Disney-Magie: „Die Eiskönigin“ in Hamburg
Im Hamburger Hafen bahnt sich ein neuer Disney-Musical-Dauerbrenner an. Denn in direkter Nachbarschaft des „König der Löwen“, der seit 20 Jahren in Hamburg aufgeführt wird, hat Musicalproduzent Stage Entertainment nun auch Disneys „Die Eiskönigin“ ins Rennen geschickt, der größte Musicalhit der Hansestadt zu werden. Und eines steht fest: Die Bühnenversion des erfolgreichen Animationsfilms verspricht mit gewohnter Disney-Magie einen spektakulären Musicalabend, der von zwei starken Hauptdarstellerinnen getragen wird.
Disney steht nach wie vor für große magische Momente – egal ob durch Filme, die mittlerweile 14 auf der ganzen Welt verteilten Themenparks oder eben durch Musicals. Auch bei „Die Eiskönigin“ wird am besonderen Zauber nicht gespart. Doch bis dahin war es ein langer Weg. Die Filmvorlage, die unter dem englischen Titel „Frozen“ bekannt wurde und in Deutschland unter dem sinnfreien Namen „Die Eiskönigin – Völlig unverfroren“ in den Kinos lief, galt als erfolgreichster Animationsfilm weltweit, bis der Nachfolger „Frozen II“ in die Lichtspielhäuser kam.
Die Messlatte für die Musicalversion mit der Musik und den Songtexten von Kristen Anderson-Lopez und Robert Lopez sowie dem Buch von Jennifer Lee, die schon das Drehbuch schrieb, lag also von Anfang an sehr hoch. Bis es das Stück überhaupt an den Broadway geschafft hatte, verbrauchte die Produktion zwei Regisseure, drei Choreografen und zwei Bühnenbildner. Das Endergebnis, wie es jetzt auch in Hamburg zu sehen ist, enttäuscht jedenfalls nicht. Angelehnt an Hans Christian Andersens Märchen „Die Schneekönigin“, erzählt das Musical „Die Eiskönigin“ die Geschichte von Elsa, die eine magische Gabe besitzt und alles in Eis verwandelt, was sie berührt. Es ist also eine gewisse Magie nötig, um die vielen Verwandlungen auf der Bühne in überzeugenden Theatereffekten abzubilden.
Den Zauber des Films auch auf der Bühne zu erhalten und zu transportieren, gelingt mithilfe der schönen Kostüme und des opulenten Bühnenbilds von Christopher Oram, in dem viel Technik für die Videos von Finn Ross und die Spezialeffekte von Jeremy Chernick integriert ist. Ein paar Nebenhandlungen des Films, zum Beispiel die Szene mit einem Schneeungeheuer, fehlen im Musical. Und obwohl es in den Dialogen (Übersetzung: Ruth Deny) immer noch ein paar Längen gibt, wurde die Story sehr gut gestrafft.
Ausreichend viele Ah-und-Oh-Momente gibt es ebenfalls im Stück. Einer dieser Momente ist zum Beispiel die Szene, in der Elsa das hölzerne Bühnenportal berührt, das infolgedessen vollständig mit Eis überzogen wird und sich dann auch auf der Bühne die gesamte Szenerie in eine eisige Schneelandschaft verwandelt. Eine völlig zu Recht vom Publikum gefeierte Szene, ist außerdem jene zum Song „Lass jetzt los“.
Nachdem zunächst vor allem dunkle Brauntöne in Schloss Arendelle dominieren, wirkt die Verwandlung der Bühne zum Eisschloss umso spektakulärer. Bei diesem Zufluchtsort Elsas, der an die Wunderhöhle aus Disneys „Aladdin“ erinnert, wurde an glitzerndem Bombast nicht gespart. Florale Eisornamente, eisglänzende Treppen, funkelnde Kristalle, Stalaktiten und Stalagmiten erzeugen eine eismagische Atmosphäre, die ihre Wirkung nicht verfehlt.
Neben der Ausstattungsschlacht und all den technischen Finessen dürfen aber die durchweg starken Darstellerinnen und Darsteller nicht unerwähnt bleiben. Angeführt wird die Truppe von zwei Ausnahmetalenten in den Hauptrollen. Der äußerst erfahrenen Sabrina Weckerlin als Elsa hat man mit Celena Pieper als Anna eine Newcomerin zur Seite gestellt, die damit ihre erste große Hauptrolle spielt und von der man in Zukunft noch viel hören dürfte. Pieper entwickelt Anna genauso liebenswert wie geistreich und spitzbübisch. Sie drückt ihrem Charakter einen Stempel von jugendlicher Ausstrahlung und manchmal süßer Naivität auf, der ganz hervorragend zu dieser Rolle passt. Aber auch gesanglich brilliert Celena Pieper mit exzellent geführter Stimme, sicher bis in die hohen Lagen.
Als Elsa ist Sabrina Weckerlin eine Wucht. Sie tritt in dieser Rolle in große Fußstapfen, denn Millionen Menschen kennen als Elsa die Stimmen von Idina Menzel (in der englischen Filmversion) und Willemijn Verkaik (in der deutschen und niederländischen Filmversion). Ohnehin muss es unglaublich schwer sein, den Erwartungen eines Millionenpublikums, das die Filmfigur Elsa und ihren großen Song „Let it go“ seit Jahren feiert, gerecht zu werden. Doch Weckerlin überzeugt wie gewohnt mit Souveränität.
