„Einstein - A Matter of Time“ in St. Gallen (Foto: Donato Caspari)
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Musikalisch stark, erzählerisch schwach: „Einstein – A Matter of Time“ in St. Gallen

Das Theater St. Gallen wagt sich mit der Uraufführung des Musicals „Einstein – A Matter of Time“ an eine der faszinierendsten Persönlichkeiten der Wissenschaftsgeschichte. Mit der Musik von Frank Wildhorn, einem Buch von Gil Mehmert und Songtexten von Frank Ramond versucht das Stück, Einsteins Leben in ein Musical zu verwandeln – ein ambitioniertes Unterfangen, das jedoch dramaturgisch nicht ganz aufgeht. Dabei waren die Erwartungen insbesondere an das Duo Mehmert/Ramond hoch, das schließlich mit „Goethe!“ eines der besten deutschen Musicals der letzten Jahre abgeliefert hat.

Die Handlung beginnt 1933 mit Einsteins Flucht vor den Nationalsozialisten aus Europa und entfaltet sich über zahlreiche Rückblenden: von den Studienjahren in Zürich über wissenschaftliche Durchbrüche in Bern bis hin zu Episoden in Prag und Berlin. Trotz – oder gerade wegen – dieser breit angelegten Erzählung bleibt das Buch das größte Manko des Musicals.

Regisseur Gil Mehmert setzt auf eine Inszenierung, die mit fließenden Übergängen punktet. Doch die Zeitsprünge wirken sprunghaft, emotionale Tiefe entsteht kaum, die Figuren bleiben oft eindimensional. Die Beziehung zu Mileva Marić wird angedeutet, aber nicht wirklich ergründet, während Einsteins wissenschaftliche Errungenschaften mehr als Schlaglichter erscheinen denn als dramaturgischer Motor der Geschichte.

Viele Schauplätze werden eröffnet, aber nicht konsequent genutzt, so dass sich die Inszenierung oft verliert, wenn auch das von Christopher Barreca gestaltete Bühnenbild mit wandelbaren Schultafeln, Videoprojektionen von Austin Switser und dem Lichtdesign von Michael Grundner optisch reizvolle Momente bietet. Genial außerdem: Einsteins Geige wird zum zentralen Element, das ihn von Szene zu Szene begleitet.

„Einstein - A Matter of Time“ in St. Gallen (Foto: Ludwig Olah)

Frank Wildhorns Handschrift ist unverkennbar: Seine Musik ist mitreißend und melodiös, oft voller Dramatik und großer Emotionen. Das Sinfonieorchester St. Gallen unter der Leitung von Koen Schoots liefert eine kraftvolle musikalische Begleitung und sorgt für ein exzellentes Klangbild. Auch wenn die Liedtexte von Frank Ramond nicht immer tiefgehend sind, bleibt die Musik das stärkste Element des Abends. Einzelne Songs entwickeln sich zu echten Höhepunkten und geben den Figuren musikalische Strahlkraft.

David Jakobs als Albert Einstein zeigt eine eindringliche Präsenz und überzeugt gesanglich mit großer Wandlungsfähigkeit. Katia Bischoff als Mileva Marić verleiht ihrer Rolle emotionale Tiefe und bringt eine beeindruckende Intensität in ihre Szenen. Jan-Philipp Rekeszus als Prof. Lenard gibt einen eindrucksvollen Antagonisten, während Elise Doorn als Clara Haber mit starker Stimme begeistert. Besonders Livio Cecini als Prof. Weber setzt mit einem rhythmisch anspruchsvollen Song ein markantes Zeichen. Die Darstellerinnen und Darsteller holen das Beste aus ihren Rollen heraus – auch wenn das Buch ihnen wenig Raum zur Entfaltung gibt.

Melissa Kings Choreografien fügen sich nahtlos in die Handlung ein und dienen als erzählerisches Element. Besonders der tänzerische Briefwechsel zwischen Einstein und Mileva setzt einen starken Akzent. Die Kostüme von Claudio Pohle sind zeittypisch, elegant und unterstreichen die Figuren sehr gut.

„Einstein – A Matter of Time“ beeindruckt mit einer großartigen Besetzung, einer starken musikalischen Umsetzung und einem kreativen Bühnenbild. Doch das schwache Buch verhindert, dass das Musical die volle emotionale Kraft entfaltet. Wer sich von der Musik und der Cast mitreißen lassen möchte, wird aber definitiv nicht enttäuscht.

Text: Christoph Doerner

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Nach seinem Studium der Musiktheaterwissenschaft, einem Volontariat sowie mehreren journalistischen Stationen im In- und Ausland, ist Christoph Doerner seit einigen Jahren als freier Journalist, Texter und Berater tätig.