„Footloose“ in Ibbenbüren (Foto: Simon Grotemeier)
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Kleinstadtleben und große Gefühle: „Footloose“ in Ibbenbüren

Ren, der mit seiner Mutter von Chicago in die konservative Kleinstadt Bomont zieht, stößt auf Widerstand wegen eines Tanzverbots, gerät in Konflikt mit Reverend Moore, verliebt sich in dessen Tochter Ariel und versucht schließlich mit Unterstützung von Freunden, die Stadtbewohner umzustimmen und einen Tanzabend zu organisieren. Wer allerdings eine bloße Aneinanderreihung von Hits und Tanznummern erwartet, wird überrascht sein, dass das Musical „Footloose“ auch ernste Themen wie den Umgang mit Trauer behandelt.

Basierend auf einer wahren Begebenheit, wurde die Geschichte 1984 mit Kevin Bacon in der Hauptrolle verfilmt, bevor die Bühnenfassung von „Footloose“ 1998 am Broadway Premiere feierte (Buch und Gesangstexte: Dean Pitchford und Walter Bobbie). Die mitreißenden, von Tom Snow und Co-Autoren wie Jim Steinman, Eric Carmen und Sammy Hagar komponierten Pop- und Rocksongs wurden für den Soundtrack zum Film von Stars wie Bonnie Tyler, Kenny Loggins und Shalamar eingesungen. Die Amateurgruppe des Quasi So Theaters zeigt das Musical nun in einer unterhaltsamen Inszenierung, die mit einfachen Mitteln die Handlung gut umgesetzt, in der Schauburg Ibbenbüren.

Aus drei Teilen besteht das Bühnenbild von Imke Strothmann, Markus Dillhoff und Rebecca Maschke: Links eine Kirchenfassade aus weißem Backstein mit Buntglasfenster, davor Holzbänke, auf denen die Kirchgänger in dunkelroten Kutten Platz nehmen, in der Mitte drei Mauerbögen aus rotem Backstein mit einem Geländer darüber – die Eisenbahnbrücke – und rechts daneben zwei weiße Häuserfronten, die vordere der beiden mit aufklappbaren Türen, die den Blick ins Haus freigeben. Hier spielen sich alle Innenszenen ab und der Raum wird, je nach Bestückung der Regale, zum Esszimmer der Moores oder zu einer Sitzecke im Diner „Burger Blast“. Weitere Örtlichkeiten werden oft nur durch ausgetauschte Schilder angedeutet, wie etwa „Bomont High“ für den Schulhof und die Turnhalle oder „Bar-B-Que“ mit einem Büffelschädel darunter für das Tanzlokal. Besonders schön anzusehen ist die Kulisse, wenn Ariel und Ren oben auf der Eisenbahnbrücke „Wie im Wunderland“ singen, dazu Sterne im Hintergrund und bunte Lichtmotive wie Graffitis an der Wand leuchten, während sich über ihnen glitzernd die Discokugel dreht.

Belebt werden die Szenen durch die passend auf die jeweiligen Rollen zugeschnittenen Kostüme von Ute Stöttner. Ren trägt ein lässiges, weißes Hardrock-Café-Shirt, Jeans und Turnschuhe, während Willard mit kariertem Holzfällerhemd, Latzhose und Cowboyhut, den er nur in der Kirche absetzt, den typischen Country Boy mimt. Chuck dagegen ist der harte Rocker mit Iron-Maiden-Shirt, langen Haaren, Lederjacke, Westernstiefeln, schwarzem Cowboyhut und silbernem Zigarettenetui. Ariel trägt auffällige rote Stiefel, enge Jeans und eine Fransenjacke. Ihre Freundinnen sind dagegen eher brav wie Schulmädchen gekleidet mit Faltenröcken, weißen Strümpfen und bunten Haarbändern. Besonders originell sind die Wonder-Woman-Kostüme der Mädchen für „Holding out for a Hero“, bevor sie aus ihrem Tagtraum erwachen und im Handumdrehen wieder in Alltagskleidung im „Burger Blast“ sitzen. Den schillerndsten Auftritt hat Cowboy Bob als Leadsänger der Band im „Bar-B-Que“, wenn sein komplett rotes Outfit mit silbernen Stiefeln und Glitzerhut im Dunklen zusätzlich noch von roten Lämpchen beleuchtet wird.

