Kulturkritik: Das größte Missverständnis
Kulturkritik ist eine heikle Sache. Gern wird davon ausgegangen, dass diese Berufung ergriffen wird von Menschen, die lieben, worüber sie schreiben. Aber dass man (beispielsweise) Theater liebt, heißt ja nicht, dass man alles lieben muss, was über die Bühne geht. Entsprechend groß ist das Entsetzen (die Enttäuschung), wenn die Laudatio mal ausbleibt.
Das größte Missverständnis zwischen Kulturschaffenden und Kulturkritikern – wie übrigens auch das größte Missverständnis zwischen Kulturschaffenden und ihrem Publikum – ist dies: dass es um Konfrontation gehe. Dabei geht es darum, einen Dialog herzustellen.
Ein Theater, das sich seinem Publikum verweigert, bleibt leer. Ein Bühnenmensch, der sich seinem Kritiker verweigert, ist feige. Oder, schlimmer noch, ein selbstherrlicher, saturierter Sektierer. Ein Publizist, der sich seinem Leser verweigert, ist einfach nur langweilig. Und das ist schlimm genug.
Es gibt die absurdesten und immer wiederkehrenden Vorwürfe gegen die schreibende Zunft, meistens als Ratschläge getarnt: Das könne man in einer Kulturkritik so nicht sagen. Sicher kann man, es steht ja schon da. Man habe gar nicht richtig hingesehen. Wollte man im Zweifelsfall vielleicht auch gar nicht mehr. Man habe keine Ahnung. Was weniger an einem Mangel an Verständnis liegt als an einem Mangel an Erklärungsversuchen beziehungsweise Deutungsangeboten. Und, der Killer unter den Pseudo-Argumenten: Man habe es selbst „nicht geschafft“ (was denn eigentlich?) und sei nur ein gescheiterter Künstler, der den Applaus schlechtreden müsse, in welchem andere baden (gehen).
Es ist erschreckend und unglaublich, wie gleichgeschaltet – und ich weiß um die negative, ja, gefährliche Konnotation dieses Wortes – es ausgerechnet im Kulturbetrieb zugeht. Wer kein Claqueur ist, wird verb(r)annt. Ein Fein-, ein Freigeist ist nicht, wer sich dafür hält. Es ist jemand, der Antworten sucht – statt vorgibt, welche zu haben.
Text: Jan Hendrik Buchholz