Imposantes Meisterwerk: „Bonifatius“ in Fulda
Was für eine imposante Kulisse! Einen passenderen Spielort als den Domplatz hätte man für die Open-Air-Aufführungen des Musicals „Bonifatius“ von Dennis Martin (Musik und Songtexte) und Zeno Diegelmann (Buch) nicht finden können. Denn weil die Stadt Fulda in diesem Jahr 1.275 Jahre alt wird, hat die ortsansässige Musicalproduktionsfirma Spotlight zu diesem besonderen Jubiläum ihr Erstlingswerk aus der Mottenkiste geholt, entstaubt, grundlegend überarbeitet und zeigt „Bonifatius“ jetzt als ein imposantes Meisterwerk in einer in Fulda nie dagewesenen Dimension.
Vor 15 Jahren legte man mit dem Stück den Grundstein für die Spotlight-Erfolgsgeschichte. Damals entstand das Musical „Bonifatius“ anlässlich des 1250. Todestages des Heiligen Bonifatius. Es folgten weitere Spielserien in den Jahren 2005, 2006 und 2010. Selbst in den Niederlanden wurde das Stück über den Missionar bereits aufgeführt. Doch mit den früheren Aufführungsperioden hat das Werk – abgesehen von der Musik – nicht mehr viel gemeinsam. Hier haben die Musicalmacher nicht gekleckert, sondern geklotzt. Und zwar ordentlich.
Vor der gewaltigen Kulisse des Fuldaer Doms ist eine mehr als 50 Meter breite Bühne entstanden, auf der 27 Musicaldarsteller, 130 Chorsänger und ein 50-köpfiges Orchester Platz finden. Das Orchester stellt dabei ein Novum für eine Fuldaer Musicalproduktion dar. Denn normalerweise sind die Spotlight-Musicals im benachbarten und wesentlich kleineren Schlosstheater zu sehen, wo die Musik lediglich aus der Konserve kommt.
Mit den Kölner Symphonikern unter der versierten Leitung von Inga Hilsberg hat man nun ein renommiertes Orchester in die Barockstadt geholt, das der wundervollen Partitur von Komponist Dennis Martin vollends gerecht wird. Hilsberg leitet ihre Musiker mit Verve durch den Abend und lässt emotionale Streicherpassagen mit schneidenden Bläserklängen und rhythmischen Drumlines verschmelzen, so dass den Darstellern ein – tontechnisch perfekt abgemischter – Klangteppich par excellence ausgerollt wird.
Doch nicht nur auf der musikalischen Seite hat man nichts dem Zufall überlassen, auch die Inszenierung wurde in beste Hände gegeben. So ist mit Stefan Huber ein freilichtbühnenerfahrener Regisseur verpflichtet worden, der bei den Festspielen im benachbarten Bad Hersfeld zuletzt mit seinen großartigen Inszenierungen der Musicals „Funny Girl“ und „Titanic“ für ausverkaufte Vorstellungen sorgte. Dieser wiederum hat aus Bad Hersfeld seinen „Funny Girl“-Choreografen Danny Costello mitgebracht, der dieses Jahr außerdem „Der Mann von La Mancha“ bei den Schlossfestspielen Ettlingen sowie „Big Fish“ in Gelsenkirchen choreografiert hat und für „Bonifatius“ eine dynamische und äußerst ausdrucksstarke Choreografie schuf.
Für die Jubiläumsfassung von „Bonifatius“ wurde das Stück grundlegend überarbeitet. So hat Dennis Martin seine Musik neu arrangiert. Eine Ouvertüre ist – wenn man schon ein großes Orchester hat – neu hinzugekommen, mehr Instrumente und veränderte Tempi sind zu hören, genauso wie neue Zwischenmusiken für die Szenenübergänge. Das klingt alles sehr frisch und rund. Ebenso rund wirkt die Inszenierung von Stefan Huber, der dem Werk eine hervorragende neue Dramaturgie verpasst hat.
So hat Huber eine neue Rahmenhandlung geschaffen und lässt die Darsteller zunächst einmal in Alltagskleidung auftreten. Ähnlich wie bei Scott Schwartz‘ Neuinszenierung von Disneys „Der Glöckner von Notre Dame“ agieren die Darsteller als Spielerschar, die die Geschichte des Heiligen Bonifatius nacherzählt. Dadurch entstehen zwei, eigentlich sogar drei, Handlungsebenen. Denn nachdem die Spieler ihre Kostüme angezogen haben, treten mit dem Erzbischof Lullus und dem Bischof Willibald zwei Charaktere in einer weiteren Zeitebene auf, die nach dem Tod von Bonifatius spielt. Lullus und Willibald – Letzterer gilt als Bonifatius-Biograf und könnte dessen Neffe gewesen sein – wollen, dass Bonifatius vom Papst heiliggesprochen wird, verfassen deshalb eine Biografie und erzählen so das Leben des Bonifatius in chronologischer Abfolge.
Visuell hervorragend unterstützt wird diese chronologische Erzählung durch die zeitgemäßen und detaillierten Kostüme von Okarina Peter, die die Heiden in Felle kleidet, Bonifatius einen mit dessen Schriften bedruckten Mantel tragen lässt und Bischof Gewilip in einer extravaganten roten Glitzerrobe zeigt.
