„Gypsy“ in Halle/Saale (Foto: Anna Kolata)
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Sternstunde des Musicals: „Gypsy“ in Halle

Mit „Gypsy“ bringt das Opernhaus in Halle an der Saale eines der großen Broadway-Musicals auf die Bühne – und zeigt sich in Höchstform. Unter der Regie von Louisa Proske entfaltet sich ein facettenreiches Porträt der Showbranche, das nicht nur unterhält, sondern unter die Oberfläche blickt.

Im Zentrum steht die schillernde wie kompromisslose Rose, beeindruckend gespielt von Brigitte Oelke. Die Regisseurin Louisa Proske macht keinen Hehl daraus, dass Rose das Herz der Geschichte ist. Sie zeichnet eine Frau, die sich in ihrer gnadenlosen Mutterrolle zwischen Ambition und Überforderung verliert. Oelke gibt dieser Figur eine explosive Intensität, die von grenzenlosem Ehrgeiz bis zu Momenten tragischer Zerbrechlichkeit reicht.

Doch auch die übrigen Charaktere kommen nicht zu kurz: Laura Magdalena Goblirsch zeigt als Louise eine berührende Entwicklung von der unscheinbaren Tochter zum glamourösen Burlesque-Star Gypsy Rose Lee, June wird von Charlotte Vogel mit sprühendem Charme dargestellt, Fabio Kopf überzeugt als Tulsa mit einer angenehmen Frische und Leichtigkeit sowie einer starken Steppnummer, und Gerd Vogel gelingt eine glaubwürdige Darstellung von Herbie, der Roses Abgründe mit Liebe und Geduld zu ertragen versucht.

Visuell entführt das Musical in die bunte, aber auch harte Welt der Showbranche. Darko Petrovics Bühnenbild fängt mit verschiedenen Versatzstücken und Requisiten sowie einem imposanten Uncle Sam das Glitzern des Theaters ein, während es zugleich die Schattenseiten hinter den Kulissen sichtbar macht. Seine Kostüme sind ein weiterer Höhepunkt: Sie treffen mit ihrer zeitgemäßen Eleganz und Detailverliebtheit stets den richtigen Ton und unterstreichen die verschiedenen Facetten der Charaktere.

Die Choreografie von Marie-Christin Zeisset verbindet geschickt das Spektakel der großen Bühnennummern mit der Intimität der persönlichen Konflikte. Yonatan Cohen sorgt mit der Staatskapelle Halle für einen mitreißenden Broadway-Sound, der die emotionalen Höhen und Tiefen der Handlung perfekt begleitet. So ist „Gypsy“ in Halle mit einer Spieldauer von über drei Stunden zwar ein sehr langer Abend, lässt aber keine Wünsche offen. Eine Sternstunde des Musicals, die begeistert und berührt.

Text: Christoph Doerner

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Nach seinem Studium der Musiktheaterwissenschaft, einem Volontariat sowie mehreren journalistischen Stationen im In- und Ausland, ist Christoph Doerner seit einigen Jahren als freier Journalist, Texter und Berater tätig.