„Hairspray“ in Schwäbisch Hall (Foto: Ufuk Arslan)
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Perfekt für laue Sommerabende: „Hairspray“ in Schwäbisch Hall

Niemand stoppt den Beat! Auch nicht in schwindelerregender Höhe auf den Treppenstufen vor der Kirche St. Michael in Schwäbisch Hall, wo das Musical „Hairspray“ jetzt in einer großartigen Freilichtinszenierung von Christopher Tölle aufgeführt wird.

Die mit mehr als 30 internationalen Preisen ausgezeichnete Feel-Good-Show von Marc Shaiman (Musik und Songtexte), Mark O’Donell und Thomas Meehan (Buch) sowie Scott Whitman (Songtexte) erzählt die Geschichte der mehrgewichtigen Teenagerin Tracy, die im Baltimore der Sechzigerjahre von einem Auftritt in einer TV-Tanzshow träumt. Trotz gesellschaftlicher Vorurteile und Diskriminierung gelingt es ihr, nicht nur als Tänzerin akzeptiert zu werden, sondern auch für Integration und Gleichberechtigung zu kämpfen.

Christopher Tölle hat diese Story, die durchaus ihre ernsten Momente hat und in zwei Stunden ohne Pause gespielt wird, vor allem als bunte Show mit Tempo inszeniert, lässt aber auch im Liebesduett von Tracys Eltern ein wenig Herzschmerz aufkommen. Ansonsten ist „Hairspray“ vor allem eine spaßige Tanzshow mit schöner Choreografie (Nigel Watson und Christopher Tölle) und meist stimmiger Musik. Ohrwurmqualität haben dabei vor allem Songs wie „Good Morning, Baltimore“ und „Niemand stoppt den Beat“, während manch andere Nummern eher belanglos vor sich hinplätschern, aber von Heiko Lippmann und seinen Musikerinnen und Musiker hervorragend intoniert werden.

Das Bühnenbild von Heike Seidler wird natürlich dominiert von der imposanten Kirchentreppe, die ergänzt wird durch überdimensionale bunte Kugeln, Neon-Leuchtschriften, eine Discokugel, einen mit Gitterstäben angedeuteten Knast oder eine riesige Haarspray-Sprühdose. So entsteht in Verbindung mit Licht und dem überzeichneten Sixties-Kostümbild (ebenfalls Heike Seidler) ein kaugummisüßes und knallbuntes Gesamterlebnis. Ein Vorteil der ungewöhnlichen Spielfläche ist dabei, dass man auf den Treppenstufen nicht nur das zentrale Hauptgeschehen gut im Blick hat, sondern auch gut beobachten kann, was links und rechts davon geschieht.

Durchweg stark ist auch die Cast. Andrea Matthias Pagani gibt eine mitreißende Edna. In der Rolle ist er absolut überzeugend und zeigt großes komödiantisches Talent sowie eine geniale Mimik. Noch dazu hat Pagani eine angenehme Singstimme. Was der Künstler auf der Bühne – pardon, auf der Treppe – abliefert, lässt den Funken sofort aufs Publikum überspringen.

Daniela Tweesmann ist als Tracy ein leidenschaftliches Energiebündel, weiß tänzerisch wie gesanglich zu überzeugen und pendelt schauspielerisch zwischen zuckersüßer und urkomischer Darstellung. Ein exzellentes Duo, herrlich ätzend und proletarisch, sind Maaike Schuurmans und Katia Bischoff als Velma und Amber van Tussle – schauspielerisch wie gesanglich ein Gewinn.

Mirjam Wershofen gibt ihre Penny als quirligen Wirbelwind, Marco Toth ist als Corny Collins ein charmanter TV-Moderator, Lucca Kleimann und Malcolm Henry geben als Link und Seaweed zwei smarte Typen mit klangschönen Stimmen, während Monica Lewis-Schmidt eine stimmstarke Motormouth Maybelle mimt und Claudius Freyer ein rührender Wilbur ist. Besondere Anerkennung gilt allen Mitwirkenden für das Tanzen auf der Treppe.

Wer auf Popcorn-Entertainment steht und Musik mit dem Drive der Sixties mag, wird an dieser Inszenierung von „Hairspray“ definitiv Gefallen finden. Es ist das perfekte Stück für laue Sommerabende vor der großen Kirchentreppe in Schwäbisch Hall.

Text: Christoph Doerner

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Nach seinem Studium der Musiktheaterwissenschaft, einem Volontariat sowie mehreren journalistischen Stationen im In- und Ausland, ist Christoph Doerner seit einigen Jahren als freier Journalist, Texter und Berater tätig.