Popcorn statt Biopic: „The Greatest Showman“ im Kino
Immer häufiger kommen Musicalfilme auf die große Leinwand und spätestens seit letztem Jahr ist das Hollywood-Musical wieder fester Bestandteil des Kinos, denn mit „La La Land“ war ein farbenprächtiger Musicalfilm zu sehen, der sich hervorragend als Hommage an das alte Hollywood mit seinen großen Musikfilmen versteht. Doch wem „La La Land“ zu öde war, dürfte mit „The Greatest Showman“, dem neuesten Musicalfilm aus der amerikanischen Traumfabrik, sicher besser bedient sein.
Man kann „The Greatest Showman“ zwar keine allzu tiefgründige Story bescheinigen und gewiss auch bemängeln, dass der im Fokus der Handlung stehende P. T. Barnum nur oberflächlich beleuchtet wird. Doch zielt der Film gar nicht darauf ab, ein historisch korrektes Abbild von Barnums Leben und Wirken zu zeigen. Vielmehr wird hier großartige Unterhaltung geboten – Popcorn statt Biopic. Dass der Hauptakteur, der als Begründer des Showbiz gilt, ein Mann mit vielen Gesichtern, ein durchtriebener Geschäftsmann mit vielen Geheimnissen war, wird lediglich angerissen. Und das ist okay, denn „The Greatest Showman“ erweist sich als unterhaltsamer Streifen, bei dem man einfach mal abschalten und die Bilder genießen darf.
Die Handlung basiert somit nur vage auf der Lebensgeschichte von P. T. Barnum, der in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs und deshalb den Traum hegt, seinen eigenen Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Nachdem er arbeitslos wird, erschwindelt er sich einen Bankkredit und kauft ein Kuriositätenkabinett, in dem er nach einigen Anlaufschwierigkeiten außergewöhnliche Menschen zeigt – eine Frau mit Bart, einen Riesen, einen Kleinwüchsigen, den dicksten Mann der Welt. Seine Show wird ein Kracher, ein echter Publikumsmagnet und Barnum wird immer größenwahnsinniger – doch das Schicksal nimmt seinen Lauf.
Regisseur Michael Gracey hat die Story in großartige Bilder gepackt. Durch perfekten Schnitt, wunderbare Kamerafahrten, äußerst sehenswerte Choreografien und die packende Musik ist ein stimmiges Gesamtkunstwerk entstanden – ein Mash-up von Vergangenheit und Gegenwart, das Barnum und dessen Geschichte von der Zeit befreit, in der er lebte. Mit seinem Spielfilmdebüt hat Michael Gracey eine universell gültige Welt erschaffen, in der sich Popkultur, Romantik und menschliche Befindlichkeiten die Waage halten. Dabei macht der Regisseur unmissverständlich klar, dass es hier nicht um stark herausgearbeitete Charaktere geht – die gibt es nämlich nicht. Immerzu im Vordergrund steht die Show. So beginnt der Film bereits mit einer überwältigenden Shownummer, in der Artisten, Feuer, sogar Löwen zu sehen sind, während die Cast rhythmisch zur Musik stampft.
Das farbenfrohe Getöse zieht sich beständig durch den gesamten Film, wird lediglich durch einige Dialogszenen aufgebrochen, bis der nächste Song beginnt. Zu den schönsten Momenten im Film gehören sicher die Sequenzen, in denen Hugh Jackman und Michelle Williams auf einem flachen Hausdach durch aufgehängte Bettlaken tanzen oder Zac Efron und Zendaya sich singend am Trapez durch die Luft schwingen. Doch auch Keala Settle setzt mit dem Song „This is me“, der völlig verdient mit einem Golden Globe Award ausgezeichnet wurde, einen weiteren Glanzpunkt. Es klingt fantastisch und wurde exzellent in Szene gesetzt, wie sie ihre Gruppe der Verstoßenen antreibt.
