Markerschütternd gut: „Cabaret“ in Chemnitz
Das Warten hat sich gelohnt: Mit dreijähriger Verspätung, bedingt durch die Corona-Pandemie und den damit verbundenen Lockdown, feierte nun das Musical „Cabaret“ von John Kander (Musik), Fred Ebb (Songtexte) und Joe Masteroff (Buch) Premiere am Opernhaus in Chemnitz. Die Inszenierung von Erik Petersen lebt von starker Personenregie und einer erstklassigen Ausstattung.
Die Buchstaben auf der Bühne, die das Wort „Cabaret“ bilden, verblassen je weiter die Handlung voranschreitet. Während die Kostüme im ersten Akt noch glitzernd und schillernd sind, verändern sie sich im zweiten Akt immer mehr in Brauntöne. Bereits in der sehenswerten Ausstattung von Anja Lichtenegger zeigt sich, dass die Geschichte immer düsterer wird, der Nationalsozialismus immer stärker aufkeimt.
Ob nun Ziegelwände, der Kit-Kat-Club mit Glühlampen oder heruntergekommene Zimmer – alles an dem Bühnenbild wirkt sehr authentisch. Ein Rätsel geben zunächst aber vier Pfeiler auf, die offenbar die Spielfläche begrenzen. Zumindest so lange, bis am Ende zwischen eben diesen Pfeilern Stacheldraht gespannt wird, so dass ein Zaun entsteht, wie man ihn aus Konzentrationslagern kennt.
Regisseur Erik Petersen beweist nach seiner gefeierten „Rebecca“-Inszenierung in Magdeburg mit „Cabaret“ in Chemnitz erneut, dass er ein Meister der Personenführung und Figurenzeichnung ist. Dazu steht ihm allerdings auch eine herausragende Cast zur Verfügung, die von Jan-Philipp Rekeszus angeführt wird, der als Conférencier den Abend eröffnet und immer wieder die vierte Wand durchbricht, um mit dem Publikum zu interagieren. Wie ein Erzähler und Kommentator führt Rekeszus großartig durch den Abend, zieht sowohl im Kit-Kat-Club als auch an der Chemnitzer Oper die Strippen. Gesanglich glänzt er zudem in den Höhen genauso wie in den Tiefen.
Im Zentrum der Inszenierung steht allerdings Sybille Lambrich als Sally Bowles, die als Femme Fatale brilliert in Schauspiel, Gesang und Tanz (ästhetische Choreografie: Danny Costello). Besonders die charakterliche Entwicklung gelingt Lambrich hervorragend. „Politik? Was hat denn das mit uns zu tun?“ Ihre Sally ist zunächst das oberflächliche Girl, das sich für nichts interessiert als die Kerle, von denen sie sich aushalten lässt. Später aber erkennt Sally, dass die Welt um sie zerbricht. Diesen Wandel vollzieht Sybille Lambrich bravourös und mit makellosem Gesang, ganz egal, ob der Song nun „Mein Herr“, „Maybe this Time“ oder „Cabaret“ heißt.
Weiter ist David Sitka als junger amerikanischer Schriftsteller Clifford Bradshaw ein echter Charmebolzen mit angenehm tenoralem Stimmglanz. Lucas Baier als bedrohlicher Ernst Ludwig, Matthias Winter als Herr Schultz, Sylvia Schramm-Heilfort als Fräulein Schneider sowie Daniela Tweesmann als Fräulein Kost komplettieren ein unerhört souveränes Ensemble, das „Cabaret“ in Erik Petersens herausragender Inszenierung völlig neue Seiten abgewinnt. Musikalisch weben die Mitglieder der Robert-Schumann-Philharmonie als Kit-Kat-Band unter der Leitung von Maximilian Otto einen exzellenten Klangteppich, der die Darstellerinnen und Darsteller geradezu durch den markerschütternd guten Abend trägt.
Text: Christoph Doerner