„Der Bajazzo“ in Hannover (Foto: Dominik Lapp)
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Intensive Gefühle und faszinierende Bilder: „Der Bajazzo“ in Hannover

An der Staatsoper Hannover ist mit „Der Bajazzo“ von Ruggero Leoncavallo (Musik und Libretto) ein Meisterwerk zu sehen, das unter der Regie von Dirk Schmeding neu erstrahlt. Die Entscheidung, die Oper in ihrer vollen Eigenständigkeit zu zeigen, ohne die häufig anzutreffende Kopplung mit „Cavalleria Rusticana“, erweist sich als gelungen und mutig. Mit ihrer packenden Inszenierung in nur 80 Minuten erzeugt die Aufführung eine ungebrochene Spannung.

Die Bühne, gestaltet von Ralf Käselau, zeigt einen schäbigen Zirkusplatz: Lichterketten und ein zerfallener Zuschauerrang schaffen ein Bild des Verfalls und der Melancholie, das zur Handlung passt. Links im Bühnenbild klafft ein Loch, in dem ein rotes Klavier verstörend anziehend wirkt – ein Symbol für das Abgründige in Canios Schicksal. Die Lichtgestaltung von Johannes Volk verstärkt dieses düstere Ambiente und fügt der Szenerie eine eindringliche Emotionalität hinzu. Auch die Kostüme von Pascal Seibicke fügen sich nahtlos in die abgerockte Zirkusatmosphäre ein: Canios abgewetzter grüner Strickpullover ist dabei ein willkommener Farbtupfer.

„Der Bajazzo“ in Hannover (Foto: Tim Müller)

Ein herausragendes Merkmal der Inszenierung ist die Aufhebung der klassischen Barriere zwischen Bühne und Zuschauerraum: Mitwirkende treten immer wieder im Parkett auf, teilweise erklingen die Stimmen ganz nah an den Zuschauern, was die Erzählung unmittelbar und lebendig wirken lässt. Die Akrobaten Alexander Bohnhorst und Zipporah Raskop, die durch Annika Dickels Choreografie geschickt in das Geschehen eingebunden sind, verleihen der Zirkusatmosphäre Authentizität und verstärken die Dramatik auf subtile Weise. Ein Highlight ist auch die Videoprojektion von Philipp Contag-Lada, der Monologe auf schwebende Luftballons projiziert.

Mario Hartmuth führt das Niedersächsische Staatsorchester Hannover mit sicherer Hand durch die leidenschaftlichen Bögen von Leoncavallos Partitur. Das Orchester besticht durch Präzision und eine ergreifende Ausdrucksstärke. Hartmuth gelingt es, die Klangpalette in ihrem vollen Facettenreichtum zu entfalten – von den zarten, intimen Momenten bis zu den leidenschaftlichen Höhepunkten des tragischen Finales. Die Dynamik des Orchesters schwingt perfekt mit dem dramatischen Geschehen auf der Bühne mit und erzeugt dadurch eine atmosphärische Dichte, die die Handlung tief unter die Haut gehen lässt. Auch der Chor unter der Leitung von Lorenzo Da Rio setzt kraftvolle Akzente und zeigt einmal mehr, warum er zu den besten Opernchören der Republik gehört.

„Der Bajazzo“ in Hannover (Foto: Dominik Lapp)

Viktor Antipenko in der Rolle des Canio brilliert als tragischer Clown mit einer darstellerischen und stimmlichen Tiefe, die beeindruckt. Antipenko zeigt meisterhaft Canios Zerrissenheit zwischen Liebe, Eifersucht und Wahnsinn. Sein Gesang reißt in seiner Verzweiflung mit und hinterlässt Gänsehaut. Barno Ismatullaeva gibt der Nedda eine eindrucksvolle Mischung aus Verletzlichkeit und rebellischem Freiheitsdrang. Ihre Sopranstimme klingt weich und doch kraftvoll und bringt das Innenleben ihrer Figur perfekt zur Geltung. 

Daniel Scofield als Tonio fesselt durch seine kraftvolle Bühnenpräsenz. Mit seiner kernigen Baritonstimme schafft er einen packenden Antagonisten, der die Handlung in Gang setzt und die innere Spannung weiter steigert. Pawel Brozek als Peppe bringt mit leichter, agiler Tenorstimme eine heitere Note in die düstere Geschichte, während Darwin Prakash in der Rolle des Silvio mit seinem warmen, volltönenden Bariton die tiefe Zuneigung zu Nedda zum Ausdruck.

Mit „Der Bajazzo“ in Hannover ist Dirk Schmeding, der bereits für seine Inszenierung der Opernneuentdeckung „Guercoeur“ in Osnabrück gefeiert wurde, wieder eine eindrucksvolle Aufführung gelungen, die sowohl musikalisch als auch szenisch durchweg überzeugt. Die Oper entfaltet sich hier als eigenständiges Werk, dessen Intensität und Ausdrucksstärke das Publikum in ihren Bann zieht. Schmeding gelingt es, die Atmosphäre des Verfalls in einer Zirkuswelt voller Schmerz und Wahnsinn perfekt in Szene zu setzen. Besonders durch die starken musikalischen Leistungen und die eindringliche Bühnenästhetik wird „Der Bajazzo“ in der niedersächsischen Landeshauptstadt zu einem Opernerlebnis, das man nicht verpassen sollte.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".