Wie ein guter Wein: „Cats“ auf Tour
Gastbeitrag von Michael Bergmann, Youtube-Kanal „Bergmanns Bühne“
Zum neunten Mal durfte ich in der Alten Oper in Frankfurt am Main die weltberühmten Katzen wiedersehen. Ich gebe zu: Je älter ich werde, desto mehr geht mir dieses Musical ans Herz. So viel wohlig-warme Achtziger-Nostalgie liegt für mich darin. Es ist einfach die letzte Show, die noch zu schätzungsweise 90 Prozent so aussieht wie vor mehr als 40 Jahren bei ihrer und der gleichzeitigen Geburt der großen Export-Musicals: „Cats“ ist die Mutter aller so genannten Großproduktionen. Und mit was? Mit Recht.
Auch diese Inkarnation, die ehemalige UK-Tour (die sich aus Brexit-Gründen nun International Tour nennen muss), wird in (fast) allen Belangen dem Anspruch auf einen perfekten Abend auf der berühmtesten Müllhalde der Welt gerecht: Neben dem legendären Bühnenbild von John Napier, den ikonischen Choreografien von Gillian Lynne und den vielen zeitlosen Hits der Show, sprühen die internationalen Darstellerinnen und Darsteller nur so vor Energie – allen voran ein herausragender Erzähler-Kater Munkustrap (Russel Dickson), ein akrobatisch-bezaubernder Mr. Mistoffelees (Liam Mower), eine sich die Seele aus dem Leib steppende Gumbie Cat (Sara-Marie Maxwell), ein grooviger Rum Tum Tugger (Harrison Wilde) und ein stimmlich hervorragend aufgelegter Old Deuteronomy (Martin Callaghan).
Sowieso sind ausnahmslos alle Stimmen und somit auch die Chöre geradezu himmlisch. Allein die wohl bekannteste Katze des Wurfs, die „Memory“ schmachtende Grizabella, bleibt leider hinter den Erwartungen zurück: Zu aufgesetzt und over the top, zu behauptet ist ihr Leiden. Stimmlich geht das in Ordnung, allerdings wird der ikonischste Song der Show Opfer der arg ausgedünnten Bandbesetzung und einer viel zu blechern abgemischten Stimme. Das funktioniert für mich nicht mehr, wenn man das (so wie in Wien) bereits in großer Orchesterbesetzung und von Granaten wie Joanna Ampil, Wietske van Tongeren, Barbara Obermeier oder Carin Filipčić hören durfte.
Ansonsten verkraftet die Show die massive Reduktion der Instrumente gut. Da kommt ihr entgegen, dass der Gesamtsound sowieso sehr synthielastig in den Achtzigern verwurzelt ist. Trotzdem fehlen gerade echte Bläser, besonders in Songs wie „Macavity“. Generell kam mir das Lichtdesign arg ausgedünnt vor, da behaupte ich, differenzierte Stimmungen und größere Abwechslung zu kennen.
Die kleinen Kürzungen und Straffungen, die ich bereits 2017 bei genau dieser Tour erleben durfte, stehen der Show weiterhin sehr gut zu Gesicht: Das schon immer zähe und nicht enden wollende „Growltiger’s Last Stand“ wurde ersatzlos gestrichen, dafür hat Gus seinen theatralischen Auftritt im (glücklicherweise auch gekürzten) „Pekes vs. Pollicle’s“-Kampf als Rumpus Cat. Das funktioniert famos und überspringt endlich unnötige Längen im zweiten Akt, der nun wirklich fließend Schlag auf Schlag ein Highlight nach dem anderen präsentiert.
Da es sich um die englischsprachige Originalproduktion handelt, werden deutsche Übertitel gezeigt, was ich als sehr gut gelöst und nicht störend empfinde – wird für jeden Song doch nur die Quintessenz und das Thema eingeblendet, nicht aber der gesamte Songtext. Und so ist diese Tour ein Genuss, sowohl für Kennerinnen und Kenner als auch für Neulinge. Die Katzen selbst altern in Würde und sind, für mich jedenfalls, wie ein guter Wein: Man weiß ihn erst im Alter richtig zu schätzen und der Kater steckt einem noch tagelang in den Knochen.
Text: Michael Bergmann
Unser Gastautor Michael Bergmann ist ehemaliger Musicaldarsteller und Betreiber des Youtube-Kanals „Bergmanns Bühne“, auf dem er Rezensionen, Interviews und andere spannende Videos präsentiert.