Kritisch betrachtet: Warum deutsche Musical-Awards irrelevant sind
Musical-Awards klingen nach Glamour, Prestige und Anerkennung. Doch in der Realität sind die Preise, die im deutschsprachigen Raum vergeben werden, kaum mehr als eine Nebelkerze. Sie sind weder aussagekräftig noch fair, geschweige denn relevant für die Entwicklung oder Wahrnehmung der Musicalszene. Ein Blick auf die bestehenden und eingestellten Preise zeigt: Musical-Awards sind oftmals eine Farce.
Deutscher Musical Theater Preis: Fachlichkeit mit Schieflage
Der Deutsche Musical Theater Preis, verliehen von der Deutschen Musical Akademie, ist der einzige Award, der sich auf die Bewertung durch eine Fachjury und Fachpublikum stützt. Alle neuen Stücke werden gesichtet – entweder live oder in Form einer professionellen Aufzeichnung. Doch auch hier gibt es Kritikpunkte. Die auffällige Häufung von Auszeichnungen für Musicals aus Österreich – insbesondere Linz – wirft die Frage auf, ob Deutschland tatsächlich keine preiswürdigen Produktionen mehr hervorbringt. Zudem stellt sich die Frage, warum überhaupt Produktionen aus Österreich und der Schweiz für den Deutschen Musical Theater Preis nominiert werden können. Deutsche Produktionen können im Gegenzug nicht für den Österreichischen Musiktheaterpreis nominiert werden. Auch der mit 30.000 bis 50.000 Schweizer Franken dotierte Theaterpreis des Schweizer Bundesamts für Kultur ist ausschließlich dem Theaterschaffen in der Schweiz vorbehalten. Hinzu kommt, dass beim Deutschen Musical Theater Preis wesentliche Kategorien wie Musikalische Leitung und Orchester schlicht ignoriert werden. Angesichts der zentralen Bedeutung von Livemusik für Musicals ein unbegreiflicher Missstand – insbesondere für den einzigen deutschen Fachpreis der Branche.
Deutschsprachiger Musical Award: Stimmenabgabe, ohne die Produktion gesehen zu haben
Der in diesem Jahr neu ins Leben gerufene deutschsprachige Musical Award der Zeitschrift „Blickpunkt Musical“ zeigt exemplarisch, wie man ein Bewertungssystem ad absurdum führen kann. Eine Mischung aus Leservoting, Fachleuten und Redaktion soll die Preisträger bestimmen. Es wird jedoch nicht sichergestellt, dass die abstimmenden Fans die Stücke überhaupt gesehen haben. „Aber wir glauben, dass wir dieses mit der Masse an Stimmen wieder ausgleichen können und das Ergebnis trotzdem fair wird“, schreibt die Redaktion dazu auf der Webseite des Awards. Es gewinnt letztendlich, wer am lautesten trommelt und die meisten Stimmen mobilisiert. Denn sichergestellt ist ebenso nicht, dass Fans unter Fake-Identitäten nicht mehrfach Stimmen abgeben, oder dass die Mitglieder der Fachjury wirklich in der Musicalbranche arbeiten oder vielleicht sogar doppelt Stimmen abgeben – einmal als Mitglied der Fachjury, einmal als Fan. Qualität spielt hier offenbar eine untergeordnete Rolle – für kleinere Produktionen und unbekanntere Künstlerinnen und Künstler ein hoffnungsloser Kampf.
Da Capo Musical Award: Reanimation ohne Substanz
Der dieses Jahr plötzlich wiedereingeführte Da Capo Musical Award über den Blog des ehemaligen Chefredakteurs der längst eingestellten Zeitschrift „Da Capo“ ist bestenfalls eine nostalgische Erinnerung, aber keinesfalls ein ernstzunehmender Preis. Die Kriterien, wie es überhaupt zu den Nominierungen kam (die Lieblinge des Bloggers?), bleiben nebulös, die Abstimmung funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie beim Award der „Blickpunkt Musical“: Mobilisiere deine Fans, gewinne deinen Preis. Das hat mit einer fairen oder aussagekräftigen Auszeichnung nichts zu tun.
Nicht mehr als Marketing
Auch die frühere Leserwahl der Zeitschrift „musicals“ oder der ehemalige Musical1 Award zeigen, dass Preise ohne Renommee und Substanz ebenso schnell verschwinden, wie sie auftauchen. Sie sind nichts weiter als Marketingaktionen für ihre Herausgeber – einmal aufgeblasen, dann geplatzt, machen sie lediglich die Herausgeber bekannter.
Kein Platz fürs Orchester
Egal welcher Preis, ob Fachjury oder Fanvoting: Die musikalische Leistung bleibt immer außen vor. Weder Orchester noch Dirigentinnen oder Dirigenten erhalten Anerkennung. Das ist ein Armutszeugnis für eine Kunstform, die sich über Musik definiert. Insbesondere deshalb, weil doch immer wieder betont wird, wie wichtig Livemusik im Musical ist in einer Zeit, in der immer mehr Orchester ausgedünnt oder komplett auf Konserve gesetzt wird.
Ohne Wert und Einfluss
Die deutsche Musicalszene braucht keine Awards, die weder Renommee noch Transparenz bieten. Solange keine ernstzunehmenden Standards etabliert werden, was ohnehin wahrscheinlich nicht möglich ist, bleiben diese Preise ein Marketinginstrument für ihre Veranstalter. Was in einer Spielzeit wirklich sehens- und hörenswert war, dazu liefern Awards vielleicht einen Anhaltspunkt. Die ganze Vielfalt des Genres wird sich durch sie aber niemals abzeichnen lassen. Selbst die Goldene Himbeere, die die schlechtesten Leistungen in der Filmbranche ehrt, hat mehr Relevanz.
Text: Dominik Lapp