Ohnehin kann „The Greatest Showman“ mit einer starken Schauspielerriege aufwarten. Hugh Jackman ist perfekt als P. T. Barnum – wie er aussieht, wie er spielt und vor allem wie er singt. Den von seinen Träumen getriebenen Showman nimmt man ihm vollends ab, so glaubwürdig-souverän agiert er. Hinreißend an seiner Seite ist Michelle Williams als Charity Barnum, auch wenn sie neben Jackman manchmal etwas verblasst, was aber vor allem daran liegt, dass ihre Rolle nur am Rande des bunten Treibens platziert wurde. Dennoch wird deutlich, dass sie die starke Frau an der Seite ihres Mannes ist, die ihm den Rücken freihält, ihn bestärkt, all seine Fantastereien mitmacht und zusammen mit ihm seinen Traum träumt.
Zac Efron hat bereits in den drei „High School Musical“-Filmen bewiesen, dass er ein hervorragender Sänger ist. Mittlerweile ist seine Stimme gereift, was auch sehr gut zu seinem Äußeren passt. Aus dem Teenager mit dem Zahnpastalächeln ist ein stattlicher Schauspieler geworden, der sich hinter seinen Kollegen nicht zu verstecken braucht. In „The Greatest Showman“ gibt er als Phillip Carlyle den loyalen Assistenten von Barnum mit großer Sympathie. Und auch die US-Sängerin Zendaya ist als Trapezkünstlerin Anne Wheeler hinreißend – optisch eine Wucht und mit klarer Stimme singend, bildet sie mit Efron ein äquivalentes Paar.
Der schwedischen Opernsängerin Jenny Lind, die Barnum für eine Tournee nach Amerika holt, verleiht die wunderbare Rebecca Ferguson ein strahlendes Profil, darf ihrer Rolle aber nicht die Gesangsstimme leihen – diese kommt von Loren Allred, die die herrliche Ballade „Never enough“ stimmstark und absolut auf den Punkt darbietet. Bedingt durch die optische Präsenz von Ferguson und die gesangliche Glanzleistung von Allred wird der Zuschauer geradezu in den Kinosessel gedrückt – Gänsehautalarm!
Getragen werden die Story und die Schauspieler von der erstrangingen Musik aus der Feder von John Debney, Joseph Trapanese und dem Komponistenduo Benj Pasek und Justin Paul, deren Musical „Dear Evan Hansen“ aktuell großen Erfolg am Broadway feiert und die neben Lin-Manuel Miranda („Hamilton“) als große Hoffnung des amerikanischen Musicals gelten. Obwohl die Handlung von „The Greatest Showman“ im 19. Jahrhundert spielt, stehen die Songs von Pasek und Paul hart im Kontrast zum historischen Setting. Auf Wunsch des Regisseurs sind sie musikalisch nicht in die Vergangenheit gereist, sondern haben einen durchweg packenden und eingängigen Popscore komponiert, der absolut radiotauglich nach 2018 klingt und bei dem jeder Song sofort ins Ohr geht.
Da wechselt sich eine starke Shownummer wie „Greatest Show“ mit wunderschönen Balladen wie „A Million Dreams“ oder „Never enough“ ab, ergänzt von starken Up-tempo-Nummern wie „This is me“ oder „From now on“. Gerade letzterer Song baut sich großartig auf, nachdem Hugh Jackman leise reflektierend beginnt und dann die ganze Cast einsteigt, um den erst so ruhigen Song zu einer packenden Hymne zu entwickeln. Grandios!
Wer letztendlich hinter die Fassade des echten P. T. Barnum blicken möchte, ist mit Fachliteratur sicher besser bedient als mit dem Film „The Greatest Showman“. Wer aber für anderthalb Stunden abschalten und träumen, sich von richtig guter Musik, tollen Bildern und starken Choreografien in die Welt des Showbiz entführen lassen möchte, dürfte mit dem Streifen richtig gut bedient sein.
Text: Dominik Lapp