Engagierte Semiprofis: „Dracula“ in Münster
Immer häufiger wagen sich semiprofessionelle Ensembles an Musicals, die von den großen Musicalproduzenten nicht oder nicht mehr beachtet werden. So auch das Freie Musical-Ensemble Münster, das in der einem Konzertsaal ähnelnden Aula der Waldorfschule in Münster die Deutschlandpremiere von Frank Wildhorns “Dracula“ spielt.
Was die Semiprofessionellen dort auf die Beine stellen, ist mehr als beachtlich. Schon das sehenswerte detaillierte Bühnenbild (Andreas Strothmann, Stephan Gröger, Rainer Budweg), das die gesamte Bühnenbreite ausfüllt, braucht einen Vergleich mit Profiproduktionen nicht zu scheuen. Vom Schloss des Grafen Dracula über eine Gruft und Irrenanstalt bis hin zum englischen Salon und einem Zugabteil gibt es zahlreiche Szenenwechsel. Ebenso prächtig und zeitgemäß sind aber auch die Kostüme von Canan Toksoy.
Doch der eigentliche Glanzpunkt der Inszenierung ist das mehr als 40-köpfige Orchester unter der Leitung von Ingo Budweg, der seinen Musikern ordentlich einheizt. Die jungen Musiker spielen mit dem nötigen Drive und bringen die Wildhorn-Partitur im satten Klanggewand rüber – und zwar wesentlich besser als man es in so mancher Musicalgroßproduktion gehört hat, wo teilweise nur noch acht bis zehn Musiker im Orchestergraben sitzen und Streicher beispielweise immer häufiger durch Keyboards ersetzt werden. Gelungen ist auch der Einfall, die Umbauphasen auf der Bühne musikalisch zu überbrücken, indem das Orchester den Song der jeweils letzten Szene noch einmal wiederholt, bis sich der Vorhang wieder öffnet und den Blick auf eine neue Szene freigibt. Allerdings erhöht sich dadurch auch die Spieldauer von zweieinhalb auf über drei Stunden.
Bei der Darstellerriege wechseln sich exzellente Stimmen mit etwas schwächeren ab. Doch gilt bei solch einer semiprofessionellen Produktion vor allem der Spaß an der Sache – und diesen haben alle Mitwirkenden sichtlich. Besonders positiv hervorstechen können Julia Hansen als Mina Murray und Sarah Blauwitz als Lucy Westenra. Letztere stand in der besuchten Vorstellung sogar krank auf der Bühne, was man ihr jedoch in ihrem Schauspiel und dem tadellosen Gesang keineswegs anmerkte.
Julia Hansen meistert ihre Soli mit Bravour. Ihre klare und helle Stimme lässt den Zuschauer dabei glatt vergessen, dass es sich hier nicht um eine Profiproduktion handelt. Auch im Duett mit Adalbert Sznapka in der Rolle des Jonathan Harker überzeugt sie. Sznapka wirkt schauspielerisch zeitweise etwas hölzern, liefert gesanglich aber eine ordentliche Leistung ab.
Christian Hentschel hat als Dracula ein ordentliches Päckchen zu tragen. Der Gymnasiallehrer, der normalerweise die Fächer Mathematik und Biologie unterrichtet, trägt in seiner Rolle das ganze Stück. Er ist nicht nur in zahlreichen Szenen zu sehen, sondern hat auch etliche Songs zu singen. Schauspielerisch agiert er dabei äußerst solide und überzeugend. Es gelingt ihm, Dracula zunächst als blutrünstiges Monster und später als verzweifelte und nach Erlösung bettelnde Seele darzustellen. Gesanglich sitzen zwar nicht immer alle Töne, doch zeigt er im Rahmen seiner Möglichkeiten immer vollen Stimmeinsatz.
Als in eine Zelle gesperrter Irrer, der mit Dracula kommunizieren kann, gelingt Carsten Jaehner eine glaubwürdige Darstellung des Renfields. Schauspielerisch überzeugt er hier genauso wie im Gesang. Einzig Steffen Keul als Abraham van Helsing bleibt relativ blass, und zwar schauspielerisch genauso wie stimmlich.
Das einzige Problem bei “Dracula“ ist das Buch von Don Black und Christopher Hampton, was natürlich nicht dem Freien Musical-Ensemble Münster anzulasten ist. Doch gestaltet sich die Handlung buchbedingt sehr langatmig. Black und Hampton halten sich mit viel zu vielen Unwichtigkeiten auf, die Streichung etlicher Szenen würde hier viel mehr Tempo in die Handlung bringen. Letztendlich wird die Langatmigkeit des Buches auch durch die Musik von Frank Wildhorn teilweise noch unterstützt, in dem gerade zum Finale des zweiten Akts noch eine schnulzige Ballade auf die nächste folgt, die die Handlung überhaupt nicht voranbringen, sondern eher zum Stillstand zwingen. Da verwundert es nicht, dass sich “Dracula“ am Broadway als Flop erwies. Denn schon damals wurde häufig das schwache Buch kritisiert.
Was in Münster für einen Eintrittspreis von 20 Euro geboten wird, ist insgesamt betrachtet aber wirklich erstaunlich. Das großartige Orchester, die sehenswerte Ausstattung und die Spielfreude der Darsteller machen den Besuch lohnenswert. Wer sich für Vampirthemen interessiert, die Musik Frank Wildhorns nicht zu schnulzig findet (wobei es bei “Dracula“ auch einige rockige Songs zu hören gibt) und seine Erwartungen nicht allzu hoch schraubt, wird vom Freien Musical-Ensemble Münster gut unterhalten. Die nächste Musicalproduktion dieses Ensembles, das in den vergangenen Jahren schon Stücke wie “Titanic“ und “Scrooge“ gespielt hat, darf mit Spannung erwartet werden.
Text: Dominik Lapp