„Elisabeth“ auf Tour (Foto: Katharina Karsunke)
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Gelungenes Rendezvous mit dem Tod: „Elisabeth“ auf Tour

Das Musical „Elisabeth“ von Michael Kunze (Buch und Songtexte) und Sylvester Levay (Musik) gilt seit mehr als 30 Jahren als eines der erfolgreichsten deutschsprachigen Musicals und hat den Vereinigten Bühnen Wien einen weltweiten Siegeszug sondergleichen beschert. Nachdem das Stück allerdings hierzulande nun doch fast zehn Jahre von der Bildfläche verschwunden war, wird es Zeit, die tragische Schicksalsgeschichte um die österreichische Kaiserin erneut aufleben zu lassen – und neu in Szene zu setzen. Doch ganz so unverbraucht ist die Version nicht, die jetzt in Zusammenarbeit mit Semmel Concerts Tourpremiere feierte: Es ist die erfolgreiche halbszenische Schönbrunn-Version aus den letzten Jahren, unter der Regie von Gil Mehmert (Musikalische Leitung: Bernd Steixner), die vor kurzem noch durch China tourte und dort reihenweise die Fanmassen begeisterte.

Autor Michael Kunze war es vor mehr als 30 Jahren ein Anliegen, die letzte Illusion der kitschigen Sissi zu beseitigen und im Musical die wahre Geschichte der österreichischen Kaiserin, mit Blick auf den Untergang des Habsburger Reiches, zu erzählen. Die Geschichte einer rastlosen, melancholischen, später zutiefst unglücklichen Frau, die stets mit dem Tod liebäugelt. Einer Frau, die man heute wahrscheinlich als emanzipiert bezeichnen würde, weil sie sich mit aller Macht gegen das Korsett auflehnt, in das der österreichische Hof sie zu zwängen versucht. Doch wird eine halbszenische gekürzte Fassung diesem Epos gerecht? Kann Elisabeths Rendevouz mit dem Tod gelingen?

Eines lässt sich mit Sicherheit sofort beantworten: Es bedarf keines großen Bühnenbildes und keiner massenhaft modernen Effekte, um dieses geschichtsträchtige, weltweit so erfolgreiche Musical aufleben zu lassen und gekonnt in Szene zu setzen. Die Bühne von Britta Tönne besteht aus einem Podest mit Treppenabgängen und einem großen illuminierten Rahmen in der Mitte, der mal als Bilderrahmen, mal als Schaukel, mal als Tür zu Elisabeths Gemächern verwendet wird. Das Orchester – immerhin knapp 20 Musikerinnen und Musiker – umrahmt dieses Geschehen.

Anders als in Schönbrunn hat man in Deutschland natürlich kein ehrwürdiges Schloss, vielmehr prägt eine riesige LED-Wand (Michael Balgavy) den Hintergrund, deren Applikation Elisabeths unbeschwerte Kindheit, den erdrückenden kaiserlichen Hof oder den Untergang des Habsburger Reiches verdeutlicht. Immer wieder sehr präsent ist der Fächer der Kaiserin. Dazu unterstreichen der äußerst geschickte Einsatz von Licht (Michael Grundner) und Ton (Thomas Strebel), Accessoires und die berühmten Kostüme von Yan Tax die vielschichtige, düstere, beinahe erdrückende Handlung. Mehr braucht es tatsächlich nicht, wenn auch je nach Theater und Bühnengröße auf dieser Tournee aus Platzgründen gar nicht mehr möglich sein dürfte.

Aber das gute Setting würde nicht funktionieren ohne eine starke Cast. Nachdem man 2023 in Schönbrunn die Rolle der Elisabeth in eine junge und eine alte aufgeteilt hatte, was man auch bei der kommenden Neuinszenierung in den Niederlanden tun wird, setzt man in Deutschland weiterhin auf eine Darstellerin, die die komplexe Bandbreite des Charakters abdeckt.

