Starkes Frauenbild: „Aida“ in Scheveningen
In Deutschland schon lange nicht mehr auf einer Bühne zu sehen, erlebt das Musical „Aida“ von Elton John (Musik) und Tim Rice (Songtexte) gerade sein Revival im niederländischen Scheveningen, wo es im Circustheater bereits von 2001 bis 2003 aufgeführt wurde und mit mehr als einer Million Besucherinnen und Besuchern als Erfolg gilt. Doch 20 Jahre später ist dort nichts mehr wie es einst war. Disney und Stage Entertainment haben das Stück grundlegend überarbeitet – und das ist gut so, auch wenn man Songs und Szenen vermisst, an die man sich von der ursprünglichen Fassung vielleicht noch erinnern kann.
David Henry Hwang hat das Buch, das er damals mit Linda Woolverton und Robert Falls geschrieben hat, überarbeitet, um insbesondere ein starkes Frauenbild zu zeichnen. Das hatte zur Folge, dass die Rolle des nubischen Königs Amonasro durch die Königin Kandake ersetzt wurde. Auch die Anfangssequenz des Stücks ist dadurch grundlegend anders.
Zwar beginnt es noch immer in der ägyptisch-nubischen Abteilung eines Museums der Gegenwart, doch erwacht nicht mehr die Statue der Amneris zum Leben und beginnt die Geschichte zu erzählen, um dann zum ägyptischen Feldherrn Radames zu schwenken, der Ruhm und Macht besingt. Stattdessen sind die entsprechenden Songs von Amneris und Radames ersatzlos gestrichen worden, um die Handlung vom Museum direkt auf ein Schlachtfeld zu katapultieren, wo Ägypter gegen Nubier kämpfen, die von Kandake und ihrer Tochter Aida angeführt werden. Die Titelrolle wirkt dadurch noch stärker und ist nach ihrer Gefangennahme nicht bloß ein Opfer.
Darüber hinaus wurden Lieder neu platziert, Songtexte geändert und beispielsweise das Terzett „Not me“ zu einem Duett zwischen Aida und Radames verändert. Auch das Schlussbild ist nun ein anderes. So sterben die beiden Liebenden zwar noch immer gemeinsam in einer Grabkammer, allerdings sieht man dank LED-Technik jetzt, wie sich diese langsam mit Sand füllt.
Selbst die Musik von Elton John blieb von Überarbeitungen nicht unberührt. Eine neue Orchestrierung von Jim Abbott und neue Arrangements von Michal McElroy lassen Zosers Song „Another Pyramid“ weniger nach Calypso und Amneris’ „My strongest Suit“ stellenweise eher nach weichgespültem Pop als nach Up-Tempo-Rocknummer klingen. Ergänzt wird die Partitur durch ein neues nubisches Gebet, das kraft- und hoffnungsvoll klingt.
Das neue Bühnenbild und die neuen Kostüme von Bob Crowley orientieren sich an der Originalinszenierung, sind größtenteils äußerst gelungen, fallen aber spärlicher oder weniger spektakulär aus. Insbesondere die Szene mit Amneris‘ Modeschau leidet stark darunter, ihr Hochzeitskleid und das goldene Kleid für die Schlussszene hingegen sind fantastisch.
Die reduzierten Kulissen, die von Natasha Katz stimmungsvoll ausgeleuchtet werden, bieten zwar mehr Raum für die emotionale Dreiecksbeziehung, doch Regisseurin Schele Williams nutzt diesen leider nicht. So lässt sie viele Soli einfallslos mittig an der Bühnenkante frontal ins Auditorium singen. Dass das zeitweise trotzdem funktioniert, ist den herausragenden Darstellerinnen und Darstellern zu verdanken.
Durch ihre riesige Bühnenpräsenz in Kombination mit der kraftvollen Stimme schafft es Gaia Aikman als Aida so im zweiten Akt mühelos, die leere schwarze Bühne bei „Easy as Life“ mit Emotionen zu füllen. Schauspielerisch zeigt sie authentisch eine würdevolle, kämpferische und starke nubische Prinzessin.
Als Amneris weiß auch April Darby zu glänzen, die ihre Rolle glücklicherweise nicht so oberflächlich-hohl anlegt wie sie in früheren Inszenierungen gelesen wurde. Ihre Amneris ist anfangs unsicher und auf ihr Aussehen bedacht, entwickelt sich aber zu einer starken und gerechten Anführerin. Einen emotionalen Höhepunkt und stimmlichen Glanzpunkt liefert Darby mit ihrer Darbietung des Songs „I know the Truth“.
Zwischen zwei so starken Frauen hat es Naidjim Severina als Radames nicht einfach. Doch zeichnet er den ägyptischen Krieger ohnehin weniger dominant, dafür sanfter, verständnisvoller und insgesamt menschlicher, was perfekt zu seiner gefühlvollen Stimme passt.
An seiner Seite gibt Robin van Akker als Zoser den machtbesessenen und hinterhältigen Vater von Radames, der im gemeinsamen Duett „Like Father, like Son“ stimmlich gut mit Severina harmoniert. Darüber hinaus gefallen Qshans Thodé als loyaler, witziger sowie für seine nubische Heimat brennender Mereb und Joanne Telesford als starke Königin Kandake. Beeindruckend ist zudem das Ensemble, das in den starken Chornummern genauso überzeugt wie in der expressiven Choreografie von Darrell Grand Moultrie.
Insgesamt also eine Neuinszenierung von „Aida“, die sehr gelungen dem aktuellen Zeitgeist angepasst wurde, ein starkes Frauenbild etabliert und trotz der etwas schwachen Regieleistung funktioniert. Einige Szenen und Songs der Urversion werden zwar schmerzlich vermisst, doch lässt man sich auf die Neufassung ein, erlebt man ein wirklich gutes Musical, das unbedingt wieder den Weg auf eine deutschsprachige Bühne finden muss.
Text: Dominik Lapp