Zeitschrift „Musical Today“ (Foto: Dominik Lapp)
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Kritisch betrachtet: Warum wir keine weitere Musicalzeitschrift brauchen

Ich arbeite seit 22 Jahren als Journalist, wurde aber nicht nur journalistisch, sondern auch verlagskaufmännisch ausgebildet. Ich habe für verschiedene große Verlagshäuser in Hannover, Hamburg, Stuttgart und Osnabrück gearbeitet und dort auch neue Zeitschriften, Onlinemagazine und ePaper mitentwickelt und bis zur Markteinführung begleitet – sowohl im Bereich Redaktion als auch in den Bereichen Anzeigen, Vertrieb und Marketing. Dadurch bringe ich eine journalistische wie verlegerische Expertise mit für die nachfolgende Betrachtung in einem Prolog, zwei Akten, einem Epilog und einer Zugabe.

Nachdem nach 38 Jahren und 222 Ausgaben Ende 2023 die – aus meiner Sicht ohnehin völlig antiquierte – Fachzeitschrift „musicals“ eingestellt wurde, für die ich immerhin auch zehn Jahre lang geschrieben habe, ist 2024 ein neues Magazin mit dem Titel „Musical Today“ auf den Markt gekommen. Eine kostenlose Erstausgabe erschien im März 2024, regulär alle drei Monate erscheint die Zeitschrift seit August. Ich habe mir beide Ausgaben sehr genau angesehen.

Prolog: Der erste Eindruck zählt – und enttäuscht

Es ist März 2024, und nach der langen Ära von „musicals“ erwartet die Szene gespannt das Erscheinen der neuen Zeitschrift „Musical Today“. Voller Vorfreude habe ich die kostenlose Erstausgabe angefordert. Doch was als Hoffnungsschimmer begann, endete schnell in Ernüchterung. Drei Wochen dauerte es, bis das Heft endlich bei mir ankam, und dann fand ich darin teilweise veraltete Rezensionen. Ein schwacher Start für ein Medium, das sich als modern und relevant positionieren will. Okay, es war immerhin eine kostenlose Erstausgabe. Also wollte ich nicht allzu hohe Ansprüche stellen. Die bezahlte reguläre Ausgabe würde sicherlich überzeugen.

Doch es wurde nicht besser: Als ich im August die erste reguläre Ausgabe bestellte – immerhin für stolze 11,90 Euro pro Heft – ließ die Lieferung erneut zwei Wochen auf sich warten. Die beiliegende Rechnung? Datiert auf den Tag meiner Bestellung, aber mit einem längst überschrittenen Zahlungsziel. War ich sauer! Als Verwendungszweck sollte ich bei der Überweisung zudem „Abo Musical Today“ angeben, obwohl es sich lediglich um ein Einzelheft handelte. Wie soll denn eine Zahlung zugeordnet werden, wenn man bei der Überweisung keine Rechnungs- oder Kundennummer angibt? Das alles hinterlässt den Eindruck, dass hier in Sachen Logistik und Kundenservice unsauber gearbeitet wird. Wer für ein hochpreisiges Nischenprodukt Geld ausgibt, erwartet definitiv mehr Professionalität.

Erster Akt: Der Inhalt – ein altbekanntes Bild

Schlägt man das Magazin auf, so findet man Altbewährtes: Rezensionen, Interviews, Porträts und Berichte, begleitet von einer Premierenübersicht. Klingt vertraut? Kein Wunder, denn Innovation sucht man hier vergebens. Eine Print-Premierenübersicht in Zeiten des Internets? Absolut überflüssig. Die auf Doppelseiten abgedruckten Rezensionen wirken durch die starren Layoutvorgaben – eine Seite Text, eine Seite Fotos – inhaltlich oberflächlich. Selbst die dreimonatliche Erscheinungsweise des Magazins sorgt für Aktualitätsprobleme – Musicals, die längst aus dem Spielplan verschwunden sind, werden noch besprochen. Die Frage drängt sich auf: Warum soll jemand 11,90 Euro zahlen, wenn er dieselben Kritiken online kostenlos und vor allem aktueller lesen kann?

Denn der Verlag versucht das Dilemma mit einem digitalen Zusatzangebot zu lösen. Doch die Idee, kostenlose Vollversionen der Rezensionen online zu veröffentlichen, die dem Inhalt der Printausgabe entsprechen, untergräbt den eigenen Anspruch an die Wertigkeit des Magazins. Zumal die Chefredakteurin im Editorial schreibt, dass sie mittlerweile 99 Kritiken online veröffentlicht haben – im gedruckten Magazin sind aber in der kostenlosen Ausgabe vom März lediglich 13 und in der bezahlten Ausgabe vom August 38 Rezensionen zu finden, insgesamt also 51 Print- zu 99 Onlinekritiken.

Warum also sollte jemand Geld für eine Zeitschrift ausgeben, wenn man online kostenlos den gleichen Content geboten bekommt – und das sogar schneller. Ja, es gibt noch ein paar Interviews, Porträts und Berichte im Printmagazin, aber diese allein rechtfertigen nicht den Kauf der Zeitschrift, da die Redaktion mit den Inhalten keinen kein Alleinstellungsmerkmal (im Marketingsprech: USP) schafft.

