Interview mit Alan Menken: „Ich musste unbedingt Komponist werden!“
Alan Menken ist die lebende Legende hinter unzähligen Disney-Hits. Im Interview spricht er über seinen unaufhaltsamen Drang, Musik zu schaffen, und seine Angst, in die Fußstapfen seiner Eltern treten zu müssen. Der mehrfach ausgezeichnete Komponist gewährt Einblicke in seine kreativen Prozesse, spricht über Inspiration, das zentrale Thema in seiner Musik und darüber, was die größte Herausforderung ist, wenn er Filmkompositionen für die Bühne adaptiert.
Sie sind eine Disney-Legende und mehrfacher Oscar-Preisträger. War für Sie immer klar, dass Sie Komponist werden würden?
Oh ja. Ich wusste schon immer, dass ich Musik machen möchte. Wenn ich nicht machen durfte, was ich wollte, konnte ich ein sehr unruhiges Kind sein. (lacht) Meine Eltern waren Zahnärzte, und ich hatte Angst, auch Zahnarzt werden zu müssen. Aber ich musste unbedingt Komponist werden!
Sie haben so viele Scores komponiert. Welchen mögen Sie am liebsten?
Ich habe keinen Favoriten. Das ist, als würde man mich nach meinem Lieblingskind fragen. Aber mich interessiert immer sehr die Meinung des Publikums. Manchmal schreibe ich einen Song, von dem ich begeistert bin, während das Publikum eher verhalten reagiert. Und dann gibt es solche Songs, die ich ganz okay finde, und das Publikum ist völlig aus dem Häuschen. Meine wahrscheinlich gelungenste Partitur für eines meiner Disney-Projekte ist aber wohl „Der Glöckner von Notre Dame“. So wie der Song „Das Farbenspiel des Winds“ die DNA für meine „Pocahontas“-Partitur festlegte, tat das Lied „Draußen“ dasselbe für den „Glöckner“. Die Musik und Form dieses Songs kamen mir in den Kopf und in die Finger, bevor irgendetwas anderes – Worte, Musik oder Bilder – geschaffen wurde.
Was inspiriert Sie beim Komponieren, und wie gehen Sie dabei vor?
Inspirieren lasse ich mich von der Geschichte, die erzählt werden soll. Und natürlich auch von den Charakteren, für die ich die Songs schreibe. Jeder Charakter erlebt eine Reise, und die jeweiligen Gefühle während dieser Reise sind für mich Inspiration. Ich schaue mir immer Schlüsselelemente der Handlung an und überlege, wie ich die Erzählung mit meiner Musik voranbringen und Gefühle einstreuen kann. Wenn ich das hinbekomme, kann ich Menschen auf der ganzen Welt damit erreichen, weil meine Musik keine Grenzen kennt.
Welche Gefühle wollen Sie mit Ihrer Musik ansprechen?
Über allem steht die Liebe. Das sage ich nicht aus Sentimentalität, sondern aus tiefer Überzeugung. Deshalb betrachte ich Geschichten stets durch die Brille der Liebe, um so zu den tiefsten Motivationen der Charaktere vorzudringen. Liebeslieder sind somit in jedem Filmscore unerlässlich. Es braucht auch einen Ausgleich zum Herzschmerz, also etwas Humor, Traurigkeit und Absurdität. Innerhalb dieser Strukturen gestalte ich meine musikalische Reise.
Sie sind nach Hamburg gekommen, um an ihrem neuen Musical „Hercules“ zu arbeiten und die Weltpremiere zu besuchen. Was bedeutet Ihnen dieses Werk, gerade im Hinblick auf den Film, für den Sie bereits die Musik geschrieben haben?
Ich verbinde seit 1995 viele wichtige Dinge mit „Hercules“. Es war meine erste Zusammenarbeit mit David Zippel, einem brillanten Texter, mit dem ich seit unserer Begegnung Anfang der Achtzigerjahre ein Musical schreiben wollte. Es war außerdem die Rückkehr zur Zusammenarbeit mit John Musker und Ron Clements, mit denen ich „Arielle“ und „Aladdin“ geschrieben hatte. Und es war meine erste Gelegenheit, mich mit griechischer Mythologie in einem musikalischen Kontext auseinanderzusetzen.
Wie entstand eigentlich die Idee zu der Gospelmusik für „Hercules“?
Das war nicht meine Idee. (lacht) Als ich mit der Arbeit anfing, dachte ich, ich würde eine klassisch beeinflusste Partitur im Stil von „Candide“ schreiben. So entstand der musikalische Stil des bedauerlicherweise gestrichenen Songs „Shooting Star“. Aber John Musker und Ron Clements wünschten sich eine Gospel-Partitur. Ich frage sie: Wirklich Gospel? Warum? Aber ihre Erklärung war, dass Gospelmusik geschrieben wird, um über Gott zu singen – und unser Held ist einer der Götter. Ich war skeptisch, aber die Entscheidung war richtig. Es funktioniert perfekt.
