanic hatte den Eisberg gerammt, der Vorhang senkte sich. Pause. Nichts wie raus aus diesem Irrenhaus! Später erfuhr ich, dass es im zweiten Akt genauso weiterging, der Besucherservice dann aber doch einschritt und eine filmende Dame ansprach – die sich aber gar nicht von ihrem Vorhaben abbringen ließ. Das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen der letzten Jahre und ist ein Grund, warum ich mich tierisch ärgere, aber Menschen nicht mehr auf ihr Fehlverhalten anspreche: Weil sie ihren Fehler nicht einsehen, zum Teil unwirsch bis beleidigend reagieren und offenbar meinen, dass sie mit ihrer Eintrittskarte auch sämtliche Film- und Fotorechte erworben haben.

Aufgrund des immer schlimmer werdenden Publikumsverhalten habe ich meine Theaterbesuche mittlerweile reduziert. Ich vermeide, wenn möglich, ausverkaufte Vorstellungen und gehe lieber an schlecht besuchten Tagen ins Theater oder sitze gern allein am Rand, um nicht inmitten dieser immer egoistischer werdenden Masse sitzen zu müssen. Und es führte mittlerweile dazu, dass ich einzelne Theater gänzlich meide. Dazu zählt zum Beispiel die Waldbühne Kloster Oesede, wo grundsätzlich während der Vorstellung gequatscht und gegessen wird und die Sektkorken knallen. Der absolute Tiefpunkt war für mich dort erreicht, als eine Person in der ersten Reihe während der laufenden Vorstellung aufstand und kurz verschwand. Ganz naiv tippte ich auf eine schwache Blase. Wenig später kehrte die Person zurück. In ihrer Hand: Bier. Ich war fassungslos, und es war mein letzter Besuch dort.

„Gönnen Sie sich den Luxus der Unerreichbarkeit!“

Was den verkorksten Abend in Osnabrück betrifft: Mir ist völlig unverständlich, dass das Theater Osnabrück als eines von ganz wenigen Theatern vor Vorstellungsbeginn nicht einmal ansagt, dass Foto- und Filmaufnahmen untersagt sind. Das würde das Problem zwar nicht verhindern, aber vielleicht zumindest etwas eindämmen. Ich lobe mir eine entsprechende Ansage im Saal der Staatsoper Hannover, wo vor jeder Vorstellung die Stimme der Intendantin Laura Berman aus den Lautsprechern schallt: „Wir bitten Sie, Ihre Handys auszuschalten, nicht zu filmen und zu fotografieren, nicht zu posten, zu twittern und zu googeln. Gönnen Sie sich den Luxus der Unerreichbarkeit und genießen Sie die Vorstellung.“ Wie recht sie hat!

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".