„3 Musketiere“ in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)
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Eindringlich, ernst und brutal: „3 Musketiere“ in Tecklenburg

Seit seiner deutschsprachigen Erstaufführung im April 2005 ist das Musical „3 Musketiere“ von Rob und Ferdi Bolland (Musik) sowie André Breedland (Buch) von deutschen Bühnen nicht mehr wegzudenken. Nach den Ensuite-Produktionen von Stage Entertainment in Berlin und Stuttgart ist das Stück immer mal wieder auf Freilichtbühnen und an Stadttheatern zu sehen gewesen – so auch im Jahr 2010 bei den Freilichtspielen Tecklenburg, wo es jetzt, 14 Jahre später, erneut gezeigt wird.

Bei der eindringlichen Neuinszenierung unter der Regie von Andreas Gergen wird schnell deutlich, dass das Musical gereift und gewissermaßen erwachsen geworden ist. Denn so ernst und brutal hat man „3 Musketiere“ wohl noch nicht gesehen. So ist zunächst einmal die Rolle des D’Artagnan nicht mehr so tollpatschig angelegt wie in vorigen Inszenierungen.

„3 Musketiere“ in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)

Der Junge aus der Gascogne, der wie sein Vater ein Musketier des französischen Königs werden möchte, tritt nicht mehr als überambitionierter Hitzkopf von einem Fettnäpfchen ins nächste, sondern ist in der Darstellung von Raphael Groß eher der Stürmer und Dränger, der zwar noch immer am liebsten mit dem Kopf durch die Wand möchte, dabei aber doch besonnen agiert. Groß zeichnet eine sympathische und smarte Heldenfigur. Schauspielerisch wie gesanglich ist er perfekt besetzt und strahlt mit jugendlicher Authentizität und starker Stimme.

Außerdem, das verriet Andreas Gergen gegenüber unserer Redaktion schon während der Proben, erhält die Rolle des Kardinals Richelieu mehr Raum und ist nicht mehr nur der Antagonist, sondern eine von Alexander Di Capri exzellent dargestellte Hauptfigur, die intrigant und in höchstem Maße machtbesessen ist. Dieser Kardinal lässt keinen Zweifel daran, dass er für mehr Macht über Leichen geht und kein Problem damit hat, ein Kriegstreiber zu sein.

„3 Musketiere“ in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)

Weil Gergen deshalb ordentlich Kanonen und Pyrotechnik (Keven Arelmann) auffahren lässt, wirkt die Inszenierung sehr ernst und brutal. Denn durch das passende Lichtdesign (Sebastian Benker) und Bühnennebel wirken die Pyro-Explosionen tatsächlich so authentisch wie einschlagende Kanonenkugeln. Der Song „Glaubt mir“, der in anderen Inszenierungen gestrichen oder gekürzt wurde, erklingt in Tecklenburg – anders als 2010 – glücklicherweise in voller Länge und liefert ein erschreckendes Kriegsbild.

Auch die weiteren Szenen Richelieus sind nichts für schwache Nerven. Im Song „Nicht aus Stein“ schlachtet der Kardinal erst Menschen mit einem riesigen Schwert ab, um sich anschließend mit einer Peitsche so lange zu kasteien, bis sein weißes Hemd blutig und zerschlissen ist. Hierbei kann Alexander Di Capri alle Register seines schauspielerischen Könnens zeigen und stimmlich aus dem Vollen schöpfen. Sanftere Töne schlägt er dagegen im ersten Akt mit „O Herr“ an.

„3 Musketiere“ in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)

Zusammen mit Milady de Winter bildet Richelieu ein diabolisches Duo, doch Bettina Mönch ist als Milady keinesfalls nur die Femme fatale oder Gegenspielerin D’Artagnans, sondern vermittelt ein glaubwürdiges Bild einer Frau, die auf tragische Weise alles verloren hat: ihre große Liebe, ihre Freiheit und ihr Leben. In durchweg starken Songs wie „Milady ist zurück“ oder „Männer“ glänzt Mönch zudem mit ihrer kraftvollen Stimme.

Um die tragische Liebe zwischen Milady de Winter und Athos zu visualisieren, bedient sich der Regisseur eines Kniffs, den er schon in anderen Inszenierungen anwandte: Er stellt den beiden Charakteren ein Tanzpaar (großartig: Giulia Fabris und Andrew Chadwick) als Alter Ego zur Seite. Das ergreifende Solo „Engel aus Kristall“, das Filippo Strocchi mit Hingabe intoniert, gewinnt dadurch enorm und wird auf eine völlig neue Ebene gehoben.

Der Porthos von Benjamin Eberling hat eine Vorliebe für das gute Leben – gutes Essen, Trinken und Gesellschaft. Seine lebenslustige und gesellige Natur macht ihn zu einem unterhaltsamen Gefährten, was Eberling sehr gut zu spielen weiß. Aber auch Fin Holzwart überzeugt als Aramis, der geschickt ist im Umgang mit Worten und Diplomatie. Seine Fähigkeit, Menschen zu beeinflussen und Situationen zu entschärfen, macht ihn zu einem wertvollen Mitglied der drei Musketiere.