Ohne Zweifel kann man sagen, dass Roberta Valentini, die bereits Erfahrung mit der Titelrolle hat, an ihrer Darstellung der Elisabeth enorm und beeindruckend gewachsen ist. Vom ersten Moment an besticht sie mit wunderbarer Präsenz, sehr ausdrucksstarkem Spiel und ihrer kraftvollen, zugleich berührenden Stimme. Gekonnt spannt sie den Bogen von der jungen, verspielten, freiheitsliebenden Elisabeth, die dem Dirigenten schon mal den Taktstock klauen kann, zur verzweifelten, todtraurigen, letztendlich verbitterten Frau, die mit „Ich gehör nur mir“ den Wendepunkt ihrer eigenen Storyline beschreitet. Mühelos gelingen Valentini die komplette schauspielerische Bandbreite und die herausfordernden, klassisch angehauchten Nummern ihrer Protagonistin.

Ist die Kaiserin selbstverständlich der unumstrittene Mittelpunkt, wird Luigi Lucheni (Riccardo Greco) als Erzähler die heimliche Hauptrolle zugesprochen. Alle Zügel in der Hand, lenkt er boshaft und verächtlich die Handlung. Michael Kunze war es ein Anliegen, Luchenis erstes Auftreten einem Glockenschlag gleichzusetzen, um auch die letzte kitschige Sissi-Romantik zu zerstören. Riccardo Greco als italienischer Anarchist und Mörder, ein Vertreter der Massen, mit Hass auf die Monarchie und die dazugehörigen Gesellschaftsstrukturen, lässt sich mit wenigen Worten als perfekte Besetzung beschreiben. Düster und zugleich herrlich spöttisch sowie sarkastisch im Schauspiel, erhält er nicht ohne Grund mit den größten Applaus des Abends. Ohne Mühen beherrscht Greco die Bühne und das Publikum. Fies und durchtrieben ist sein Spiel, rockig-dunkel sein Gesang.

„Elisabeth“ auf Tour (Foto: Zheng Tianran)

Der Tod als Dritter in diesem musikalischen Gespann ist sexy, verführerisch, mystisch und geheimnisvoll – angelehnt an den jungen Heinrich Heine und so, wie Elisabeth sich in ihren Träumen ausmalt: die Todessehnsucht in Person. Größtenteils präsent, umgarnt er sie wieder und wieder, ein Katz-und-Maus-Spiel, bis sie freiwillig zu ihm findet. Lukas Mayer tritt in große Fußstapfen und läutet eine frische Ära der Tod-Darsteller ein. Und doch mag man fast nicht glauben, dass er erst seit der kürzlichen Tournee durch China Teil der „Elisabeth“-Familie ist, spielt er den Part doch mit erstaunlicher Souveränität, Präzision und Fingerspitzengefühl, sowie stimmlich gekonnt und sehr sicher in den herausfordernden Tönen. Ebenfalls relativ neu ist Dennis Hupka als Rudolf. Wie gemacht für diesen Charakter, gelingt ihm der sensible, sanfte und feinfühlige Kronprinz äußerst beeindruckend und mitfühlend. Der Darsteller des kleinen Rudolfs (in der besuchten Vorstellung Jakov) lässt mit seiner klangvollen Stimme aufhorchen und vermittelt glaubhaft das Bild des kleinen Jungen, der bereits in frühester Kindheit in die Uniform gezwängt wurde, um auf seine Rolle als späterer Herrscher vorbereitet zu werden.

Dahinter fällt der Charakter des Franz Joseph immer ein wenig zurück, ist er doch eigentlich der rundum geschlagene Verlierer: einerseits der österreichische Kaiser, dessen Reich dem Untergang geweiht ist, und andererseits der unglücklich liebende Ehemann, dessen Frau es keine Sekunde am Hof aushält und ihn letztendlich vor die Wahl stellt – seine Mutter oder sie. Dennis Henschel füllt diese etwas blasse Rolle mit Bravour und begeistert vor allem im letzten großen Duett mit Roberta Valentini, als die gebrochenen Eheleute „wie zwei Boote in der Nacht“ nicht mehr zueinander finden. Franz Jospehs Mutter, Erzherzogin Sophie, galt als der „einzige Mann am Hofe“ und ist Elisabeths Antagonistin. Selbst auf den Thron verzichtet, sieht sie es als ihre Pflicht an, das Habsburger Reich vor dem Untergang zu bewahren, was sie mit aller Strenge, Härte und Disziplin durchzusetzen versucht. Ariane Swoboda gelingt mit durchdringender Stimme und beherrschendem Spiel eine eiserne Kaisermutter, die am Ende merklich, fast schon berührend altert und beweist, mit wie viel Tiefe diese Rolle gefüllt werden kann.