Das Quasi So Theater zeigt „Footloose“ in einer deutschen Fassung von Hauke Jensen von 2019, die bekannte Zeilen der Songtexte im englischen Original belässt. Die Musik kommt vom Band und das recht leise, so dass sie mitunter eher den Charakter einer Hintergrundbegleitung hat. Den teils rockigen Songs mangelt es somit etwas an Power und man hat den Eindruck, die Mitwirkenden müssen sich manchmal stimmlich zurücknehmen, damit man das Playback noch hört. 

Die Choreografien von Christina König und Johanna Kalisch überfordern die Darstellerinnen und Darsteller nicht, was ihnen die Möglichkeit gibt, sich besser auf den Gesang zu konzentrieren. Elemente aus Country- und Westerntänzen wie Jitterbug, Two Step und Line Dance sind erkennbar. Mal wird mit Daumen in den Hosentaschen getanzt, mal ein imaginäres Lasso über dem Kopf geschwungen. Häufiger friert eine Tanzszene kurz ein, während vorne am Bühnenrand ein Dialog gesprochen oder ein Solo gesungen wird (Regie: Simon Grotemeier, Manuel Jahnke).

Silas Landwehr stellt Ren McCormack als modernen Großstadtjungen dar, der im Vergleich zu seinen Mitschülern vom Land lockerer und aufgeschlossener ist, dabei aber nicht überheblich, sondern freundlich und bemüht, mit jedem gut auszukommen. So nimmt man ihm auch ab, dass er zunächst frustriert ist, weil ihm alle zu unrecht die Schuld zuschieben, dann aber neuen Mut fasst und für seine Ideale kämpft. Gesanglich könnte er in seinen Solonummern wie „Ich dreh’ gleich ab“ und „Befreit“ noch mehr geben, im Duett mit Ariel bei „Wie im Wunderland“ sind die Stimmen der beiden aber dynamisch gut aufeinander abgestimmt.

Colleen Menger überzeugt als Ariel Moore nicht nur durch ihr natürliches Schauspiel, sondern auch mit Energie und Ausdruck durch ihre kräftige Stimme, vor allem bei „Holding out for a Hero“. Ariels freiheitsliebende, risikobereite und rebellische Art, vor allem ihrem Vater gegenüber, stellt sie glaubhaft dar und wirkt dadurch älter und selbstbewusster als ihre Freundinnen. Sie weiß, was sie will und wie sie es bekommt, eigentlich ist das aber nur ihre Art, den Tod ihres Bruders zu verarbeiten.

Patrick Elsners Willard Hewitt ist das komplette Gegenteil von Ren: ein typisches Landei, Muttersöhnchen, etwas begriffsstutzig, vor allem wenn es um Rusty geht, etwas träge und der Erste, der in der Kirche einschläft, dabei aber ein guter Kumpel, loyal und hilfsbereit. Wenn er bei „Mama sagt“ spaßeshalber die ersten Töne „verhaut“, sind schon alle genervt, aber der Song endet in einem lustigen Encore mit Jazzhands und Kickline.

Kai Bornemann behandelt als selbstgefälliger und gewaltbereiter Rocker Chuck Cranston alle wie seine Untertanen. Wenn es nicht nach seinem Willen geht, wird er aggressiv. Dass er schon mehrfach straffällig geworden ist, wundert einen da nicht. „Die Kleine ist heiß“ singt er mit rockiger, leicht heiserer Stimme.

Leonie Hoges Rusty ist gesellig, gerne mit anderen zusammen und redet sehr schnell, wenn sie aufgeregt ist, was sie zusätzlich sympathisch macht. Für Willard ist sie eine treue Freundin und verteidigt ihn herzerwärmend vor den anderen. Bei „Applaus für meinen Boy“ überrascht sie mit einer agilen Stimme und trifft mühelos auch die ganz hohen Töne.

