Zotige Horror-Persiflage: „Frankenstein Junior“ in Bonn
Mel Brooks ist ein Meister der Komödie. Das hat er nicht nur als Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor bewiesen, sondern auch als Musicalkomponist und -librettist. Während sein 2001 uraufgeführtes Erstlingswerk „The Producers“ immer häufiger auf deutschsprachigen Bühnen zu erleben ist, bekommt man „Young Frankenstein“, sein zweites Musical aus dem Jahr 2007, eher selten zu sehen. Am Opernhaus Bonn hat das Stück unter dem deutschen Titel „Frankenstein Junior“ jetzt in einer kurzweilige-schrägen Inszenierung von Jens Kerbel Premiere gefeiert.
In seiner Horror-Persiflage, basierend auf dem gleichnamigen Film von 1974, erzählt Brooks die Geschichte von Victor Frankensteins Enkel, der sich von seiner Familie durch die Aussprache seines Namens als Fronkensteen distanziert. Nach dem Tod des Großvaters reist er nach Transsilvanien, um das Familiengut zu übernehmen und dort sein Interesse zu entdecken, Verstorbene wieder zum Leben zu erwecken.
Jens Kerbels Inszenierung strotz nur so vor Klischees und es wird schnell deutlich, dass der Brooks’sche Humor, der bei der Uraufführung funktioniert hat und sicher nicht hinterfragt wurde, in unserer heutigen Gesellschaft sicher nicht mehr so unproblematisch betrachtet wird wie noch vor 16 Jahren. Spaß haben kann und darf man bei diesem sexistischen „Frankenstein Junior“ trotzdem – schließlich handelt es sich um Kunst.
Bei den Charakteren auf der Bühne wird tief in die Klischeekiste gegriffen. So ist Assistentin Inga ein jodelndes, steppendes und sexgieriges Blondchen, das hinter seiner Fassade eine charismatische junge Frau verbirgt und von Kara Kemeny exzellent durch feines Schauspiel und kraftvollen Gesang gestaltet wird – definitiv die Entdeckung des Abends!
Einen erfrischenden Kontrast dazu stellt Daniela Ziegler als gouvernantenhaft strenge Haushälterin Frau Blücher dar, die gesanglich in den tiefen Lagen überzeugt. Alle Register seines Könnens zieht zudem Michael Heller als Igor. So glänzt er genauso schauspielerisch wie gesanglich und tänzerisch, ist mal unsicher-devot, dann wieder ganz selbstbewusst. Mit exzellenter Mimik und ausdrucksstarker Körpersprache punktet er und ist neben Kara Kemeny die zweite Entdeckung des Abends.
Mathias Schlung steht seinen starken Kolleginnen und Kollegen selbstverständlich in nichts nach. Als Frederick Frankenstein – pardon, Fronkensteen – bewältigt er ein riesiges Pensum, spielt, singt und tanzt hervorragend, begeistert durch Vielseitigkeit sowie Ausdruck und bringt mit „Fronkensteen, es heißt Fronkensteen“ den größten Running Gag des Stücks (neben wiehernden Pferden, die immerzu auf den Namen der Haushälterin reagieren).
Seine Verlobte Elizabeth wird herrlich hochnäsig und überkandidelt von Carina Sandhaus dargestellt, die später mit dem extrem potenten Monster durchbrennt, das von Ethan Freeman gespielt wird. Optisch erinnert Freeman in der Rolle an Edward Hyde, doch bietet ihm Frankensteins Monster keine solch großen Auftrittsmöglichkeiten. Er spielt wie gewohnt ausgezeichnet, singt erstklassig und zeigt zudem noch tänzerische und komödiantische Qualitäten. Doch einem Künstler seines Formats wünscht man eigentlich einen größeren Part. Nichtsdestotrotz holt er das Optimum aus der recht kleinen Figur. In weiteren kleinen Rollen können Hans-Jürgen Schatz als Inspektor Kemp und besonders als blinder Eremit sowie Nico Hartwig als Geist von Victor Frankenstein überzeugen.
Ein echter Hingucker ist das aufwändige Bühnenbild von Momme Hinrichs, das sich dank Hubpodien über mehrere Ebenen erstreckt. Das Innere des transsilvanischen Schlosses ist dabei ein Höhepunkt. Wenn hinter einem Bücherregal ein Geheimgang offengelegt wird, fährt die Bühne in die Höhe und gibt den Blick frei auf das unterirdische Frankenstein-Labor, das sehr detailverliebt mit Totenköpfen, allerhand Tinkturen, Büchern und wissenschaftlichen Geräten sowie Hilfsmitteln ausgestattet ist. Auch das Verlies des Monsters, die Hütte des Eremiten oder ein Schiffsableger wurden wunderbar visualisiert.
Durch das passende Lichtdesign von Max Karbe entsteht Horror-Atmosphäre, die auf mehrere Gaze-Vorhänge projizierten Videos von Judith Selenko sorgen für einen 3D-Effekt und lassen das Publikum noch tiefer in die Story eintauchen. Sehenswert sind darüber hinaus die gelungenen Kostüme von Verena Polkowski und die dynamische Choreografie von Sabine Arthold – besonders bei „Puttin‘ on the Ritz“, wenn das gesamte Ensemble steppt.
Der von Irving Berlin geschriebene Jazz-Standard ist sogleich die einzige musikalische Nummer, die im Gedächtnis bleibt. Zwar hat Mel Brooks durchaus hörenswerte Melodien im klassischen Broadway-Sound im Stile von Porter oder Gershwin komponiert, doch reichen sie nicht an die Qualität von „The Producers“. Das Orchester unter dem flotten Dirigat von Jürgen Grimm macht seine Sache allerdings sehr gut und liefert einen großartigen Klangteppich.
Neben der Musik lebt „Frankenstein Junior“ als zotige Horror-Persiflage von skurrilen Charakteren, zahlreichen Fettnäpfchen, Klischees und Pointen, die Mel Brooks (Musik und Songtexte) und Thomas Meehan (Buch) erdacht haben und ebenso in der deutschen Übersetzung von Frank Thannhäuser und Iris Schumacher bestens funktionieren.
Text: Dominik Lapp