Sie mussten schon mehrfach Musik, die Sie ursprünglich für Disney-Filme geschrieben haben, später für die Musicalbühne adaptieren, verändern, zusätzliche Musik schreiben. Was ist dabei die größte Herausforderung?
Oh, da gibt es einige Herausforderungen. Zunächst mal mache ich mir Gedanken, wo ich Änderungen vornehmen muss, damit es auf der Bühne funktioniert – und zwar nicht nur aus künstlerischer, sondern auch aus kommerzieller Sicht. Das ist die größte Herausforderung, finde ich. Dann überlege ich natürlich, wo ich meine Songs im Stück platziere und wie ich sie umstrukturiere. Neue Songs zu schreiben, stellt allerdings keine Herausforderung für mich dar. Mir fällt immer ein guter Song ein. Wenn ich einen richtig guten Auftrag bekomme, kommen dabei auch richtig gute Songs raus. Das werde ich weitermachen und mich dabei auf die Menschen verlassen, die mir sagen, dass die Songs gut sind.
Im Film „Hercules“ gibt es neun Songs. Für das Musical mussten also noch einige neue Nummern geschrieben werden. Nun haben Sie erklärt, wie Sie generell vorgehen. Aber wie sind Sie insbesondere bei diesem Stück vorgegangen?
Zunächst einmal musste mir der Spagat gelingen, einerseits den Geist des Originals zu bewahren und mich andererseits in ein Team zu integrieren, das neue Ideen hatte. Dabei wurden zum Beispiel die Arrangements der bestehenden Songs überarbeitet und in eine neue Form gebracht, damit sie frisch klingen. Im Musical haben wir die Möglichkeit, den Charakteren durch Songs mehr Tiefe zu verleihen als im Film. Also hat Phil einen Song bekommen, und Meg, und Herc, und Herc und Meg. Aber das Größte war für mich, einen Song für Hades zu schreiben. Ich wollte schon im Film ein Lied für ihn haben, was leider nicht zu realisieren war.
Warum ausgerechnet Hades?
Ganz einfach: Ich liebe Schurken, die bereiten mir besonders viel Spaß. Hades ist urkomisch, hat diese Flamme auf dem Kopf – das ist fantastisch. Durch den eigenen Song wirkt der Charakter jetzt greifbarer. Was unser Regisseur Casey Nicholaw aus Hades und den anderen Charakteren gemacht hat, ist grandios. Es macht großen Spaß, mit ihm zu arbeiten. Schon bei „Aladdin“ war es eine fantastische Zusammenarbeit mit ihn.
Gibt es weitere Personen, mit denen Sie gern zusammenarbeiten?
Einige. Aber sehr wichtig für mich ist Michael Kosarin. Seit Mitte der Neunziger, also seit „Pocahontas“, ist er mein Musikalischer Leiter, hat alle meine Scores und Shows dirigiert – er ist der Beste.
Für die Realverfilmung von „Arielle“ haben Sie auch mit „Hamilton“-Schöpfer Lin-Manuel Miranda zusammengearbeitet. Wie kam es dazu?
Oh, ich kannte ihn schon, als er noch ein Kind war. Unser Regisseur Rob Marshall hat mit Drehbuchautor David Magee eng am Konzept und dem Buch für die Adaption gearbeitet. Als ich dazugestoßen bin, haben wir besprochen, welche Songs genutzt werden sollen und was an zusätzlichen Nummern benötigt wird. Sie haben Lin mit ins Boot geholt für die Texte zu den neuen Songs „Wild uncharted Water“, „For the first Time“ und „The Scuttlebutt“. Nachdem wir alle Details besprochen hatten, begannen Lin und ich direkt mit der Arbeit an „Wild uncharted Water“.
Was begeistert Sie daran, Musik für Musicals zu schreiben?
Als Komponist bin ich in gewisser Weise auch ein Architekt. Ich baue ein Haus und schaffe viele Blaupausen. Beim Musical liebe ich es, dass ich mit vielen Gewerken zusammenarbeite. Man hat den Komponisten, den Texter, den Buchautoren, den Regisseur, Lichtdesigner, Bühnenbildner. Sie alle sind extrem wichtig für die Produktion. Aber genauso wichtig ist der Geschmack des Publikums. Ich lerne gerade in der Preview-Phase immer sehr viel vom Publikum und achte auf die Reaktionen, die mich oft überraschen. Aber ganz egal ob Film oder Musical: Das schönste Geschenk für mich ist, wenn sich meine Musik mit den visuellen Eindrücken vereint. Ich sehe es als eine Art Vermählung von Musik, Konzept und Emotionen.
Interview: Dominik Lapp