Daumen runter
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Meine zehn schlimmsten Musicalsongs

Ich liebe viele Musicals, aber nicht jeden Musicalsong darin. Es gibt sie also, diese Momente, in denen ich im Theater sitze und einen Song ertragen muss, der mir entweder innerliche Schmerzen bereitet oder mich so sehr langweilt, dass ich am liebsten ins Polster meines Theatersessels beißen möchte. Da können sich dreieinhalb Minuten auch mal wie eine Ewigkeit anfühlen. Obwohl ich die Frühwerke und Klassiker von Andrew Lloyd Webber sehr gern mag, existieren gleich vier Musicals von ihm, die jeweils einen der für mich schlimmsten Musicalsongs beinhalten. Die nachfolgende Auflistung ist nichtsdestotrotz mit einem Augenzwinkern zu verstehen.

Platz 10: „Unchained Melody“ aus „Ghost“
Ich liebe die Musik, die Dave Stewart und Glen Ballard für das Musical „Ghost“ geschrieben haben. Aber der Song „Unchained Melody“, der ja nicht für die Musicalfassung, sondern bereits 1955 als Popsong geschrieben wurde und 1990 zur Titelmelodie des Films „Ghost“ wurde, ist für mich ein Fremdkörper im Musical. Natürlich wurde der Filmsong in die Musicalfassung integriert, damit die Fans des Films einen Identifikationspunkt haben. Da warten natürlich alle drauf. Aber hätte es das wirklich benötigt? Ein Musical wie „Sister Act“ funktioniert doch mit der Musik von Alan Menken auch bestens ohne die Filmsongs von Marc Shaiman. „Unchained Melody“ ist für mich jedenfalls eine so dermaßen vor Schmalz triefende Schnulze, dass ich froh bin, wenn die Szene im Musical vorbei ist.

Platz 9: „Erinnerung“ aus „Cats“
Was habe ich diesen Song zu Beginn meiner Musical-Leidenschaft geliebt! Das war 1996. Heute, 26 Jahre und Tausende Interpretationen später, hängt mir die Nummer wirklich zum Hals raus und bereitet mir nur noch Katzenjammer. Mir bluten inzwischen die Ohren, wenn ich diese schlagerhafte Nummer wieder mal auf einem Konzert ertragen muss. Wobei ich zugebe, dass mir sowohl die Version der Musical Tenors als auch die Interpretation von Joanna Ampil bei der UK-Tour 2017 von „Cats“ hervorragend gefielen. Das waren beides frische Versionen, die ich genießen konnte. Aber eigentlich möchte ich diesen Song nicht mehr hören.

Platz 8: „Kann es wirklich Liebe sein“ aus „Der König der Löwen“
Hier haben wir denselben Effekt wie beim vorherigen Song. Als der Film „Der König der Löwen“ 1994 rauskam, habe ich den Song „Kann es wirklich Liebe sein“ geliebt. Vor allem die englische Version „Can you feel the Love tonight“ in der Interpretation von Elton John. Die Nummer lief ja auch im Radio rauf und runter. Auf der CD hörte ich den Song immer im Modus „Repeat one“. Das wird wohl die Ursache dafür sein, dass ich die Nummer heutzutage auf der CD überspringe und auch nicht mehr im Theater oder Konzertsaal hören kann.

Platz 7: „Das Phantom der Oper“ aus „Das Phantom der Oper“
Bei den vielen verschiedenen Musicalversionen von „Das Phantom der Oper“, die durch deutsche Lande touren und mit dem Werk von Andrew Lloyd Webber nichts zu tun haben (außer Titel und teilweise Handlung), beschweren sich die Leute gern, dass es den Titelsong nicht zu hören gab. Sogar Zeitungen titelten schon „Phantom der Oper ohne Phantom der Oper“. Aber mal ehrlich: Will den Titelsong aus Andrew Lloyd Webbers Meisterwerk immer noch jemand hören? Ich mag zwar das Musical, aber mir rollen sich mittlerweile nur noch die Zehennägel hoch, wenn ich diesen Titelsong höre. „Sing, mein Engel der Muse!“ Gruselig.

Platz 6: „Wie soll ich ihn nur lieben“ aus „Jesus Christ Superstar“
Stolze 50 Jahre hat die Rockoper „Jesus Christ Superstar“ nun schon auf dem Buckel. Das Werk ist noch immer brandaktuell, mitreißend, emotional und rockt so dermaßen gut! Ich liebe es, wie durchkomponiert das Stück ist und es einem kaum Zeit zum Durchatmen lässt. Und dann hat sich in die starke Partitur diese Schnulze mit dem Titel „Wie soll ich ihn nur lieben“ gemogelt. Unglaublich.

