Musikalisch wertvoll: „Don Carlo“ in Osnabrück
Von Friedrich Schillers Schauspiel ausgehend, hat Giuseppe Verdi mit „Don Carlo“ eine seiner ergreifendsten Opern geschaffen, die in ihrer Unausweichlichkeit ans griechische Drama heranreicht. Dem leidenschaftlichen Freund von Freiheitsutopien gelingt eine kongeniale Verschmelzung von Musik und Handlung, was auch am Theater Osnabrück deutlich wird.
Einst waren sich der spanische Infant Don Carlo und die französische Prinzessin Elisabeth von Valois einander versprochen. Ihre politische Ehe, auf echte Liebe gebaut, sollte Europa Frieden bringen. Doch dann heiratet Carlos Vater selbst Elisabeth, macht aus ihr einen Spielball der Politik und opfert den Sohn eigenen Machtinteressen.
Dieses große Drama um Macht, Ideale und Liebe, von dem sieben verschiedene Fassungen existieren, wird in Osnabrück in der gekürzten dreieinhalbstündigen Version gezeigt – auf Italienisch, nicht auf Französisch wie die Urfassung. Regisseur Sam Brown verlegt die Handlung vom Spanien des 16. Jahrhunderts in die Gegenwart, findet aber nur wenig Möglichkeiten, die von Verdis Musik ausgehenden großen Gefühle auf die Bühne zu transferieren. Das liegt zum einen an dem zwar funktionellen, jedoch biederen Bühnenbild von Bengt Gomér, das leider nur die Nüchternheit einer dunkelbraun vertäfelten Dorf-Gaststätte ausstrahlt.
Zum anderen deutet Brown viel um, wirft damit Fragen auf, ohne Antworten zu liefern. So wird die große Zeremonie im dritten Akt, das Autodafé, von einem Mob gestört, der an den Sturm auf das US-Kapitol erinnert – darunter sogar jemand, der optisch an Jake Angeli angelehnt ist, den selbst ernannten QAnon-Schamanen, dessen Bilder als Fellmützen-Vandale um die Welt gingen. Immerhin: Die Kostüme von Sarah Mittenbühler, insbesondere die gelben Kleider des Damenchors, sind hübsch anzusehen.
Aber wie so oft bleibt noch die Musik, wenn die Inszenierung nicht zufriedenstellen kann. In dieser Hinsicht kann man bei „Don Carlo“ aus dem Vollen schöpfen, was einerseits Verdis musikalischem Kosmos und andererseits den großartigen Sängerinnen und Sängern sowie dem Osnabrücker Symphonieorchester zu verdanken ist. Daniel Inbal versorgt die Aufführung am Pult mit einer nicht enden wollenden Energie, Präzision und einem äußerst feinen Gespür für die farbenreiche Partitur.
Weiter steht die Aufführung primär im Dienst des schönen Gesangs. In der Titelrolle gelingt James Edgar Knight eine temperamentvolle Darstellung des Don Carlo, der sich einerseits in Auflehnung übt und andererseits ein junger Liebhaber ist. Gesanglich begeistert Knight einmal mehr mit seinem alles überstrahlenden und fabelhaft geführten Tenor. Erik Rousi überzeugt als König Philipp II. mit donnerndem Bass, als Rodrigo punktet Dmitry Lavrov mit seinem weich timbrierten Bariton, den Großinquisitor singt Magnus Piontek genauso bedrohlich wie elegant und auch an Jan Friedrich Eggers als Mönch ist nichts auszusetzen.
Genauso stimmstark zeigt sich die Damenriege, die von Susann Vent-Wunderlich als Elisabeth von Valois angeführt wird. Mit schwebender Leichtigkeit singt die Sopranistin ihren anspruchsvollen Part und zeichnet ein fulminantes Rollenporträt. Olga Privalova steht ihr als Prinzessin Eboli in nichts nach, wenn sie das Publikum durch meisterliche Koloraturen und dramatische Ausbrüche mitreißt. Eine größere Partie wünscht man zudem der hinreißenden Julie Sekinger, die als Tebaldo leider viel zu wenig Bühnenzeit hat, aber als Stimme vom Himmel glänzen kann.
Ausgezeichnet kraftvoll singt außerdem der Chor, der von Sierd Quarré hervorragend einstudiert wurde und als spanischer Hofstaat genauso wie als rebellierendes Volk zu begeistern vermag. So bleibt dieser „Don Carlo“ am Ende ein inszenatorisch mit unbeantworteten Fragen behafteter, aber musikalisch wertvoller Opernabend. Da capo al fine!
Text: Dominik Lapp