„Der Freischütz“ in Bregenz (Foto: Anja Köhler)
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Radikale Neuinterpretation: „Der Freischütz“ in Bregenz

Die diesjährige Inszenierung von Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele ist weniger eine klassische Aufführung der romantischen Oper als vielmehr eine radikale Neuinterpretation. Regisseur Philipp Stölzl (Film „Goethe!“), bekannt für seine innovativen Ansätze, hat das Werk von zweieinhalb auf zwei Stunden gekürzt und verzichtet auf eine Pause. Dabei hat er Handlung, Rollen und Texte maßgeblich verändert. So ist Max, der ursprünglich als Jäger bekannt ist, in Stölzls Version ein Amtsschreiber. Das Ergebnis ist ein spannendes, wenn auch kontroverses Werk, das Elemente von Webers Oper aufgreift und in ein neues, eigenständiges Kunstwerk transformiert.

Die Handlung spielt nach dem Dreißigjährigen Krieg und wird durch das Hinzufügen einer Flutkatastrophe erweitert. Das winterliche Bühnenbild, das an das Dorf Hogsmeade aus den „Harry Potter“-Filmen erinnert, ist beeindruckend gestaltet: Eisschollen treiben im Vordergrund auf dem See, ein teilweise versunkenes Haus ragt rechts aus dem Wasser, links durchbricht ein Kirchturm die Wasseroberfläche. Im Hintergrund dominieren weitere Häuser, kahle Bäume und eine Wassermühle die Szenerie. Besonders spektakulär ist zudem eine feuerspeiende Riesenschlange. Diese visuelle Pracht, gekrönt von einem Mond, zieht das Publikum sofort in ihren Bann, ist aber – berücksichtigt man das, was einige Zuschauerinnen und Zuschauer im Netz über die Inszenierung schreiben – für manche auch zu viel des Guten.

Obwohl der Fokus dieser Inszenierung ganz klar auf dem Szenischen liegt, kommt die musikalische Darbietung dennoch nicht zu kurz. Unter der Musikalischen Leitung von Enrique Mazzola liefern die Wiener Symphoniker sowie der Bregenzer Festspielchor und der Prager Philharmonische Chor eine herausragende Performance ab. Mazzola, der für seine präzise und einfühlsame Dirigierweise bekannt ist, bringt die orchestrale Vielfalt Webers zum Strahlen und sorgt für einen dynamischen und ausdrucksstarken Klangteppich, der die dramatischen Entwicklungen auf der Bühne perfekt untermalt.

Die Besetzung überzeugt durchweg: Mauro Peter als Max beeindruckt mit seiner kraftvollen Tenorstimme, die sowohl die Unsicherheit als auch die innere Zerrissenheit seiner Figur überzeugend zum Ausdruck bringt. Sein Spiel ist durchdrungen von Emotionen, die durch seine vokale Brillanz noch verstärkt werden. Christof Fischesser als Kaspar liefert eine beeindruckende Darbietung, die durch seinen tiefen, resonanten Bass und seine bedrohliche Bühnenpräsenz geprägt ist. Fischesser gelingt es, die dunklen Facetten seiner Figur intensiv zu vermitteln, wodurch Kaspar als schillernder Antagonist hervorsticht.

Nikola Hillebrand als Agathe besticht mit ihrer lyrischen Sopranstimme, die mühelos zwischen zarten, gefühlvollen Momenten und kraftvollen Ausbrüchen wechselt. Ihre Interpretation der Agathe ist sowohl zerbrechlich als auch stark, und sie verleiht der Figur eine beeindruckende Tiefe. Katharina Ruckgaber als Ännchen bringt Frische und Leichtigkeit in die Aufführung. Ihr klarer Sopran und ihre charmante Bühnenpräsenz machen sie zu einem weiteren Highlight der Inszenierung.

Liviu Holender als Ottokar und Franz Hawlata als Kuno fügen der Inszenierung weitere Schichten hinzu, indem sie ihre Rollen mit stimmlicher Präzision und darstellerischer Kraft füllen. Beide bringen eine beeindruckende Darstellungskraft und musikalische Reife mit, die ihre Charaktere glaubwürdig und lebendig erscheinen lassen.

Philipp Stölzls Regie und Bühnenbild, in Zusammenarbeit mit den sehenswerten Kostümen von Gesine Völlm und dem Lichtdesign von Stölzl und Florian Schmitt, schaffen eine dichte, atmosphärische Welt, die von Anfang bis Ende fesselt. Die erneute Zusammenarbeit des Regisseurs mit Enrique Mazzola nach ihrem Erfolg mit Verdis „Rigoletto“ in Bregenz hat sich als fruchtbar erwiesen. Sie zeigt, dass auch eine traditionelle Oper wie „Der Freischütz“ durch innovative Ansätze und kreative Neugestaltungen zu neuem Leben erweckt werden kann.

Zusammenfassend ist diese Inszenierung ein faszinierendes Erlebnis, das mit seiner szenischen Opulenz und musikalischen Qualität überzeugt. Sie ist ein Muss für aufgeschlossene Opernfans und kann auch durchaus ein spannender Einstieg für Neulinge sein, die sich auf etwas Außergewöhnliches einlassen und ein für sie neues Genre entdecken möchten.

Text: Christoph Doerner

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Nach seinem Studium der Musiktheaterwissenschaft, einem Volontariat sowie mehreren journalistischen Stationen im In- und Ausland, ist Christoph Doerner seit einigen Jahren als freier Journalist, Texter und Berater tätig.