Unterhaltsame Geschichtsstunde: „Friedrich – Mythos und Tragödie“ in Potsdam
Jetzt hat er also auch sein eigenes Musical, der Alte Fritz. Nachdem schon historischen Persönlichkeiten wie der österreichischen Kaiserin Elisabeth oder dem Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart Musicals gewidmet wurden, ist in Potsdam mit „Friedrich – Mythos und Tragödie“ nun ein Musical uraufgeführt worden, in dem das Leben und Wirken von Friedrich dem Großen thematisiert wird – pünktlich zum 300. Geburtstag des Preußenkönigs.
Obwohl es sich um eine historische Persönlichkeit handelt, erzählen die Autoren Wolfgang Adenberg, Marc Schubring, Dennis Martin und Christoph Jilo in ihrem Bühnenstück die Geschichte des preußischen Königs nicht eins zu eins. Im Gegenteil: In ihrem Musical haben die Autoren Wirklichkeit und Fiktion miteinander verwoben. So werden wahre Teile aus Friedrichs Leben durch rein fiktive Elemente ergänzt, wie beispielsweise mit einer frei erfundenen Liebesgeschichte zwischen Friedrichs Schwester Wilhelmine und seinem Vertrauten Hans Hermann von Katte.
Dies ist gleichzeitig auch der einzige Schwachpunkt des Stücks. Natürlich erhebt ein Musical nicht den Anspruch, ein Geschichtsstudium zu ersetzen oder eine Geschichte historisch völlig korrekt zu erzählen. Ein Musical möchte unterhalten, und Unterhaltung bietet „Friedrich – Mythos und Tragödie“ auf jeden Fall. Doch die Handlung springt teilweise sehr stark, wichtige Stationen in Friedrichs Leben werden ausgelassen und auch das Ende kommt recht abrupt.
Regisseur Holger Hauer gelingt es aber, nicht nur das Äußere des Preußenkönigs zu zeigen, sondern dem Publikum auch einen winzigen Einblick hinter die Fassade Friedrichs und damit einen Einblick in dessen Psyche zu gewähren. Interessant ist die Handlung besonders, weil sie in Rückblicken erzählt wird. So beginnt das Stück mit der Schlacht bei Roßbach, bei der Friedrich über die Franzosen siegte. Ein weiterer Rückblick zeigt Friedrich als Kind, dann als Kronprinz. Immer wieder ist es der Alte Fritz, der Stationen seines Lebens kommentiert, seinem Biografen diktiert oder mit dem toten Hans Hermann von Katte die Hintergründe für dieses und jenes Handeln erörtert.
Was einerseits verwirrend klingt, ist letztlich eine geniale Idee, um die Person Friedrichs psychologisch zu beleuchten – in etwa so, wie es schon zahlreiche Historiker in Biografien und Essays getan haben. Im Musical aber immer mit dem Ziel, in erster Linie unterhalten und nicht Geschichte aufarbeiten zu wollen. Wer sich dessen bewusst ist, kann an „Friedrich – Mythos und Tragödie“ seine Freude haben. Im Mittelpunkt der Handlung stehen dabei das schwierige Verhältnis zwischen Friedrich und seinem Vater sowie ein Trauma, ausgelöst durch Kattes Tod, das die Autoren dem Alten Fritz angedichtet haben.
Die viel diskutierte Homosexualität Friedrichs greifen die Autoren erstaunlicherweise nicht wirklich auf. Immerhin aber ist es Holger Hauer gelungen, dieses Thema zumindest in Nuancen wiederzugeben, so zum Beispiel, wenn der Kronprinz einen Handkuss seines Vertrauten einfordert oder erklärt, dass im Schloss Sanssouci Damen nicht geduldet werden. Auch durch seinen teils extravaganten Kleidungsstil und sein außerordentliches Interesse an Kunst und Kultur wird im Laufe der Handlung immer wieder mit Klischees gespielt. Wie es letztlich interpretiert wird, liegt aber wohl an der Auffassungsgabe jedes einzelnen Zuschauers.
Ein weiterer wunderbarer Regiemoment, der Hauer glückte, ist der Wechsel vom Kind Friedrich (exzellent gespielt: Caspar Krzysch) zum Kronprinzen Friedrich (Tobias Bieri). Ohnehin zeichnet sich Hauers Inszenierung durch starke Personenregie aus, so dass alle Figuren sehr stark gezeichnet sind und den Zuschauer erreichen. Einzig die Verführungsszene zwischen Gräfin Orczelska (Isabel Trinkaus) und Friedrich (Tobias Bieri) verpufft, weil sie alles andere als verführerisch über die Rampe kommt.
Wer das Bühnenbild kennt, das Christoph Weyers für „Die Päpstin“ geschaffen hat, könnte bei „Friedrich“ etwas enttäuscht sein. Das Grundgerüst bilden lediglich drei verschiebbare Treppenelemente auf einer leeren Spielfläche, ergänzt durch wenige Requisiten. Durch gelungene Videoprojektionen und ein stimmiges Lichtdesign (Rüdiger Benz) lässt sich das 18. Jahrhundert aber dennoch authentisch auf der Bühne andeuten. Dabei zeigen die Projektionen unter anderem die Straßen Potsdams, Schloss Sanssouci oder ein Schlachtfeld im Siebenjährigen Krieg. Und auch in den ausladenden Kostümen von Ute Carow spiegelt sich das 18. Jahrhundert sehr gut wider. Über dem gesamten Geschehen wiederum schwebt dabei ein überdimensionaler Soldatenrock, der sich wie eine Marionette bewegt.