Ihre drei Solonummern meistert sie mit kräftiger Beltstimme, im Duett „Du bist alles“ – das eigens für die Hamburger Produktion geschrieben wurde – harmoniert sie aber auch wunderbar mit Celena Pieper. Neben ihren gesanglichen Höchstleistungen glänzt Sabrina Weckerlin außerdem mit authentischem Schauspiel, perfekter Mimik und Gestik. Wie sie Elsa Charaktertiefe verleiht, vor der Krönung zweifeln lässt, in dem Song „Lass jetzt los“ imaginäre Fesseln entzweit und in „Monster“ davon singt, dass Elsa nicht das Monster ist, für das alle sie halten, ist schlichtweg atemberaubend.
Benet Monteiro als Kristoff und Milan van Waardenburg als Hans können ebenfalls auf sich aufmerksam machen. Zwar haben die Autoren des Musicals und Regisseur Adrian Sarple verpasst, der schon im Film unterentwickelten Rolle des Hans in der Bühnenversion mehr Tiefenschärfe zuzugestehen, doch Milan van Waardenburg holt schauspielerisch und gesanglich das Optimum aus seiner Rolle heraus. Mit Hans‘ charakterlicher Wandlung am Ende des zweiten Akts weiß van Waardenburg darüber hinaus zu überraschen. Etwas einfacher hat es aber Benet Monteiro, der als Kristoff schon durch sein Solo im Musical einen größeren Part einnimmt als die Filmfigur. Monteiros Zusammenspiel mit Celena Pieper ist herrlich, genauso wie das Duett zwischen Anna und Kristoff.
Wie bereits im Film, avanciert Olaf auch auf der Bühne zum heimlichen Star. Elindo Avastia verleiht dem naiven Schneemann ein gelungenes Rollenprofil, hat mit dem Song „Im Sommer“ eine stimmige Nummer zu singen, die beim Publikum sehr gut ankommt, und beweist großes Talent als Puppenspieler, so dass man sich vielmehr auf die Puppe (Design: Michael Curry) als auf Avastia fokussiert, wie es auch bei Timon und Pumbaa in der Musicalversion von Disneys „Der König der Löwen“ der Fall ist. Dass Elindo Avastias Sprechstimme stellenweise an die Stimme Hape Kerkelings, der Olaf im Film sprach, erinnert, ist zudem eine nette Überraschung.
Den körperlich wohl anstrengendsten und zugleich undankbarsten Part hat allerdings Antoine D. Banks-Sullivan, der mit dem kompletten Körper im Kostüm von Rentier Sven steckt und sich auf allen Vieren bewegen muss. Als Herzog von Pitzbühl gefällt Eric Minsk sehr gut, weil er sowohl die witzigen als auch die bösen Momente seiner kleinen Rolle auskostet, und als Krämerladen-Besitzer Oaken hat Marlon Wehmeier einen vom Publikum bejubelten, starken Auftritt zu Beginn des zweiten Akts, den er mit der Tanznummer „Hygge“ eröffnet. Einen positiven Eindruck hinterlassen weiter Dominik Doll als überzeugend väterlicher König Agnarr und Lanie Sumalinog als Königin Iduna sowie David Negletto als Pabbie und Kimberly Thompson als Bulda.
Die Inszenierung von Michael Grandage, in Hamburg einstudiert von Adrian Sarple, ist insgesamt stimmig und schlüssig. Die Charaktere wurden größtenteils so entwickelt, dass sie ihren Filmvorlagen gerecht werden. Das hat insbesondere bei Anna, Elsa, Kristoff und Olaf gut funktioniert, bei Hans und von Pitzbühl hätte man sich allerdings etwas mehr Raum gewünscht. Doch was bei der Rollenentwicklung fehlt, wird durch den Drive der Inszenierung, die Szenenübergänge und auch die herausragend von Charlie Williams nach Rob Ashford choreografierten Tanzszenen wettgemacht.
Musikalisch bietet „Die Eiskönigin“ 20 Songs, darunter acht aus dem Film bekannte Songs (Übersetzung: Tommy Amper) und zwölf eigens für das Musical komponierte Nummern (Übersetzung: Kevin Schroeder). Speziell für die Hamburger Produktion schrieben Kristen Anderson-Lopez und Robert Lopez mit „Du bist alles“ außerdem ein neues berührendes Duett für Anna und Elsa. Auffällig ist bei dem Score, dass sich die meisten der ergänzenden Nummern sehr gut in die Reihe der Filmsongs integrieren und auch die Qualität halten, was definitiv keine Selbstverständlichkeit ist.
Häufig ist es so, dass sich das neu komponierte Material nicht auf demselben Niveau bewegt wie die zuvor bekannten Filmsongs. Doch das Komponisten-Ehepaar Anderson-Lopez hat es geschafft, den Filmscore zu einer kompletten Musicalpartitur auszubauen. Einziger Wermutstropfen ist in Hamburg das stark verkleinerte Orchester. Spielten am Broadway noch 21 Musikerinnen und Musiker, die für die Broadway-Cast-Aufnahme sogar auf 44 Positionen erweitert wurden, sitzen im Theater an der Elbe nur noch neun Musizierende plus Dirigent (Aday Rodriguez Toledo) im Orchestergraben.
Angesichts der Premiumpreise, die für „Die Eiskönigin“ aufgerufen werden, grenzt es an einen Skandal, ein Musical um dessen Herzstück – live gespielte Musik – zu berauben. Aber davon wird der größte Teil des Publikums wieder einmal nichts mitbekommen oder es achselzuckend akzeptieren. Denn die Erwartungen der kleinen und großen Zuschauerinnen und Zuschauer erfüllt „Die Eiskönigin“ auf jeden Fall: ihren heißgeliebten Disney-Film endlich live auf der Bühne zu sehen.
Text: Dominik Lapp