Zweiter Akt: Der Preis – unverhältnismäßig hoch

Für den Preis von 11,90 Euro pro Ausgabe müsste „Musical Today“ herausragende und exklusive Inhalte bieten, die das Geld rechtfertigen. Das tut es nicht. Vergleicht man es mit anderen hochpreisigen Magazinen wie der Opernzeitschrift „Orpheus“ aus demselben Verlagshaus, die sogar einen Euro günstiger ist, wird schnell klar, dass der Preis von „Musical Today“ in keiner Weise gerechtfertigt und das Heft wesentlich teurer ist, als es die „musicals“ je war. Auch die marktbegleitende „Blickpunkt Musical“ ruft nicht solch einen hohen Verkaufspreis auf. Während das Opernpublikum generell als recht zahlungskräftig gilt und Opernmagazine oft noch höhere Preise aufrufen, werden sich Musicalfans gut überlegen, ob sie 11,90 Euro für eine Zeitschrift ausgeben, wenn sie sich genauso gut online über das Genre informieren können. Vor allem bei einem Nischenprodukt ist die Zahlungsbereitschaft nur dann hoch, wenn das Angebot wirklich außergewöhnlich ist. Doch anstatt tiefgehender Analysen oder einzigartiger Inhalte bekommt man nur die altbekannten Standardrezensionen, die oft nicht mehr aktuell sind.

Der Preis von 11,90 Euro ist der Preis eines Fachmagazins. „Musical Today“ kann sich allerdings nicht entscheiden, ob es Fachmagazin oder Special-Interest-Magazin sein möchte. Zur Definition: Fachmagazine richten sich an Menschen, die beruflich mit einem Thema oder Bereich zu tun haben, die also im Musicalbereich arbeiten. Special-Interest-Magazine richten sich an Menschen, die ein besonderes (privates) Interesse an einem Thema oder Bereich haben (Stichwort: Hobby). Schaut man sich die Themen der bislang zwei erschienenen Ausgaben an, liegt der Fokus aber vor allem auf Fans, also: Special Interest. Die Titelstory von Ausgabe 2 widmet sich zum Beispiel dem Thema „So wird man professioneller Musicaldarsteller“ – ganz klar kein Thema für Menschen vom Fach, sondern für Fans. Und selbst unter diesen dürfte die Zielgruppe für so ein Thema eher gering sein. Die meisten Menschen wollen Musicals besuchen, aber nicht zwingend selbst auf einer Musicalbühne stehen.

Epilog: Der Abgesang auf Print

Ein weiteres Manko des neuen Magazins liegt aber in seinem Geschäftsmodell. Für ein Jahresabo zahlt man genauso viel wie beim Einzelheftkauf. Der einzige kleine Vorteil: der Versand ist inklusive. Anreize, wie sie viele Verlage mit einem reduzierten Abopreis bieten, fehlen hier komplett. Zwar gab es ein Early-Bird-Startabo, das für einen kurzen Zeitraum 10 Euro günstiger ist, aber warum nicht von Anfang an ein dauerhaft attraktives Angebot schaffen? Die „musicals“ war im Abo immer günstiger als der Einzelheftkauf, die „Blickpunkt Musical“ ist ebenfalls günstiger im Abo als einzeln zu bekommen – und erscheint sogar sechsmal statt wie „Musical Today“ nur viermal im Jahr.

Hinzu kommt das leider wirklich billig wirkende Erscheinungsbild. Wenn man die „Musical Today“ mit der Opernzeitschrift „Orpheus“ vergleicht, die im selben Verlag erscheint, fällt auf: Der Einzelheftpreis der „Orpheus“ ist einen Euro günstiger, man hat sich dort aber für ein wesentlich wertigeres Erscheinungsbild entschieden. Während die Seiten von „Musical Today“ mit einer billigeren Rückendrahtheftung zusammengehalten werden, hat man sich bei „Orpheus“ für die teurere Heißleimbindung entschieden, die deshalb teurer ist, weil in der Druckerei die einzelnen Druckbogen erst angefräst und dann mit einem heißen Kleber in das Umschlagpapier geklebt werden. Auch beim Umschlagpapier gibt es qualitative Unterschiede: Für den Umschlag der „Orpheus“ wurde ein wesentlich dickeres Papier verwendet als für „Musical Today“.

In einer Zeit, in der Printprodukte in der Nische nur noch dann überleben können, wenn sie absolute Alleinstellungsmerkmale und exklusive Inhalte bieten, versäumt es „Musical Today“, sich vom digitalen Angebot abzugrenzen. Weder inhaltlich noch preislich bietet das Magazin genügend Mehrwert, um langfristig bestehen zu können. Der Versuch, eine neue Musicalzeitschrift in der heutigen Zeit zu etablieren, wäre nur dann gerechtfertigt, wenn diese ein völlig neues Konzept verfolgt hätte. „Musical Today“ aber ist weder innovativ noch exklusiv – und damit letztlich überflüssig.

Zugabe: Die Geschichte der deutschen Musical-Printpresse

Schauen wir uns zuletzt die Geschichte der deutschen Musical-Printpresse an: Die „Da Capo“ wurde schon vor einigen Jahren vom Markt genommen, die „musicals“ verschwand nach 38 Jahren 2023 ebenfalls vom Markt, die „Time for Musical“ (kennt die überhaupt noch jemand?) wurde in den Neunzigerjahren auf den Markt gebracht und verschwand innerhalb eines Jahres wieder, die „Blickpunkt Musical“ existiert noch, ist aber nach wiederholtem Inhaberwechsel schon beim vierten Inhaber angekommen. Und während man früher Musicalzeitschriften übrigens auch immer noch im Bahnhofsbuchhandel kaufen konnte, sind heutzutage weder „Blickpunkt Musical“ noch „Musical Today“ dort erhältlich. Somit kann es bei beiden Magazinen auch keine Spontankäufe mehr geben, man muss sie entweder im Internet bestellen oder gleich ein Jahresabo abschließen. Nun, für den Verlag hat es immerhin den Vorteil, dass er sich nicht um solch lästige Themen wie Logistik, Presse-Grosso und Remittenden kümmern muss.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".