Getragen wird das Stück durch eine extrem starke Cast. Allen voran begeistern Tobias Bieri als Kronprinz Friedrich und Chris Murray als alter Friedrich. Schauspielerisch ist Bieri als junger Kronprinz authentisch, gesanglich kann er mit jedem seiner Songs auftrumpfen. Als besonders emotional erweist sich seine Szene, in der er mit viel Gefühl visionär von Schloss Sanssouci singt, während eine Videoprojektion im Hintergrund eine Skizze des Schlosses zeigt. Im Duett „Wir beide gehören zusammen“ harmoniert er zudem stimmlich hervorragend mit Elisabeth Hübert, die ihrer Wilhelmine gelungen Kontur verleiht und mit glasklarer Stimme singt.
Während Chris Murray im ersten Akt als alter Friedrich eher kommentierend auftritt, dabei aber schauspielerisch immer durchweg überzeugend agiert und durch seine zynischen Kommentare dem Publikum den einen oder anderen Lacher entlockt, kommt sein großer Moment im zweiten Akt. Hier gelingt ihm eine unglaublich starke Interpretation seines Solos „Ebenbild“, das er mit kräftig-eindringlicher Stimme gibt.
Absolut rollendeckend und mit gefühlvoller Stimme agiert Maximilian Mann als Hans Hermann von Katte (sehr stark auch im Duett „Nur darauf kommt es an“ mit Elisabeth Hübert), während Heiko Stang einen wunderbar strengen, cholerischen und gewalttätigen Friedrich Wilhelm gibt, dessen Solo „Du Schande Preußens“ sich wie ein Leitmotiv durch die gesamte Handlung zieht. In den Nebenrollen überzeugen Patricia Hodell als Friedrichs liebevolle Mutter Sophie Dorothea, Leon van Leeuwenberg als kauziger Voltaire, Petter Bjällö als August der Starke, Andreas Goebel als Kriegsminister Grumbkow und Christian Theodoridis als Graf von Seckendorff (mit österreichischem Akzent). Das Ensemble hingegen glänzt vor allem tänzerisch in den spritzigen und niemals langweiligen Choreografien von Doris Marlis, aber auch mit kraftvollen Stimmen, die besonders im Finale zu hören sind.
Die Musik wird bei „Friedrich“ – wie man es schon von den anderen Musicals aus dem Hause der Produktionsfirma Spotlight gewohnt ist – nicht live gespielt, sondern kommt aus der Konserve, was dem Stück aber nicht schadet. Denn was hier musikalisch geboten wird, ist eine hörenswerte feine Mischung aus Melodien mit Ohrwurmpotenzial, stimmigen Balladen und kraftvollen Ensemblenummern.
Dass neben dem Spotlight-Hauskomponisten Dennis Martin mit Marc Schubring ein weiterer Komponist verpflichtet wurde, kommt der Partitur dabei sehr zugute. Die Handschrift beider Komponisten ist erkennbar und sorgt für gelungene Abwechslung. Einzig der Song „Bienvenue in Sanssouci“ – wunderbar dargeboten durch Leon van Leeuwenberg als Voltaire – fällt musikalisch etwas aus dem Rahmen, kommt aber beim Premierenpublikum dennoch gut an. Schade nur, dass das Musicalgenre seinen Ruf von der leichten Muse und lustigem Hoch-das-Bein durch solche Songs wohl nie loswird. Vor allem nicht, wenn das Publikum bei der Nummer auch noch mehr oder weniger im Takt mitklatscht und so bei einem durchaus ernsten Theaterstück unfreiwillige Bierzeltatmosphäre aufkommt.
Zuletzt stellt sich wohl die Frage, ob „Friedrich – Mythos und Tragödie“ ein gutes Musical ist und ob die Biografie des Alten Fritz in dem Stück ordentlich aufgearbeitet wurde. Die Antwort lautet ja und nein. Ein gutes Musical ist „Friedrich“ auf jeden Fall, denn es hat alles, was ein gutes Musical ausmacht: Die interessante wie spannende Handlung wird mit ohrwurmträchtiger Musik und guten Texten erzählt, durch sehenswerte Kostüme und ein zweckdienliches Bühnenbild untermalt und durch starke Darsteller getragen. Die Biografie des Preußenkönigs hingegen, wurde nicht immer historisch korrekt aufgearbeitet. Aber das war auch sicher nicht die Intention der Autoren und ist zudem nicht die Aufgabe des kommerziellen Unterhaltungstheaters.
Wer sich zuvor noch nicht mit Friedrich dem Großen beschäftigt hat, wird sicher seine Freude an diesem Musical haben. Und wer die Biografie Friedrichs bereits kennt, sich aber bewusst ist, dass ihm auf der Musicalbühne keine Nacherzählung präsentiert wird, dürfte ebenso einen schönen Theaterbesuch erleben.
Letztendlich bietet „Friedrich – Mythos und Tragödie“ nämlich eines: Eine unterhaltsame Geschichtsstunde, aber kein Geschichtsstudium. Wer über den Musicalbesuch hinaus mehr über den echten Friedrich erfahren möchte, sollte auf eines der zahlreichen Bücher zurückgreifen oder eine der vielen Sonderausstellungen in Potsdam und Umgebung besuchen. Mit „Friedrich – Mythos und Tragödie“ ist den Musicalproduzenten jedenfalls ein sehr schöner kreativer Beitrag zum Friedrich-Jubiläumsjahr geglückt.
Text: Dominik Lapp