Theater (Foto: Dominik Lapp)
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Kritisch betrachtet: Die Unsichtbaren – Warum Autoren und Übersetzer im Musical mehr Anerkennung verdienen

Im Schatten der strahlenden Musicalproduktionen verbirgt sich eine unbequeme Wahrheit: Die kreativen Köpfe hinter den Songtexten und Dialogen werden zunehmend unsichtbar gemacht. Übersetzer, Buchautoren und manchmal sogar die Komponisten selbst bleiben in der öffentlichen Wahrnehmung auf der Strecke – und das nicht nur beim Publikum, sondern auch in der Berichterstattung und von Veranstaltern selbst.

Ein aktuelles Beispiel ist das Michael-Jackson-Musical „MJ“, das gerade in Hamburg Premiere feierte. Die Songs sind im englischen Original. Doch obwohl die Dialoge für das deutschsprachige Publikum übersetzt wurden, sucht man den Namen der Übersetzerin vergeblich – weder in der Pressemappe für Journalisten noch auf der Webseite der Show und auch sonst nirgends wird diese essenzielle Arbeit gewürdigt. Es ist ein irritierender Trend, der sich immer weiter ausbreitet. Während Übersetzer bei einigen wenigen Produktionen wie „Hamilton“ noch genannt werden, bleiben sie andernorts schlicht unsichtbar.

Nun kann man sich darüber streiten, ob Übersetzungen gut oder schlecht sind. Doch im deutschsprachigen Raum ist es nun mal üblich, Musicals zu übersetzen. Die Arbeit der Übersetzerinnen und Übersetzer ist ein zentraler Bestandteil vieler Produktionen hierzulande. Gerade im Musical, wo Dialoge, Lieder und Emotionen nahtlos ineinandergreifen müssen, um eine (womöglich komplexe) Handlung zu erzählen, braucht es sprachliches Feingefühl, um die Originalwerke authentisch und wirkungsvoll zu übertragen. Ihre Arbeit ist essenziell für die Verbindung zwischen Bühne und Publikum. Und dennoch werden sie systematisch übergangen – ein Zustand, der an kulturelle Geringschätzung grenzt.

Wer nicht im Rampenlicht steht, wird ignoriert

Doch nicht nur Übersetzerinnen und Übersetzer werden oft ignoriert, auch die Autorinnen und Autoren von Musicals stehen immer weniger im Rampenlicht. Die großen Namen wie Andrew Lloyd Webber oder Stephen Sondheim sind vielen noch ein Begriff. Wohl nahezu alle, die sich für Musicals interessieren, wissen, wer die Komponisten von Stücken wie „Das Phantom der Oper“, „Sweeney Todd“, „Les Misérables“, „Elisabeth“, „Rent“ oder „Aida“ sind. Doch wie sieht es bei neueren Produktionen aus? Wer kann auf Anhieb sagen, wer die Musik für „Come from away“, „Mrs. Doubtfire“ oder „Back to the Future“ komponiert hat, geschweige denn, wer das Buch dazu schrieb?

Selbst als Kulturjournalist muss ich gerade bei neueren Produktionen oft nachsehen, um diese Informationen herauszufinden – weil im Musicalbereich die Schöpferinnen und Schöpfer der Werke immer mehr in den Hintergrund rücken. Die veranstaltenden Firmen propagieren heutzutage nur noch den Titel von Shows, die Namen der auf der Bühne spielenden Stars und irgendwelche Superlative fürs Marketing. Aber auf den Showplakaten sucht man vergeblich nach Namen von den Menschen, ohne die es diese Shows gar nicht geben würde.

Sehr gern wird auch auf Markennamen zurückgegriffen: Es heißt nur noch Disneys „Hercules“ oder Disneys „Die Eiskönigin“. Die Namen von Alan Menken oder Kristen Anderson-Lopez und Robert Lopez spielen da nur eine untergeordnete Rolle. Und das Publikum nimmt es hin. Wichtig ist: Wo Disney draufsteht, ist Disney drin. Wer die Musik, die Texte, das Buch geschrieben und alles übersetzt hat? Geschenkt!

Ohne die Unsichtbaren gäbe es keine Show

Diese Unsichtbarkeit ist nicht nur respektlos gegenüber den Schöpferinnen und Schöpfern, sondern führt auch dazu, dass die kulturelle Breite und Tiefe von Musicals verflacht wird. Es entsteht der Eindruck, Musicals seien kommerzielle Massenprodukte, die aus dem Nichts erscheinen, statt Werke mit einem reichen kreativen Fundament. Dabei lebt die Theaterkunst von der Persönlichkeit und Handschrift ihrer Macher – und diese sollte nicht verschwiegen werden.

Auch die Medien, Blogger, Youtuber und Influencer tragen eine Mitverantwortung. In Rezensionen und Berichten werden die Namen der Autorinnen und Autoren sowie der Übersetzerinnen und Übersetzer oft einfach ausgelassen. Das ist ein Versäumnis, das korrigiert werden muss. Schließlich trägt jede Erwähnung dazu bei, ihre Arbeit sichtbar zu machen und wertzuschätzen.

Musicalproduktionen müssen hier einen Paradigmenwechsel einleiten. Transparenz über die kreativen Mitwirkenden sollte selbstverständlich sein – von der Pressemappe über Plakate und Flyer bis zum Programmheft. Denn hinter jeder packenden Inszenierung stehen Menschen, deren Arbeit es verdient, gewürdigt zu werden. Wer die Kunst liebt, sollte auch die Künstlerinnen und Künstler ehren – aber nicht nur diejenigen, die auf der Bühne stehen, sondern ebenso die unsichtbaren. Denn ohne diese Kreativköpfe im Hintergrund gäbe es für die Stars einer Show gar keinen Anlass, auf der Bühne zu stehen – und die Produktionsfirmen hätten kein Produkt, das sie verkaufen können.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".