„Bonnie & Clyde“ in Bad Gandersheim (Foto: Dominik Lapp)
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Selten gespieltes Juwel: „Bonnie & Clyde“ in Bad Gandersheim

Die Gandersheimer Domfestspiele bieten mit ihrer Inszenierung des Musicals „Bonnie & Clyde“ ein packendes Erlebnis. Das Stück, basierend auf dem Leben der berüchtigten Gangster Bonnie Parker und Clyde Barrow, erzählt ihre Geschichte von der ersten Begegnung bis zu ihrem tragischen Ende. Die Inszenierung von Sandra Wissmann besticht durch eine spannende Mischung aus historischen Fakten und dramatischer Interpretation.

Annika Steinkamp als Bonnie und Lucas Baier als Clyde liefern beeindruckende Leistungen ab. Ihre Darstellung der komplexen Charaktere, die zwischen Träumen, Ängsten und skrupellosen Taten schwanken, ist tiefgründig und mitreißend. Steinkamp verleiht Bonnie eine bezaubernde Mischung aus Unschuld und Entschlossenheit, während Baier Clyde als charismatischen, aber auch verzweifelten Antihelden zeigt. Beide harmonieren stimmlich hervorragend miteinander und machen so jeden ihrer Songs zu Höhepunkten.

Die Nebenrollen sind ebenso stark besetzt. Allen voran glänzen Nadine Kühn als Blanche und Tim Müller als Buck. Kühn zeichnet schauspielerisch ein starkes Bild einer Frau, die weiß, was sie will und was das Beste für ihren Mann ist. Müllers Buck ist die ganze Zeit hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu seiner Frau und der Loyalität gegenüber seinem Bruder.

„Bonnie & Clyde“ in Bad Gandersheim (Foto: Dominik Lapp)

Hervorzuheben sind zudem Bas Timmers in der Rolle des Sheriffs und Dirk Hinzberg als Priester, die beide durch ihre schauspielerisch wie gesanglich markanten Auftritte überzeugen. Auch Ellen Kärcher und Kevin Dickmann als Cumie und Henry Barrow sowie Tabea Scholz als Emma Parker und Johannes Krimmel als Ted Hinton bieten hervorragende unterstützende Darbietungen. Ann-Charlotte Wittmann und Niklas Brunner in den Rollen der jungen Bonnie und des jungen Clyde tragen als Alter Ego des erwachsenen Gangsterpaars ebenfalls sehr gut zur Erzählung bei.

Das Bühnenbild von Anja Müller ist sparsam und dennoch ein kleines visuelles Highlight. Die Gandersheimer Stiftskirche bildet ohnehin eine beeindruckende Kulisse, die ergänzt wird durch eine überdimensionale Zeitungsseite mit dem Titelpaar. Erwähnenswert ist hierbei die Stelle, aus der ein Oldtimer herausfährt, sowie der aufklappbare Bereich, der den Blick auf eine Gefängniszelle freigibt. Eine fahrbare Treppe dient ebenfalls als Zelle, Versatzstücke deuten verschiedene weitere Schauplätze wie eine Bank, ein Lebensmittelgeschäft und einen Friseursalon an. Müllers Kostüme spiegeln die Zeit der Handlung wider und lassen insbesondere bei Bonnie und Clyde den gesellschaftlichen Aufstieg erkennen. Von einfacher Kleidung zu Beginn bis hin zu schickeren Outfits später, zeigt sich die Entwicklung der Charaktere auch in ihrer Garderobe.

Die Musik von Frank Wildhorn, gespielt von einer siebenköpfigen Band unter der Leitung von Ferdinand von Seebach, ist ein weiterer Höhepunkt des Musicals. Die Musiker liefern eine mitreißende Mischung aus Blues, Gospel, Rockabilly und Country, die die Atmosphäre der Dreißigerjahre und den amerikanischen Süden perfekt einfängt.

„Bonnie & Clyde“ in Bad Gandersheim (Foto: Dominik Lapp)

Lieder wie „God’s Arms are always open“ und „Raise a little hell“ (die hier selbstverständlich in der gelungenen Übersetzung von Holger Hauer zu hören sind) tragen starke Gospel-Einflüsse und verstärken das düstere und spirituelle Flair der Handlung. Rockabilly- und Country-Stile, wie sie in „When I drive“ und „You’re goin’ back to Jail“ zu hören sind, unterstreichen die rebellische Natur der Figuren. Popballaden wie „How ’bout a Dance?“ und „Dyin’ ain’t so bad“ bringen die romantischen und emotionalen Aspekte der Geschichte zum Ausdruck.

Weil die musikalische Bandbreite von „Bonnie & Clyde“ so groß ist, klingt das Stück nicht so typisch nach Wildhorn wie seine anderen Musicals, was sich als Gewinn erweist. Natürlich gibt es auch hier schmalzige Balladen, aber harmonisch interessante Wendungen sorgen dafür, dass die Musik abwechslungsreich und im Gedächtnis bleibt und von leisen, intimen Momenten bis hin zu lauten, kraftvollen Ausbrüchen die dramatischen Höhepunkte der Geschichte unterstützt.

Regisseurin Sandra Wissmann versteht es, die Spannung über die gesamte Dauer des Musicals zu halten – trotz der Längen, die das Buch von Ivan Menchell durchaus besitzt. Durch den Verzicht auf eine Pause und eine durchgehende Spieldauer von zwei Stunden bleibt jedoch die Dramatik erhalten. Wissmanns Personenregie zeichnet interessante Charaktere und nutzt immer wieder das Durchbrechen der vierten Wand, um das Publikum noch näher an das Geschehen heranzuführen. So jagen die junge Bonnie und der junge Clyde über die Tribüne und der Priester stimmt einen Song zwischen den Reihen an. Die Choreografie von Dominik Müller ist hingegen unspektakulär und zurückhaltend, was jedoch gut zum Stück passt und die dramatische Handlung nicht überlagert.

Die Inszenierung von „Bonnie & Clyde“ in Bad Gandersheim ist also musikalisch wie dramaturgisch äußerst gelungen. Mit hervorragenden Darstellerinnen und Darstellern, einer guten Ausstattung und der mitreißenden musikalischen Gestaltung verspricht dieses selten gespielte Juwel einen lohnenden Musicalbesuch.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".