Elisabeths Eltern, Herzog Max in Bayern (Pieter Tredoux) und Ludovika (Janis van Dorsselear), stehen ihr gegenüber. Beide kreieren ihre kleinen Parts mit Wärme und Authentizität. Tredoux gelingt ein sympathischer, fürsorglicher, freiheitsliebender Vater, zu dem seine kleine Sisi aufschaut, und der all das verkörpert, was sie selbst am liebsten ausleben würde. Van Dorsselear, in der Doppelrolle von Ludovika und Frau Wolf, besticht mit ihrer klangschönen Stimme, vor allem als Frau Wolfs Damen im Salon die Herren der Gesellschaft, beziehungsweise deren Entsandten, erwarten. Hier ist es fast schade, dass diese Nummer in der konzertanten Version so wenig Raum erhält.

Unbedingt erwähnt werden muss neben der Hauptcast auch das spielfreudige, ausdrucksstarke Ensemble. Es umrahmt das Geschehen um die Solistinnen und Solisten gekonnt und beeindruckt mit Nummern wie „Milch“, „Die fröhliche Apokalypse“ oder „Alle tanzten mit dem Tod.“ Es ist besonders die Choreografie von Simon Eichenberger, die hier trotz der sehr begrenzten Bühnenverhältnisse zum Tragen kommen.

Auch mit einigen Verdichtungen verliert die halbszenische Fassung und Inszenierung von Gil Mehmert nichts an der Tiefe und Faszination der Originalversion. Der Mythos um die unglückliche österreichische Kaiserin ist nach wie vor ungebrochen. Musikalisch bleibt „Elisabeth“ ohnehin ein Meisterwerk. Die Verzahnung der klassischen, mystischen und rockigen Elemente sowie der Einsatz zahlreicher Reprisen machten das Stück zu einem Welterfolg und haben auch heute, mehr als 30 Jahre nach der Uraufführung, nichts an ihrer Faszination und Aktualität verloren.

Auch dass das Orchester auf der Bühne Platz nimmt und Teil des Geschehens ist, erweist sich als großer Gewinn in dieser Tourproduktion. Ratan Jhaveri dirigiert beschwingt und engagiert die komplexe Partitur Levays, immer die Musikerinnen und Musiker sowie das Geschehen auf der Bühne im Blick. Somit schafft er eine spürbare Einheit, die ohne Zweifel zum musikalischen Gesamterlebnis beiträgt.

Letztendlich ist „Elisabeth“ ein Musical, das dank seiner großartigen Musiknummern, seiner Tiefe und seiner Dramaturgie sehr gut halbszenisch überzeugt. Cast und Regie müssen somit vielleicht noch mehr Authentizität in Rollengestaltung und Personenführung legen, da diese ohne große Effekte bestehen müssen. Auch gilt es, nicht nur Hardcorefans, sondern ebenso Menschen mitzunehmen, die das Stück zum ersten Mal sehen und mit der Materie vielleicht nicht allzu vertraut sind. Eine Herausforderung, doch viel eher ein Geschenk, da somit der eigentlichen Handlung mehr Raum gegeben werden kann. Und ist das Ganze nicht viel spannender als jahrzehntelang die gleiche Inszenierung? Ist dieser frische Ansatz nicht genau richtig? Am Ende spricht der begeisterte Applaus für sich.

Text: Katharina Karsunke

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Katharina Karsunke ist Sozial- und Theaterpädagogin, hat jahrelang Theater gespielt, aber auch Kindertheaterstücke geschrieben und inszeniert. Ihre Liebe fürs Theater und ihre Leidenschaft fürs Schreiben kombiniert sie bei kulturfeder.de als Autorin.