„A Chorus Line“ in Bad Hersfeld (Foto: Johannes Schembs)
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Rundum gelungen: „A Chorus Line“ in Bad Hersfeld

Unter den Musicalklassikern nimmt „A Chorus Line“ von James Kirkwood jr. und Nicholas Dante (Buch), Marvin Hamlisch (Musik) und Edward Kleban (Songtexte) eine Sonderstellung ein, nicht nur, weil es keine große, zusammenhängende Geschichte erzählt, stattdessen episodisch in einer alltäglichen Rahmenhandlung bleibt, sondern vor allem, weil es sehr puristisch umgesetzt am besten wirkt. Ein teamfähiges, homogen wirklich gutes Ensemble, ein großes, erstklassiges Orchester, ein zurückhaltendes Bühnenbild: das sind die Zutaten, um einen fetzigen, unterhaltsamen, nachdenklichen, tiefgründigen, mitreißenden und bewegenden Musicalabend sprichwörtlich auf die Beine zu stellen. Das ist den Bad Hersfelder Festspielen mit ihrer diesjährigen Inszenierung sehr gut gelungen – nach einer Produktion in Hamburg erst die zweite, die die neue deutsche Übersetzung von Robin Kulisch verwendet.

Eine leere Bühne, sechs fahr- und drehbare Kabinette mit jeweils einer verspiegelten Vorderwand (Bühnenbild: Karin Fritz), Trainingsklamotten und zum furiosen Schluss neun gleiche Damen- sowie neun gleiche Herren-Broadway-Glitzerkostüme (Kostümbild: Conny Lüders) – Regisseurin und Choreografin Melissa King setzt damit das Setting, welches „A Chorus Line“ vorsieht, sehr gut um. Äußerst reizvoll die Idee, vor Beginn des Stücks, während die Zuschauer den Saal betreten, auf zwei LED-Videowänden ganz vorne in der Mitte der Bühne die Vorgeschichte einzuspielen, nämlich die vor der Stiftsruine aufgezeichnete Ankunft der Bewerber zu dem Casting, um das es den ganzen Abend über gehen wird. Es ist die perfekte Einstimmung.

Zwei Kameras filmen das Bühnengeschehen mit und projizieren die Bilder auf die nun an den Seiten aufgebauten Videowände, so dass einzelne Gesichter in Großaufnahme auch für weiter hinten sitzende Zuschauer eindringlich sichtbar werden, ebenso wie manch ausgefeilte Tanzfigur und, immer mal wieder, der Regisseur Zach, der zumeist am Mischpult sitzt, für die meisten Zuschauer nicht zu sehen ist und daher ebenfalls gefilmt wird.

Zach verlangt immer mehr von den Teilnehmern der Audition. Da er sich anhand der Tanzvorführungen nicht entscheiden kann, sollen die Bewerber von sich erzählen. Immer wieder hakt der Regisseur nach. Arne Stephan spielt diesen Mann sehr eindringlich, seine Kommentare und Fragen decken alle Facetten von Überheblichkeit bis zu einfühlsamem Interesse ab, seine Stimme setzt er nuanciert und wandlungsfähig ein.

Alan Byland als Larry, Zachs Assistent, spielt diesen abwechslungsreich von eifrig, ratlos, genervt, ermutigend bis hilfreich und durchaus sympathisch. Emma Kate Nelson überzeugt absolut als Cassie mit der idealen Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung, Hartnäckigkeit und Resignation, jugendlichem Feuer und Lebenserfahrung.

„A Chorus Line“ ist natürlich ein Ensemblestück, das ausdrücklich keine Hauptrollen vorsieht, weil jedes Solo gleich wieder in die Chorlinie zurücktritt. Einzelne Mitwirkende hervorzuheben, wäre ungerecht und entspräche eben auch nicht der Intention des Musicals. Dieses Ensemble agiert, bei aller Verschiedenartigkeit der einzelnen Darstellerinnen und Darsteller, wundervoll homogen. Ausnahmslos alle überzeugen in ihrer jeweiligen Rolle, wirken, als spielten sie sich selbst (was bei der Uraufführung 1975 auch in den meisten Rollen tatsächlich der Fall war) und agieren damit genau richtig für dieses Musical.

Jedem gelingt die Herausforderung, sich aus der Gruppe zu lösen, ins Rampenlicht zu treten, zu fesseln und zu berühren und direkt danach wieder homogen im Ensemble aufzugehen. Mit großer Spielfreude, großartigen Stimmen, tänzerischer Anmut und akrobatischem Geschick meistern sie jede Hürde, die das Stück bietet. Vor allem werden sie mit der körperlichen Anstrengung, welche die pausenlose Aufführung ihnen über zwei Stunden lang abverlangt, scheinbar mühelos fertig – spielend eben.

Das tun sie allesamt mitreißend und absolut glaubhaft: Benjamin Sommerfeld, Samantha Turton, Pascal Cremer, Vivian Wang, Myrthes Monteiro, Rhys George, Stefan Schmitz, Thiago Fayad, Anneke Brunekreeft, Julia-Elena Heinrich, Maria Joachimstaller, Grace Simmons, Kelly Panier, Alessandro Ripamonti, Johan Vandamme, Kevin Reichmann, William Briscoe-Peake, Tobias Stemmer, Olivia Grassner, Anton Schweizer, Katrin Merkl, Clara Mills-Karzel, Lavinia Kastamoniti (in alphabetischer Reihenfolge ihrer Rollennamen).

Dabei werden sie unterstützt, untermalt und kundig begleitet vom satten Sound, den das große Orchester der Bad Hersfelder Festspiele spritzig und bestens gekonnt live bietet. Die begeisterten Standing Ovations haben sich alle Mitwirkenden mehr als verdient. Sehr lohnend!

Text: Hildegard Wiecker

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Hildegard Wiecker schreibt leidenschaftlich gern und hat Erfahrung als Rezensentin bei thatsMusical gesammelt, bevor sie zu kulturfeder.de kam.