Wer sich an die Uraufführung von „Bonifatius“ erinnert, wird sicher noch die weißen Quader im Kopf haben, die damals das abstrakt-karge Bühnenbild darstellten. Doch für die Open-Air-Fassung und die sehr breite Bühne brauchte es freilich etwas mehr. Während das Orchester die linke und der Chor die rechte Bühnenseite ausfüllt, ist in der Mitte eine Spielfläche entstanden, die von der beeindruckenden Domfassade überthront wird.
Die runde, abgeschrägte Hauptbühne von Timo Dentler wirkt mit nur wenigen Bühnenteilen und Requisiten sowie einem Gaze-Schlauch, der im Verlauf der Handlung die mächtige Donareiche darstellt, zwar eher dürftig ausgefüllt, doch tun der Dom im Hintergrund, ein ausgeklügeltes Lichtdesign und ganz besonders die Projektionen von Sven Sauter ihr Übriges, um hier ein visuelles Meisterwerk zu schaffen. Mit Sauter hat man nämlich einen Oscar-Preisträger ins Kreativteam geholt, der an der Erfolgsserie „Game of Thrones“ mitwirkte – entsprechend aufwändig, detailliert und sehenswert sind seine Projektionen, die letztendlich sogar den Dom in Flammen aufgehen lassen.
Doch so gigantisch dies auch alles klingen mag: Regisseur Stefan Huber versteht es, seine Darsteller nicht von dem Bühnenbildbombast erschlagen zu lassen. So wechseln sich intime Szenen sehr gut ab mit den großen, von Projektionen unterstützten Szenen. Wie schon in vorigen Produktionen beweist Huber bei „Bonifatius“, dass er starke Charakterzeichnungen beherrscht und in der Lage ist, ein homogenes Ensemble zu formen.
Dabei kommen dem Regisseur exzellente Darsteller zugute, die von den Hauptrollen bis zum Ensemble wunderbar besetzt wurden. Angeführt wird die Darstellerriege von einem grandiosen Reinhard Brussmann, der sich wie schon bei der Uraufführung von „Bonifatius“ als wahrer Fels in der Brandung erweist. Mit seinem voluminösen Bariton sorgt er bei jedem seiner anspruchsvollen Songs für Gänsehautstimmung. Doch auch schauspielerisch kann er vollends überzeugen. Er verleiht dem Missionar eine starke Kontur, ist gütig wie fordernd, manchmal hin- und hergerissen, aber immer für den Glauben einstehend. Selbst in den Szenen, in denen Bonifatius allein zu sehen ist, schafft es Brussmann durch seine starke Bühnenpräsenz, die riesige Bühne auszufüllen. Als Höhepunkte erweisen sich dabei seine perfekten Interpretationen der großen Soli „Gib mir Kraft“ und „Ein Leben lang“.
Ein so starker Protagonist braucht einen ihm ebenbürtigen Antagonisten. Mit Frank Winkels als Bischof Gewilip und Andreas Lichtenberger als Heidenführer Radbod hat man gleich zwei exzellente Antagonisten gefunden, die Bonifatius das Leben schwer machen. Während Winkels als Gewilip genauso durchtrieben wie hinterhältig und auch widerwärtig ist, macht Lichtenberger schon allein durch seine gewaltige Figur Eindruck. Gesanglich liefern beide Künstler ebenfalls hervorragend ab. So schafft Frank Winkels die hohen Töne Gewilips mühelos, wohingegen Andreas Lichtenberger mit seiner tiefen erdigen Stimme beeindruckt.
Friedrich Rau fesselt als Bonifatius‘ Schüler Sturmius mit seiner klaren Stimme und seinem leidenschaftlichen Schauspiel. Er gibt Sturmius als einen von Sturm und Drang getriebenen jungen Mann, der letztendlich die für ihn richtige Entscheidung trifft, als er sich zwischen Liebe und Kirche entscheiden muss. Ihm zur Seite steht die zauberhafte Judith Jandl, die schauspielerisch wie gesanglich sehr gut mit Rau harmoniert und mit ihrem Solo „Wann trägt der Wind mich fort“ einen weiteren Höhepunkt der Show liefert.
Aus der vergleichsweise kleinen Rolle der Lioba holt Anke Fiedler – insbesondere stimmlich – alles heraus, wofür sie besonders nach dem Song „Starke Frauen“ mit lautstarkem Applaus bedacht wird. Absolut rollendeckend agieren zudem Karsten Kenzel als Luitger, Simon Staiger und Tom Schimon als Karlmann und Pippin sowie Alexander von Hugo als Willibald und Max Gertsch als Lullus, Karl Martell und Papst. Mit ihrem kurzen, dafür aber umso eindrucksvolleren Auftritt als Mutter kann zudem Juliane Bischoff überzeugen.
So bleibt an dieser neuen Fassung von „Bonifatius“ gar nichts auszusetzen. Denn das Stück, das schon 2004 sehr gut war, ist jetzt seinen Kinderschuhen entwachsen und dramaturgisch rund, visuell herausragend sowie musikalisch erstklassig. Was Kreativteam, Orchester, Darsteller und Chor auf dem Fuldaer Domplatz zaubern, darf mit gutem Gewissen als die wohl gewaltigste Musicalinszenierung des Jahres und ein imposantes Meisterwerk bezeichnet werden. Sehenswert!
Text: Dominik Lapp