Platz 5: „Wein‘ nicht um mich, Argentinien“ aus „Evita“
Oh, wie liebe ich „Evita“! Anspruchsvolle Musik, eine spannende Handlung über das Leben einer äußerst kontroversen Persönlichkeit. Diese geniale Idee, Ché Guevera als Erzähler und Kommentator in die Handlung zu integrieren, der viele starke Songs zu singen hat. Und dann kommt die Titelrolle und jault diese nicht enden wollende Nummer vom Balkon der Casa Rosada! Hätte man ihr nicht eine krachende Rocknummer schreiben können? Und wenn es schon eine Ballade sein musste: Warum muss sie ausgerechnet fast sechs Minuten lang sein? Während ich den Song bei Konzerten und auch auf den Castalben nicht ausstehen kann, ertrage ich ihn im Theater aber trotzdem, wenn die Nummer gut in Szene gesetzt wurde und neben dem Gesang auch das Schauspiel der jeweiligen Darstellerin passt – so wie 2019 „Evita“ mit Roberta Valentini in Mannheim.

Platz 4: „Totale Finsternis“ aus „Tanz der Vampire“
Die „ToFi“! Im Musical Tanz der Vampire“ halte ich diese Eröffnungsnummer des zweiten Akts gerade noch aus. Aber wenn ich dieses Duett bei Konzerten höre, möchte ich am liebsten schreiend, mit brennenden Haaren und in die Luft gestreckten Armen aus dem Saal stürmen. Ich. Möchte. Diese. Nummer. Nicht. Mehr. Hören. Weder von Bonnie Tyler noch von irgendwelchen Musicalstars. Übrigens: Kennt ihr die Version von Bonnie Tyler und Florian Silbereisen? Auf Youtube hat dazu jemand geschrieben: „Ich habe auf einmal das starke Bedürfnis, lachend in eine Kreissäge zu laufen.“ Ich lasse das mal so stehen. Seht und hört selbst:

Platz 3: „Der Prinz ist fort“ aus „Mozart!“
„Der Prinz ist fort. Das Schloss ist leer. Und die Prinzessin lacht nicht mehr.“ Bei diesem Song wundert es mich nicht, dass das Schloss leer ist. Ich hätte als Mozart sofort die Flucht von Salzburg nach Wien ergriffen, wenn mir meine Schwester dieses Lied vorgesungen hätte. Was für eine schreckliche Nummer! Sie bringt weder die Handlung von Mozart!“ voran, noch hilft sie, den Charakter von Nannerl Mozart zu entwickeln (auch wenn das Lied sicher aus genau diesem Grund existiert).

Platz 2: „Boote in der Nacht“ aus „Elisabeth“
Noch eine Nummer aus einem Kunze/Levay-Musical, die ich mehr als entbehrlich finde. Sie nervt. „Elisabeth“ zählt ganz sicher zu den besten deutschsprachigen Musicals, ist so intelligent geschrieben. Allein dass die österreichische Kaiserin eine Liaison mit dem Tod hat und ihr Attentäter als Erklärbär fungiert – großartig! Und dann kommt gegen Ende des zweiten Akts dieser Einschlafsong, in dem Elisabeth und Franz Joseph sehr bedeutungsschwanger resümieren, warum ihre Ehe so schwierig ist. „Warum wird uns das Glück so schwer gemacht?“ Ja, das frage ich mich auch immer wieder, wenn ich dieses Lied hören muss.

Platz 1: „Wie vor aller Zeit“ aus „Titanic“
Pure Dramatik. Die Titanic hat den Eisberg gerammt. In die Rettungsboote! Frauen und Kinder zuerst. Maury Yeston hat fantastische Musik für das Musical „Titanic“ komponiert. Da mischen sich gerade noch elegant-schwelgerische Streicherklänge mit den bedrohlichen Blechbläsern, es erklingt ein markerschütternder Choral – und dann, kurz bevor der Kahn untergluckert, wird die Dramatik ausgebremst, weil das Ehepaar Straus dieses elendig langweilige Duett „Wie vor aller Zeit“ trällern muss. Schrecklich. Der für mich schlimmste Musicalsong überhaupt.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".