„3 Musketiere“ in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)

Ein königliches Paar mit Anmut und Würde bilden Navina Heyne als Königin Anna und Martin Pasching als König Ludwig XIII. Während Pasching buchbedingt leider nicht singen darf, verzaubert Heyne mit ihrer klangschönen Stimme. Weil Constances „Gott lächelt uns zu“ schon vor einigen Jahren gestrichen wurde, hat Celena Pieper in der Rolle leider kein großes Solo, gefällt mit ihrer strahlenden Stimme dafür aber im Terzett „Wer kann schon ohne Liebe sein“ und im Duett „Alles“.

In den kleineren Rollen agieren Christian Schöne als Rochefort und Florian Albers als Herzog von Buckingham wunderbar. Wenn Buckingham den Kriegsminister einberuft, ist das aufgrund der Parallele zur Gegenwart ein Gänsehautmoment. Zudem erhält die vermeintlich kleine und normalerweise vielleicht unwichtig erscheinende Rolle des Conférenciers in dieser Neuinszenierung ein neues Profil. Nicolai Schwab mimt diesen Charakter als mysteriösen, leicht überdreht wirkenden Harlekin, der Rochefort und Richelieu mutig die Stirn bietet.

Die Choreografie von Francesc Abós hilft, die Handlung visuell zu erzählen und zu unterstützen. Seine Bewegungen und Tanzsequenzen verdeutlichen Emotionen und Motive, machen Handlungspunkte und Wendungen für das Publikum klarer und eindrucksvoller. Durch dynamische und energetische Tanznummern wie „Nicht aus Stein“ und „Glaubt mir“ wird Spannung und Dramatik aufgebaut, während langsame und anmutige Bewegungen die romantische oder melancholische Stimmung unterstreichen.

„3 Musketiere“ in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)

Weil die Show von Abenteuern und Duellen lebt, sind auch die von Fabian Broermann choreografierten Kampfszenen von Bedeutung. Diese Szenen sind nicht nur spannend und realistisch, sondern präzise und mitunter sogar witzig – vor allem in Kombination mit den passenden Soundeffekten (Sounddesign: Sven Treeß).

Doch neben einer fabelhaften Cast, Regie und Choreografie lebt ein Mantel-und-Degen-Stück selbstverständlich auch von Bühnenbild und Kostümen. Jens Janke nutzt dazu einerseits die bestehenden Burgmauern und hat darin andererseits wieder eine wandlungsfähige Spielfläche geschaffen. Der zentral entstandene Louvre lässt sich durch klappbare Wände auch in die Fassade eines französischen Fachwerkhauses oder in eine Kirche verwandeln. Der Gauklerwagen dient, um 180 gedreht, gleichzeitig als Boot für D’Artagnans Überfahrt von Frankreich nach England. Der überbaute Brunnen der Burgruine dient mal als Bauernhof und mal als Herberge.

„3 Musketiere“ in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)

Die herrlichen und größtenteils sehr ausladenden Kostüme von Fabienne Ank spielen ebenfalls eine zentrale Rolle und tragen wesentlich zur Atmosphäre, Charakterdarstellung und visuellen Ästhetik der Inszenierung bei. So helfen sie, den sozialen Status und die Klasse der verschiedenen Charaktere zu visualisieren und sind dafür an die Mode des 17. Jahrhunderts angepasst, die durch moderne Elemente den nötigen Pep erhalten. Eine wahre Augenweide sind die Ballkleider, die Kostüme der Musketiere und die Kleider von König und Königin. Aber auch die verschiedenen Outfits von Milady de Winter erweisen sich als optischer Höhepunkt und unterstreichen den Charakter sehr gut.

Womit die Freilichtspiele Tecklenburg zu guter Letzt einmal mehr punkten können, ist das 24-köpfige Orchester unter der versierten Leitung von Klaus Wilhelm. Solch ein großes Orchester hat es weder bei der Uraufführung in Rotterdam (2003-2004) noch bei den Ensuite-Produktionen in Berlin (2005-2006) und Stuttgart (2006-2008) gegeben. Trotz der historischen Handlung haben viele Lieder zeitgenössische Arrangements und moderne Einflüsse, was das Musical zugänglicher und ansprechender für ein heutiges Publikum macht. Die Brüder Rob und Ferdi Bolland, die schon Hits für Falco schrieben, haben für „3 Musketiere“ eine Musik komponiert, die eine breite Palette von Stilrichtungen umfasst. Die Präzision der Musikerinnen und Musiker sorgt für eine abwechslungsreiche und dynamische Klanglandschaft, die die verschiedenen Stimmungen und Szenen des Musicals großartig untermalt. Kein Wunder also, dass es das Publikum am Ende vor Begeisterung regelrecht von den Plätzen reißt.

Text: Dominik Lapp

„3 Musketiere“ in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)
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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".