Eindrucksvoll: „Bonifatius“ in Fulda
Wer zum ersten Mal nach Fulda kommt, um das Musical „Bonifatius“ als Teil der Domplatzkonzerte zu sehen, der wird schon räumlich in eine eigene Welt entführt. Die Straßen rund um den Platz sind weitläufig abgesperrt, und wenn man den Bereich betritt, verwandelt sich die Johannes-Dyba-Allee durch Foodtrucks, Getränkestände und Musical-Souvenirshops in eine sommerfestähnliche Flaniermeile. Nach einem Einlass um 18.00 Uhr bleibt mit zweieinhalb Stunden noch genügend Zeit, um diese besondere Atmosphäre in sich aufzunehmen und in Ruhe die Kulisse mit ihren mehr als 6.200 Sitzen vor Fuldas imposantem Dom zu bewundern.
Nach fünfjähriger Abstinenz gibt sich der Patron des Bistums Fulda erneut die Ehre und kehrt in die Domstadt zurück – in der gefeierten 2019er Inszenierung des mittlerweile leider verstorbenen Stefan Huber (Wiederaufnahme-Regie: Michael Schüler) mit der dynamischen Choreografie von Danny Costello. Auf einer 64 Meter breiten Bühne haben links ein mehr als 30-köpfiges Orchester und rechts ein rund 100 Personen starker Chor (Leitung: Marcel Jahn) Platz. Die Darstellerinnen und Darsteller bestreiten ihre Parts in der Mitte auf einem runden Plateau, das geteilt und teilweise angehoben werden kann. Den Rest des Bühnenbildes (Okarina Peter und Timo Dentler) übernehmen Lichtdesignerin Pia Virolainen und der oscarpreisgekrönte Videodesigner Sven Sauer, der je nach Lied und Stimmung verschiedene Projektionen auf zwei Leinwänden links und rechts der Bühne sowie auf Fuldas Dom selbst erscheinen lässt.
So versinken Sturmius und Alrun in einem beeindruckenden Sternenmeer bei „Wenn das wirklich Liebe ist“, wohingegen zwei gelblich-braune Augen, deren Pupillen sich im Takt erweitern und den Blick auf etwas undefinierbares Fleischiges freigeben, böse in die Zuschauerränge blicken, sobald Gewilip und Radbod ihr heimtückisches Komplott schließen. Eine beeindruckende Art des Bühnenbildes, die imposant ist, aber immer die Darbietungen auf der Bühne lediglich unterstreicht, ohne sie in den Schatten zu stellen.
Peter und Dentler schaffen dazu passende Kostüme, die die Charakterzüge der einzelnen Figuren sehr gut unterstreichen: So trägt Bonifatius, der das Wort Gottes verbreiten will, ein liturgisches Gewand in Form eines Mantels mit aufgedruckten Bibelversen, sein Schüler Sturmius, der noch von Bonifatius lernt, hat große, verwaschene Buchstaben und deutlich weniger Text auf seinem Chorhemd. Der protzige und bösartige Gewilip funkelt in einer rot-glitzernden Soutane mit passendem Birett auf dem Kopf. Im Gegensatz trägt Bonifatius in seiner Funktion als Bischof lediglich einen glitzernden Rock, während der obere Teil seiner Gewandung und auch das Birett ohne Glitzerelemente auskommen. Dadurch erscheint Bonifatius als Bischof deutlich weniger pompös.
Den insgesamt bombastischen Eindruck weiß das Orchester bereits während der Ouvertüre gekonnt aufzunehmen. Unter der Leitung von Inga Hilsberg, der man den Spaß und die Leidenschaft am Dirigat noch aus 30 Reihen Entfernung ansieht, sieht man hier ein Musical, das diese Bezeichnung noch verdient hat, da kein einziges Instrument vom Band abgespielt wird.
Thomas Borchert tritt die Nachfolge Reinhard Brussmanns an, der den Missionar kreiert und seit seiner Uraufführung 2004, zuletzt 2019, in Fulda verkörpert hat. Dabei muss sich Borchert keinesfalls hinter Brussmann und auch nicht hinter Ethan Freeman, der die Rolle ebenfalls spielte und weiterentwickelte, verstecken. Er verleiht seinem Bonifatius eine unglaubliche Würde und Anmut, spielt in Sprechszenen überaus passend mit dem Repertoire seiner Stimmfarbe und schafft vor allem mit „Gib mir Kraft“ einen einzigartigen Gänsehautmoment, indem sich seine klare und kräftige Stimme wie ein warmer, beschützender Mantel um das Publikum legt.
Friedrich Rau verkörpert Sturmius etwas schüchtern und zurückhaltend, was sehr gut zu seiner Rolle passt. Dennoch zeigt sich diese Schüchternheit nicht in seinem Gesang. Unglaublich klar, sauber und gut verständlich intoniert er seine Parts und mit seiner ausdrucksstarken Darbietung von „Abendrot“ rührt er zu Tränen, denn es gelingt ihm, die Gebrochenheit und Trauer seiner Figur überzeugend darzustellen, ohne dass die Stimme darunter leidet.
Sabrina Weckerlin muss ihre Rockröhre buchbedingt im Zaum halten, kann sie aber bei „Selbsterkenntnis“ an der ein oder anderen Stelle eindrucksvoll zur Schau stellen. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, zu sagen, dass sich Weckerlin ständig zurückhalten müsste, denn die enorm vielseitige Künstlerin kann nicht nur laut, sondern auch leise. Dies beweist sie in einem brillanten „Wann trägt der Wind mich fort“, dem sie durch ein paar wenige, aber gezielt gesetzte Verzierungen an geeigneten Stellen ihren ganz persönlichen Stempel aufdrückt.
Der Gewilip von Frank Josef Winkels ist einfach abstoßend widerlich, was durch sein grandioses Schauspiel deutlich wird. Gesanglich fehlt ihm in den Höhen ein wenig die Kraft, was insbesondere im „Komplott“-Duett mit Andreas Lichtenberger auffällt und was nicht immer an Soundstörungen liegt. Anke Fiedlers Lioba darf mit „Starke Frauen“ ein echtes Highlight im Stück zum Besten geben. Wenngleich ihre Artikulation etwas schwach ist, so dass ihre Texte nicht so gut zu verstehen sind, liefert sie stimmlich und performativ ein echtes Statement ab.
Insgesamt bietet „Bonifatius“ von Dennis Martin (Musik und Songtexte) und Zeno Diegelmann (Buch) feinste Musicalunterhaltung mit vielen Ohrwürmern vor atemberaubender Kulisse, so mitreißend, dass es beim „Salz der Erde“ leider einige im Publikum zu einem hemmungslosen und respektlosen (!) Mitfilmen verleitet. Aber vielleicht kann man dem zuvorkommen, denn es wäre wünschenswert, wenn Veranstalter Spotlight mit dieser Cast ins Studio gehen oder von dieser Aufführung einen Mitschnitt für die Nachwelt festhalten würde. Absolut sehens- und hörenswert!
Text: Anna-Lena Ziebarth