„Cabaret“ in Bielefeld (Foto: Dominik Lapp)
  by

Brisante Aktualität im schillernden Gewand: „Cabaret“ in Bielefeld

Das Musical „Cabaret“ am Theater Bielefeld zeigt die verruchte Welt des Kit-Kat-Clubs im Berlin der Zwanzigerjahre und setzt zugleich erschreckend aktuelle Akzente. In einer Zeit, in der rechte Kräfte zunehmend erstarken, entfaltet das Stück eine unheimliche Aktualität. Dennoch kämpft die Inszenierung von Michael Heicks im ersten Akt mit einigen buchbedingten Längen, bevor sie sich im zweiten Akt dramatisch zuspitzt.

Eine Besonderheit dieser Produktion ist die geschlechtsoffene Besetzung der Rolle des Conférenciers, die traditionell von Männern gespielt, aber inzwischen immer mal wieder auch mit Frauen besetzt wird – wie in Bielefeld mit Christina Huckle. Krankheitsbedingt springt für Huckle in der besuchten Vorstellung jedoch kurzerhand Mathias Schlung ein, der bereits Erfahrung in dieser Rolle mitbringt. Diese Situation verdeutlicht eine zentrale Herausforderung der geschlechtsneutralen Besetzung: Es gibt noch nicht viele Frauen, die diese Rolle im Repertoire haben. Schlung meistert seinen Part indes mit gewohntem Charisma und verleiht dem Conférencier die nötige Mischung aus zynischem Witz und finsterer Vorahnung.

„Cabaret“ in Bielefeld (Foto: Dominik Lapp)

Das Bühnenbild von Timo Dentler und Okarina Peter – die außerdem für die zeitgemäßen Kostüme verantwortlich zeichnen – entführt das Publikum direkt in die zwielichtige Clubatmosphäre. Eine zentral platzierte Wand fungiert dabei als cleveres Bühnenmittel: Sie kann sich auffächern und so entweder die schillernde Welt des Kit-Kat-Clubs oder die bürgerliche Umgebung im Hause von Fräulein Schneider darstellen. Sehr gelungen ist zudem die offene Platzierung des Orchesters, das unter der Leitung von William Ward Murta den Raum beherrscht. Die Musikerinnen und Musiker befinden sich etwas angehoben im Graben, was den Jazz-Charme verstärkt und gleichzeitig das Orchester ins Zentrum des Geschehens rückt.

Lara Hofmann als Sally Bowles ist ein leuchtender Höhepunkt der Inszenierung. Sie spielt die schillernde, aber verletzliche Nachtclubsängerin mit beeindruckender Stimmgewalt – vor allem in den Songs „Maybe this Time“ und „Cabaret“ – und überzeugendem Schauspiel. Nikolaj Alexander Brucker als Clifford Bradshaw bringt den sensiblen Schriftsteller, der sich zunehmend im Netz der politischen und persönlichen Umstände verstrickt, gekonnt auf die Bühne. Carmen Priego und Lorin Wey als Fräulein Schneider und Herr Schultz liefern mit ihrer herzerwärmenden, tragischen Liebesgeschichte eine sehr emotionale und nuancierte Darstellung.

„Cabaret“ in Bielefeld (Foto: Dominik Lapp)

Yara Hassan sorgt mit ihrer durchdachten Choreografie für spritzige Tanznummern, die den Wandel von der hedonistischen Welt des Clubs hin zur unheilvollen Bedrohung durch den Nationalsozialismus illustrieren. Georg Böhm als Ernst Ludwig verkörpert die unheimliche Präsenz dieser politischen Gefahr mit eindringlicher Klarheit, während Amber-Chiara Eul als Fräulein Kost in ihrer Rolle ebenfalls überzeugt.

Trotz kleinerer Schwächen im Tempo des ersten Akts zeigt sich „Cabaret“ als brisantes Stück. Die Inszenierung von Michael Heicks fängt die Atmosphäre der Zwanzigerjahre ein, ohne den Blick auf die gegenwärtige politische Lage zu verlieren. Am Ende bleibt das Publikum mit der beklemmenden Erkenntnis zurück, dass die Lehren aus der Geschichte heute wieder bedrohlich aktuell sind.

Text: Dominik Lapp

Avatar-Foto

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".