Zeitlos genial: „Chicago“ in Hannover
An der Staatsoper Hannover erweist sich das Musical „Chicago“ von John Kander (Musik), Fred Ebb (Buch und Songtexte) und Bob Fosse (Buch) von der ersten Minute an als ein voller Erfolg. Regisseur Felix Seiler, der das Musical bereits 2020 in Bremerhaven inszenierte, präsentiert nun eine neue, zeitlose Interpretation des Broadway-Klassikers.
In seiner Inszenierung mit deutschen Dialogen (Übersetzung: Erika Gesell und Helmut Baumann) und englischen Songs verzichtet Seiler bewusst auf eine spezifische historische Verortung und fokussiert stattdessen auf universelle Themen wie Macht, Ruhm und Intrigen. Durch ein raffiniertes Bühnenbild, prägnante Kostüme und eine hervorragende musikalische wie schauspielerische Leistung knüpft der Regisseur mit „Chicago“ an den Erfolg der Operette „Die Zirkusprinzessin“ an, die er 2022 an der Staatsoper Hannover inszeniert hat.
Das Bühnenbild von Timo Dentler und Okarina Peter beeindruckt durch seine Reduktion und Flexibilität. Vier Alu-Showtreppen dominieren die große schwarze Bühne und werden kreativ eingesetzt, um verschiedene Schauplätze wie das Gefängnis, den Gerichtssaal oder Showbühnen zu visualisieren. Diese schlichte, aber eindrucksvolle Kulisse spiegelt den Geist der großen Broadway- und West-End-Produktionen von „Chicago“ wider und schafft eine zeitlose Ästhetik. Unterstützt wird dies durch die Lichtgestaltung von Fabian Grohmann, die mit gezielt eingesetzten Lichtkegeln und atmosphärischer Beleuchtung den Figuren und Szenen die passende Intensität verleiht.
Die Kostüme, ebenfalls von Dentler und Peter entworfen, sind größtenteils schlicht und elegant, um die zeitlose Inszenierung zu unterstreichen. Dennoch erlauben sie sich humorvolle und überzeichnete Details, wie etwa die silbern schimmernden Hemden der Polizisten, die das Premierenpublikum zum Schmunzeln bringen.
Musikalisch zeigt die Produktion unter der Leitung von Piotr Jaworski Höchstleistung. Das Niedersächsische Staatsorchester, das sich hier als großartige Big Band erweist, bringt die jazzigen Klänge von John Kander mit Präzision und Dynamik zum Klingen, wodurch die Energie der Inszenierung zusätzlich angefacht wird. Die berühmten Melodien wie „All that Jazz“ oder „Cell Block Tango“ sind mitreißend und beweisen, warum dieses Musical zu den großen Klassikern des Genres zählt. Jaworski gelingt es dabei, die Musik perfekt mit dem Geschehen auf der Bühne zu verschmelzen.
Ein weiterer Höhepunkt der Inszenierung ist die Choreografie von Danny Costello. Die tänzerischen Elemente sind schwungvoll und präzise, die Bewegungen der Darstellerinnen und Darsteller synchron und energiegeladen. Obwohl man den Vergleich mit der kongenialen Original-Choreografie von Bob Fosse nicht gänzlich unterlassen kann, gelingt es Costello, dem Stück eine eigene choreografische Handschrift zu verleihen und die enorme Bandbreite der Tänzerinnen und Tänzer zu zeigen.
Jeannine Michèle Wacker überzeugt in der Rolle der ehrgeizigen Roxie Hart mit facettenreichem Schauspiel und großartigem Gesang. Ihre Roxie ist eine faszinierende Mischung aus Unschuld und Kalkül, die das Publikum mühelos in ihren Bann zieht. Karin Seyfried als Velma Kelly steht ihr in nichts nach. Seyfrieds Velma ist kraftvoll, energiegeladen und stimmlich brillant – eine wahre Diva, die mit ihrer Präsenz die Bühne beherrscht.
Fabio Diso bringt als gewiefter Anwalt Billy Flynn eine Mischung aus Charme und Souveränität auf die Bühne. Mit seinem kraftvollen Tenor und seiner smarten Ausstrahlung wird er zum überzeugenden Strippenzieher, der stets die Fäden in der Hand hält. Patricia Hodell als Mama Morton begeistert mit stimmlicher Wärme und einer autoritären Präsenz, die sowohl einschüchternd als auch mütterlich wirkt. Ihr „When you’re good to Mama“ ist dabei ein wahrer Genuss.
Eine positive Überraschung gelingt Philipp Kapeller, der aus der kleinen Rolle des Amos Hart das Optimum herausholt. Mit seiner Interpretation von „Mr. Cellophane“ bringt er das Publikum zum Lachen und gleichzeitig zum Nachdenken. Sein starker Schlusston und die emotionale Darbietung sorgen für Gänsehaut und werden mit lautstarkem Applaus bedacht. Martin Mulders als Mary Sunshine glänzt mit einem feinen Gespür für Ironie und überraschender stimmlicher Wendigkeit, während Richard Patrocinio als Fred Casely trotz kleinerer Rolle ebenfalls starke Akzente setzt.
Diese Neuinszenierung von „Chicago“ in Hannover überzeugt durch schlüssige Regie, großartige schauspielerische und gesangliche Leistungen sowie ästhetische Perfektion. Die Kombination aus minimalistischer Eleganz, zeitlos genialer Erzählweise und musikalischer Brillanz macht die Produktion zu einem besonderen Erlebnis.
Text: Dominik Lapp