Rusty, Wendy Jo und Urleen sind ein untrennbares Freundinnen-Trio und bilden gemeinsam eine Art Chor der griechischen Tragödie, der mit „Jemand schaut zu“ die Szene kommentiert, wobei ihre Stimmen auch mehrstimmig gut miteinander harmonieren. Lena Hummels Wendy Jo wirkt etwas verträumt und zerstreut und trägt ihre roten Haarschleifen sogar im Sportunterricht. Mit ihrer lustigen Mimik beweist sie komödiantisches Talent. Laura Garmanns Urleen ist immer etwas genervt und gelangweilt wie ein typischer Teenie im Entwicklungsalter.

Sebastian Horstmann stellt Reverend Shaw Moore als verbissenen, verblendeten Verfechter der Moral dar, der auch von anderen die Opfer verlangt, die er sich selbst auferlegt hat. Das gelingt ihm durch seine mitreißenden Predigten und seine große Überzeugungskraft. Den Song „Himmel, hilf mir“ interpretiert er ganz eigen und erhebt seine Stimme weniger in Verzweiflung, eher wütend oder fast wahnhaft. Im Grunde will er die Jugendlichen nur vor den Gefahren beschützen, die seinen Sohn das Leben gekostet haben, geht dabei aber zu weit und nimmt ihnen durch das Verbot von Tanz und Unterhaltungsmusik jeglichen Spaß am Sein, was er erst spät erkennt.

Kathrin Borchelt ist als seine Frau Vi Moore diejenige, der es gelingt, ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen. Sie ist entschieden und beharrlich, wenn es sein muss auch energisch, weniger sanft und zurückhaltend wie man es sonst von der Rolle kennt. Sie mischt sich nicht in das Leben ihrer Tochter ein, lässt sie ihre eigenen Erfahrungen machen und zeigt als Einzige im Ort Verständnis für die Jugendlichen. Mit „Hör nur einmal auf dein Herz“ schlägt sie sanftere Töne an und es gelingt ihr auch stimmlich, Emotionen zu übermitteln.

Eine fürsorgliche Mutter ist auch Eva Truschinskys Ethel McCormack, die immer ein offenes Ohr für Ren hat und ihm wertvollen Rat gibt. In „Lieber will ich schweigen“ singt sie mit Vi und Ariel über bewusste Enthaltung, jede aus ihrem eigenen Grund, und regt damit zum Nachdenken an.

Im Ensemble haben alle mehrere kleine Rollen, so treten Alani Siemon und Marie Johannemann einmal als Chucks Freunde Travis und Sarah und später als Willards Kumpanen Sam und Abigail auf. Patrick Leufkens ist nicht nur Rens Onkel Wes Warnicker, sondern verpasst ihm als Polizist auch ein Strafmandat. Philipp Elsner leitet als Coach Dunbar den Sportunterricht an der „Bomont High“ und hat als Cowboy Bob mit „Still Rockin’“ einen Solosong in der „Bar-B-Que“. Lisa Sellmeier überzeugt trotz ihres jungen Alters durch autoritäres und bestimmtes Auftreten als strenge Schulleiterin Harriet Clarke, während sie als Betty Blast, der Chefin vom „Burger Blast“, auf Rollschuhen ihre komische Seite zeigen kann.

Ein Blick ins Programmheft verrät, dass alle Mitwirkenden ebenfalls größere Aufgaben hinter der Bühne übernommen haben, und zeigt, wie viel Arbeit eine Amateurproduktion auch in der Vorbereitung bedeutet. Dem einen oder anderen merkt man die Konzentration auf der Bühne an, die Intonation ist hier und da etwas wacklig, dennoch springt der Funke über und man nimmt im gesamten Ensemble  Motivation und Spielfreude wahr, was den Besuch in der Schauburg zu einem nahezu runden Erlebnis und „Footloose“ in Ibbenbüren zu einer Produktion macht, die man sich gut anschauen kann.

Text: Yvonne Drescher

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Yvonne Drescher ist studierte Musik-, Sprach- und Literaturwissenschaftlerin sowie Kulturmanagerin. Während ihres Studiums hat sie als freie Mitarbeiterin im Kulturbereich für Magazine und Zeitungen geschrieben und anschließend in der PR-Abteilung eines Tourneeveranstalters gearbeitet. Als Laiendarstellerin, Musikerin oder Regieassistentin war sie selbst schon an zahlreichen Musiktheaterproduktionen beteiligt.