Fröhlich-ironisch: „Avenue Q“ in Gelsenkirchen
Derb, frech und provozierend: Die kuriosen Bewohner der „Avenue Q“ lassen es krachen. Die fröhlich-ironische und nicht jugendfreie Auseinandersetzung mit Existenzängsten, Armut und Rassismus in zuckersüßer Musicalverpackung ist jetzt im Stream des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen zu sehen – und macht auch am heimischen Bildschirm irre viel Spaß!
Das Musical von Robert Lopez, Jeff Marx und Jeff Whitty verspricht beste Unterhaltung bei derbem Humor („Was heißt Wichsen auf Türkisch? – Würg die Gürk.“) und einem ironischen Augenzwinkern. In der temporeichen Inszenierung von Carsten Kirchmeier zündet jeder Gag und sitzt jede Pointe. Vor allem aber lebt die Inszenierung vom Puppenspiel, bei dem die Darstellenden mit ihren Puppen geradezu verschmelzen müssen, was in Kirchmeiers Inszenierung bestens funktioniert. Weil die Künstlerinnen und Künstler dabei in Schwarz gekleidet sind, bleibt der Fokus immerzu auf den bunten, an „Sesamstraße“ und „Muppets“ erinnernden, Puppen von Birger Laube.
Die Ausstattung von Beata Kornatowska kann sich ebenfalls sehen lassen. Das Bühnenbild zeigt eine typisch amerikanische, sehr detailliert ausgestattete Häuserzeile mit unterschiedlichen Türen und Fenstern, die den Einblick in verschiedene Wohnungen gewähren, so dass die Zusehenden gut in die fiktive New Yorker „Avenue Q“ hineinversetzt werden.
Musikalisch bietet das Stück aus der Feder von „Frozen“-Komponist Robert Lopez viel Abwechslung. Wunderbare Popballaden („There’s a fine, fine Line“) wechseln sich mit witzigen Comicsongs („The Internet is for Porn“) und Jazznummern („Special“) ab. So wird’s nie langweilig – und die Band unter der Leitung von Heribert Feckler ist dem Score bestens gewachsen.
In der starken Inszenierung glänzt auch eine starke Besetzung. In seiner Doppelrolle als Princeton und Rod singt Nicolai Schwab mit Gefühl, spricht und spielt auf den Punkt. Als liebenswürdige Kate Monster steht ihm Charlotte Katzer mit ihrer gefühlvollen Stimme in nichts nach. Noch gegensätzlicher könnte ihre zweite Rolle, Lucy die Schlampe, nicht sein. Katzer beweist hier eine unglaubliche Wandlungsfähigkeit!
Gloria Iberl-Thieme zeigt als Lavinia Semmelmöse und Bullshitbär ein ebenfalls breites Spektrum ihres Könnens, während Daniel Jeroma nicht nur als Bullshitbär, sondern besonders als Trekkie Monster für den einen oder anderen Lacher („Pornos!“) sorgt. Keine Puppen, sondern menschliche Rollen spielen – und das ganz exzellent – Sebastian Schiller als arbeitsloser Brian, Lanie Sumalinog als Christmas Eve und Merten Schroedter als Hausmeister Macauly Culkin. Während Schiller schnell durch Sympathie punktet, zelebriert Sumalinog geradezu köstlich das Klischee von asiatisch-amerikanischen Ehefrauen.
Obwohl sich ein Musical wie „Avenue Q“, das enorm vom Wortwitz des englischsprachigen Originals lebt, nicht eins zu eins auf Deutsch adaptieren lässt, wird trotzdem wieder einmal deutlich, dass die deutschen Dialoge von Dominik Flaschka und die deutschen Songtexte von Roman Riklin extrem gut funktionieren und alles zündet, was zünden soll. Und so verspricht „Avenue Q“ auch in der Gelsenkirchener Inszenierung gute Unterhaltung. Bleibt dieser stimmigen Produktion also nur zu wünschen, dass sie noch den Weg aus der Digitalwelt auf eine Bühne vor Publikum finden darf.
Text: Dominik Lapp