Starkes Klangerlebnis stark inszeniert: „Der Bajazzo“ in Essen
Eigentlich gibt es Ruggero Leoncavallos Oper „Der Bajazzo“ („Pagliacci“) fast nur im Doppelpack mit Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“. Diese beiden Kurzopern sind nahezu unzertrennlich miteinander verbundene Zwillinge, weil man dem Publikum ein abendfüllendes Opernerlebnis bieten möchte. Das Aalto-Musiktheater in Essen hat sich auf der Suche nach kurzen Opern, die aufgrund der Corona-Situation ohne Pause gespielt werden können, davon gelöst und zeigt „Der Bajazzo“ jetzt solo. In der starken, sehr düsteren Inszenierung von Roland Schwab erweist sich das als wahrer Glücksgriff.
Normalerweise kommt dem „Bajazzo“ die Aufgabe zu, nach „Cavalleria rusticana“ das eher aufheiternde Stück zu sein – so bunt wie die umherreisende Schauspieltruppe, die im Fokus der Handlung steht. Dabei erzählt das Stück von der schauderhaften Durchdringung von Schein und Sein. Am Schluss gibt es zwei Tote mit einem völlig ausgebrannten Täter, der von der Eifersucht und seiner bedingungslosen Hingabe fürs Theater getrieben wurde. „Sie sehen die bittere Frucht des Hasses. Sie werden die Schreie von Schmerz und Wut ebenso hören wie zynisches Lachen“, heißt es im Prolog. Genau das ist es, was Regisseur Roland Schwab auf der Essener Bühne zeigt – packend, düster und ergreifend.
Es geht direkt düster los. Als sich der Vorhang hebt, ist der Mord bereits geschehen. Das Publikum sieht einen blutverschmierten Canio in einer Videoprojektion und eine tote Nedda an einer Stange hängend. Tonio führt Canio an einer Kette über die Bühne, der dabei ein Schild mit der Aufschrift „Theater muss sein“ trägt. Das düstere Bild zeichnet sich im Bühnenbild von Piero Vinciguerra weiter. Hierbei ist die freie Bühne in Schwarz gehalten, über dem Geschehen hängt ein überdimensionaler Ring, ausgestattet mit zahlreichen Lichterketten. Auf dem Boden: ebenfalls Lichterketten – und Leichensäcke. Die wenigen Möbel wie Tisch und Stuhl sind ebenfalls in Schwarz gehalten. Eine Farbe, die sich selbst durch die meisten Kostüme zieht.
Diese Morbidität zeichnet die Inszenierung von Roland Schwab aus. Ihm ist es damit gelungen, eine ganz eigene Ästhetik für den „Bajazzo“ zu finden und damit – wie absolut passend in dieser Zeit – eine Mischung aus Lob- und Abgesang auf das Theater zu inszenieren. Weil es dabei durch die einzuhaltenden Corona-Abstände mit dem Chor (Einstudierung: Jens Bingert) auf der Bühne zu eng geworden wäre, wurde ebendieser auf den Rängen im Zuschauerraum verteilt, was ein ganz besonderes Klangerlebnis verspricht und eine großartige Idee ist, weil der Chor das Publikum des Stücks im Stück darstellt. Als ein kleiner Höhepunkt erweist sich außerdem Jan-Henning Drees als Bühnentrompeter.
Unterstrichen wird das hervorragende Klangerlebnis durch eine durchweg starke Riege an Solistinnen und Solisten. Bereits im Prolog begeistert Seth Carico als Tonio mit seinem dunkel legierten Bariton. Eine mitreißende Bühnenpräsenz beweist Sergey Polyakov als Canio, dessen warmer Tenorschmelz dem Gehör schmeichelt, womit er besonders in der Schlussarie am Ende des ersten Akts emotional berührt und dabei die innere Zerrissenheit seiner Figur exzellent zum Ausdruck bringt. Gabrielle Mouhlen brilliert als Nedda mit ihrem strahlenden Sopran und treffsicheren Höhen, Carlos Cardoso als Beppe und Tobias Greenhalgh als Silvio sowie Andreas Baronner und Arman Manukyan als Bauern komplettieren die Riege perfekt.
Die Essener Philharmoniker unter der Leitung von Robert Jindra überzeugen mit großem Streicherschmelz, obwohl sie die für reduziertes Orchester geschriebene Fassung von Francis Griffin spielen. Diese Fassung reduziert auf das Nötigste, klingt aber immerzu pfiffig-kreativ. So gibt es für dieses Gesamtkunstwerk nach fesselnden 75 Minuten völlig zu Recht begeisterten Applaus. Vor allem wird deutlich, dass man für einen lohnenswerten Opernabend kein dreistündiges Werk benötigt, sondern ein Stück wie „Der Bajazzo“ auch wunderbar allein funktioniert.
Text: Dominik Lapp